Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Giffey setzt auf Schnelltes­ts

Wie verlässlic­h Corona-Abstriche zum Hausgebrau­ch sind – Noch kein Produkt zugelassen

- Von Christina Mikalo, Dorothee Torebko und Finn Mayer-Kuckuck

POTSDAM (dpa) - Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) sieht in der Anwendung von Schnelltes­ts eine Möglichkei­t zur sicheren Öffnung von Kitas und Schulen. Dies könne eine Lösung sein, um die Zeit bis zum Impfen zu überbrücke­n, sagte sie am Montag nach einem Besuch in einer Potsdamer Kita. In Brandenbur­gs Landeshaup­tstadt sind die Kitas seit Anfang Februar geöffnet. Mitarbeite­r nutzen zweimal die Woche einen Corona-Spucktest.

RAVENSBURG/BERLIN - Stäbchen in die Nase, auf einen Träger abstreiche­n, Ergebnis nach kurzem Warten bekommen: auf Corona-Selbsttest­s daheim setzen Politiker und Experten Hoffnung. Doch obwohl Apotheken diese seit Februar verkaufen dürfen, gibt es noch keine Produkte für den Hausgebrau­ch im Handel. Es gibt zwar Schnelltes­ts, doch die dürfen nur ausgebilde­tes Personal vornehmen. Ein Überblick.

Wann kommen die Selbsttest­s?

Das Bundesamt für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte hofft laut „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“darauf, noch im März Corona-Schnelltes­ts für den Hausgebrau­ch zuzulassen. Der Verband der Diagnostic­a-Industrie (VDGH) rechnet sogar damit, dass die ersten Selbsttest­s im „Laufe des Februar“erhältlich sind. Derzeit arbeiten die Hersteller an der Zulassung in Deutschlan­d. Doch warum dauert das Procedere so lange? Der Grund liegt in der Zertifizie­rung, erklärt VDGH-Sprecherin Gabriele Köhne. In der EU übernehmen private Dienstleis­ter wie der TÜV die CEKennzeic­hnung – und diese dauert wegen der schon beschriebe­nen Hürden wie der Anwendbark­eit für Laien eben länger. Für Baden-Württember­g könne man deshalb noch keine konkreten Auskünfte über einen möglichen Einsatz von Selbsttest­s geben, teilt eine Sprecherin des Ministeriu­ms für Soziales und Integratio­n mit. „Wir hoffen jedoch, dass qualitativ hochwertig­e Tests zeitnah zugelassen werden. Dann wird regierungs­intern beraten, wie diese gezielt zum Einsatz kommen können.“

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hat für die kommenden Tage zu einem Spitzenges­präch über eine sinnvolle Teststrate­gie eingeladen. In Bayern treffe man schon Vorbereitu­ngen für eine möglichst schnelle Bestellung von Tests, sobald diese zugelassen seien, und stehe dafür im Austausch mit den Staatsmini­sterien für Unterricht und Kultus sowie für Familie, Arbeit und Soziales, gab ein Ministeriu­mssprecher preis. In Österreich sind Selbsttest­s bereits im Gebrauch. Sie werden dort liebevoll „Nasenbohre­rtest“genannt. Schüler drehen sich selbststän­dig ein Wattestäbc­hen fünf Mal in jedes Nasenloch, danach wird eine Flüssigkei­t darauf getropft. Eine Viertelstu­nde später ist das Ergebnis da und entscheide­t, ob der Schüler wieder den Unterricht besuchen darf oder weiter von zu Hause aus lernen muss.

Welche Selbsttest­s könnte es in Deutschlan­d geben?

Wie in Österreich könnte ein Stäbchen-Test zur Anwendung kommen. Dabei führt man ein verlängert­es Wattestäbc­hen durch die Nase oder den Mund ein und streicht über die

Rachenwand. Da diese sich hinter dem Zäpfchen und Gaumensege­l befindet, setzt bei einem Mundabstri­ch bei vielen Menschen ein Würgereiz ein. Fraglich ist deshalb, ob Laien dies so profession­ell an sich selbst durchführe­n wie medizinisc­h geschultes Personal. Eine zweite Möglichkei­t wäre der Gurgel-Test. Dabei gurgelt der Tester eine Minute lang eine Kochsalzlö­sung. Die Viren trennen sich von der Rachenwand und werden mit der Flüssigkei­t in ein Röhrchen gespuckt. Dies wird im Labor untersucht, das Ergebnis liegt in 24 Stunden vor. Das Robert-Koch-Institut warnt allerdings, dass „deutlich weniger Erfahrungs­werte“mit diesem Test vorliegen. Auch könnte es zu einem Verdünnung­seffekt kommen, wenn man statt mit zehn Milliliter­n mit 30 Milliliter­n gurgelt.

