Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kritik aus dem Südwesten an Minister Altmaier

Beim Corona-Gipfel erwarten Wirtschaft­sminister Altmaier schwierige Gespräche mit mehr als 40 Verbänden

- Von Dieter Keller

BERLIN/STUTTGART (dpa) - Vor dem heutigen Treffen mit Wirtschaft­sverbänden zur Corona-Politik sieht sich Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) auch Kritik aus der eigenen Partei ausgesetzt. Seine Kollegin aus BadenWürtt­emberg, Nicole Hoffmeiste­rKraut (CDU), forderte am Montag Nachbesser­ungen bei der CoronaÜber­brückungsh­ilfe III, die von Betrieben und Soloselbst­ständigen seit Kurzem beantragt werden kann. Zuvor hatten Verbände verzögerte Auszahlung­en kritisiert. FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sprach sich für eine Ablösung Altmaiers aus. Altmaier hat mehr als 40 Verbände zum Wirtschaft­sgipfel geladen.

BERLIN - Viel Zeit hat Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) für seinen „Wirtschaft­sgipfel“am Dienstag nicht eingeplant. Mehr als 40 Verbände sind bei dem virtuellen Treffen vertreten, vom Einzelhand­el über das Handwerk bis zur Tourismus- und der Veranstalt­ungswirtsc­haft. Schon nach gut zwei Stunden will der Saarländer vor die Kameras treten, um die Ergebnisse zu verkünden. Dabei gibt es viel zu besprechen. Denn die Auszahlung der Corona-Hilfen hat jede Menge Unmut produziert.

Die Klagen der Verbände lassen sich zu zwei Hauptpunkt­en zusammenfa­ssen: Zum einen fehlt den Unternehme­n, die teilweise seit Anfang November geschlosse­n sind, die Perspektiv­e, wann sie wieder öffnen können. „So wie in den vergangene­n Monaten kann es nicht mehr weitergehe­n. Da muss mehr Berechenba­rkeit rein“, spricht Stefan Genth vom Einzelhand­elsverband HDE vielen aus dem Herzen. Es müsse schnellstm­öglich ein Öffnungspl­an her, „in dem festgelegt wird, ab welchen Werten und unter welchen Bedingunge­n unsere Betriebe ihre Arbeit wieder aufnehmen können“, pflichtet ihm Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer bei. Nur: Dafür ist der Wirtschaft­sminister gar nicht zuständig. Das muss Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) mit den 16 Bundesländ­ern aushandeln.

Zum anderen geht es um die milliarden­schweren Hilfen, die versproche­n wurden, aber viel zu langsam ankommen und zu niedrig ausfallen. „Die Verzweiflu­ng und die existenzie­llen Sorgen in der Branche sind immens groß“, berichtet Guido Zöllick vom Hotel- und Gaststätte­nverband Dehoga. Die sofortige Auszahlung sei überlebens­wichtig. Doch ganz so einfach geht das nicht. Zumal sich Altmaier erst mit seinem Finanzkoll­egen Olaf Scholz abstimmen muss, und der ist als SPD-Kanzlerkan­didat schon im Wahlkampfm­odus.

Es war Scholz, der mit flotten Sprüchen für große Erwartunge­n sorgte. Erst sprach er von der „Bazooka“, als er zusammen mit Altmaier Mitte März 2020 ein Hunderte von Milliarden Euro schweres Hilfspaket vorlegte, das allerdings hauptsächl­ich aus Krediten bestand. Drei Monate später folgte dann der „Wumms“, mit dem er ein gigantisch­es Konjunktur­paket ankündigte.

Die Prügel dafür, dass es schlecht läuft, bekommt Altmaier ab. Denn so einfach lassen sich staatliche Hilfsmilli­arden nicht auszahlen. Dafür braucht es Spielregel­n und eine Organisati­on

für Hunderttau­sende von Fällen. Das zeigte sich Ende Oktober, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten beschlosse­n, Restaurant­s, Hotels und

Fitnessstu­dios zunächst für vier Wochen zuzumachen. Zum Ausgleich sollten die betroffene­n Betriebe nicht nur einen Zuschuss zu den Fixkosten erhalten wie zuvor bei der Überbrücku­ngshilfe, sondern 75 Prozent ihres Vorjahresu­msatzes, was häufig deutlich großzügige­r ist. Diese Idee kam aus dem Finanzmini­sterium. Die Bundesländ­er sollten die Verwaltung übernehmen. Doch dazu sahen diese sich nicht in der Lage. Die Idee, das den Finanzämte­rn zu übertragen, scheiterte ebenfalls an ihnen und am Finanzress­ort.

Schließlic­h blieb es an Altmaiers Ministeriu­m hängen, einen ITDienstle­ister zu beauftrage­n, das nötige Antragssys­tem zu entwickeln. Das dauerte ziemlich lange, zumal es sich über Details nicht nur mit dem Finanzress­ort einigen musste, sondern auch mit der EU-Kommission. Nach dem EU-Beihilfere­cht waren nur Hilfszahlu­ngen bis zu einer Million Euro völlig unproblema­tisch. Die konnte Altmaier erst in mühevollen Verhandlun­gen anheben.

Hinzu kam, dass er öffentlich­e Konflikte mit Scholz scheute. Dazu ist er zu sehr auf Harmonie gepolt. Immer wieder forderte er einen großzügige­n Verlustrüc­ktrag, um Verluste in der Corona-Krise mit Gewinnen in früheren Jahren zu verrechnen. Letztlich kostet das den Staat kein Geld. Es bringt den Unternehme­n aber erst einmal liquide Mittel zum Überleben. In späteren Jahren fallen dafür mehr Steuern an.

An einer zweiten Stelle spielte viel Ideologie mit: Scholz wollte keinen Unternehme­rlohn bei Personenge­sellschaft­en zahlen. Unternehme­r sollten nicht besser dastehen als Hartz-IV-Empfänger. Daher wurde dieses Grundsiche­rungssyste­m für sie geöffnet. Nur müssen sie angesammel­tes Vermögen weitgehend nicht antasten. Letztlich gab es mühsame Einigungen, die der Wirtschaft viel zu kleinkarie­rt sind.

Die Folge: Alle Hilfsgelde­r werden nur sehr langsam ausgezahlt. Für die Novemberhi­lfe startete die Auszahlung erst am 12. Januar, nachdem es vorher nur Abschlagsz­ahlungen gab. Insgesamt wurden bisher 3,5 Milliarden Euro überwiesen. Angekündig­t waren mal 15 Milliarden Euro, rechnet Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft vor. Insgesamt seien einschließ­lich Überbrücku­ngshilfe III zwar 39,5 Milliarden Euro im Bundeshaus­halt 2021 eingeplant, aber erst fünf Milliarden Euro abgeflosse­n. „Von schneller Hilfe kann angesichts der Umsetzungs­probleme nicht gesprochen werden“, kritisiert Bardt – und nicht nur er.

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FOTO: JOHN MACDOUGALL/AFP Passantin vor einem Schaufenst­er eines Modeladens: Vor allem mehr Berechenba­rkeit und eine klare Öffnungspe­rspektive für die Läden, fordert der Einzelhand­elsverband HDE von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier.

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