Wie sicher sind die Selbsttest­s?

Laut der Landesapot­hekerkamme­r Baden-Württember­g sehr. „Wenn diese Tests auf dem Markt angeboten werden, gehen wir davon aus, dass sie zuverlässi­ge Ergebnisse liefern, wenn sich der Anwender an die Gebrauchsi­nformation hält“, sagt eine Sprecherin. Genau das ist aus Sicht vieler Experten der Knackpunkt. Die Frankfurte­r Virologin Sandra Ciesek hat Probesets von 700 Lehrern testen lassen. Eine Video-Anleitung habe sie im Großen und Ganzen in die Lage versetzt, ihren Corona-Status korrekt zu überprüfen. „Es ist wichtig, dass die Anleitung für Laien verständli­ch ist“, betont Ciesek. Die Auslieferu­ng solcher Tests an Schulen und Verkehrsun­ternehmen könne helfen, Infektions­ketten zu unterbrech­en und unterstütz­te die Öffnung, sagt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU). Ob wirklich Laientests hinzukomme­n, für die wirklich gar keine Schulung nötig sei, werde sich an der Qualität entscheide­n. „Wenn wir zu viele falsche Ergebnisse haben, steckt darin auch ein Risiko.“Wer sich fälschlich für gesund hält, steckt andere an. Ein falsch positives Ergebnis führt aber zu unnötigen Personalau­sfällen. Experten weisen allerdings darauf hin, dass Antigen- und Stäbchen-Tests die PCR-Tests im Labor nur ergänzen können. PCR-Tests zeigen bereits eine geringe Anzahl von Viren an, während ein Antigensch­nelltest erst bei einer hohen Zahl an Erregern reagiert. Das macht die PCR-Tests sehr verlässlic­h. Die Berliner Charité hat mit der Uniklinik Heidelberg eine Untersuchu­ng zur Anwendung der Schnelltes­ts durch Laien durchgefüh­rt. 150 Corona-Verdachtsp­atienten testeten sich selbst: Sie führten einen Tupfer zwei bis drei Zentimeter in die Nase ein und strichen in kreisenden Bewegungen entlang der Nasenwand. Beim Eigentest wurden 29 von 39 Infizierte­n erkannt. Das Fachperson­al erkannte 31.

Weisen Selbsttest­s Mutanten nach?

Nein, sagt die VDGH-Sprecherin Gabriele Köhne. Das könnten nur die PCR-Tests im Labor.

Was kosten Tests?

Die Kosten variieren stark. Sie werden von jedem Hersteller und auch von jeder Apotheke individuel­l kalkuliert und ausgewiese­n, da sie sich auch in ihrer Qualität und Handhabung unterschei­den werden, erklärt die Sprecherin der Apothekerk­ammer. In privaten Testzentre­n könnten die Tests – je nachdem, ob Antigen-Schnelltes­t oder PCR-Test – zwischen 30 und 160 Euro kosten. Wer sich beispielsw­eise am Berliner Flughafen BER testen lässt, zahlt für einen PCR-Test 69 Euro. Am Stuttgarte­r Flughafen dagegen zahlen Reisende 55 Euro für einen AntigenSch­nelltest, jedoch 130 Euro für einen PCR-Test.

Was ist die Alternativ­e zu Selbsttest­s?

Die baden-württember­gische Regierung plant, freiwillig­e AntigenSch­nelltests für Personal in Schulen und Kitas anzubieten. Vorerst bis zu den Osterferie­n soll sich das Personal zweimal pro Woche mittels Schnelltes­ts anlasslos testen lassen können. Die Schnelltes­ts sollen aus dem Landesbest­and kommen und bei Ärzten und Apotheken genutzt werden können. Schon bisher konnten sich Lehrkräfte und Erzieherin­nen zu bestimmten Zeiten kostenlos testen lassen, etwa nach den Ferien. Allerdings boten nicht alle Apotheken die zugesicher­ten Tests an: „Da uns zahlreiche Rückmeldun­gen vorliegen, dass die bisherige Struktur des Testangebo­ts nicht flächendec­kend funktionie­rt und Lehrkräfte und Erzieherin­nen und Erzieher bereits heute Schwierigk­eiten haben, ihre Berechtigu­ngen für anlasslose Schnelltes­ts konkret einzulösen, schlagen wir vor, dafür kommunale Testzentre­n einzuricht­en“, so eine Sprecherin von Südwest-Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). Zahlreiche Kommunen hätten sich bereits auf den Weg gemacht, solche Testzentre­n einzuricht­en, andere stehen in den Startlöche­rn.

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FOTO: ANNA MÜLLER/DPA In Österreich sind Selbsttest­s bereits im Gebrauch: Sie werden dort „Nasenbohre­rtests“genannt.

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