Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Im Tunnel schneller zum Flughafen
Gäubahn-Ausbau würde bessere Verbindungen bringen – Lange Bauzeit, hohe Kosten
TUTTLINGEN - In die Ausbaupläne für die Gäubahn (Singen-Stuttgart) kommt Bewegung: Der Berliner Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) sendet positive Signale für Planung und Bau eines Tunnels zwischen Böblingen und dem Flughafen Stuttgart, Südwest-Verkehrsminister Winfried Herrmann (Grüne) meldet Zweifel an. Weiter soll der Bau einer zweigleisigen Strecke zwischen Horb und Neckarhausen 2022 beginnen: Fahrgäste zwischen Stuttgart, Rottweil, Tuttlingen und Singen werden davon profitieren. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wo soll der geplante Tunnel gebaut werden?
Der etwa zehn Kilometer lange Tunnel soll die Gäubahn aus Richtung Böblingen an den Flughafen führen und dort in die Fernbahnstation münden. Von dort aus werden die Fahrgäste weiter zum neuen Stuttgarter Tiefbahnhof „Stuttgart 21“fahren, wo die Gäubahn auch endet.
Welche Nachteile könnte ein Tunnel beseitigen?
Der Tunnel soll die wenig tauglichen Planungen von Stuttgart 21 am Flughafen ausbessern – darüber sind sich die Projektpartner weitgehend einig. Bisher sollten die Züge aus Richtung Horb über die S-Bahn-Gleise zum Flughafen geführt werden. Doch für S-Bahn-Züge sowie den Regionalund Fernverkehr wäre kaum Platz gewesen.
Und welche Vorteile gibt es?
Städte wie Tuttlingen oder Rottweil könnten mit dem Ausbau der Gäubahn und dem Tunnel an den geplanten Deutschlandtakt angeschlossen werden. Im Deutschlandtakt sollen alle großen Bahnhöfe zu festen Zeiten (ganze/halbe Stunde) miteinander verknüpft werden. Die Bundesregierung will das Zugfahren mit einem Taktfahrplan pünktlicher, schneller und verlässlicher machen. Neubauten würden über den Bundesverkehrswegeplan direkt vom Bund bezahlt. Das im Deutschlandtakt hinterlegte Konzept wird derzeit unter Berücksichtigung neuer Randbedingungen vom Bundesverkehrsministerium volkswirtschaftlich bewertet und optimiert. Ein abschließendes Ergebnis liegt noch nicht vor.
Gibt es bereits konkrete Pläne für den Baustart?
Nein. Es gibt weder eine konkrete Finanzierungszusage noch Planfeststellungsbeschlüsse oder Baupläne. Optimisten gehen davon aus, dass frühestens 2030 ein solches Projekt fertiggestellt werden könnte.
Wie würde die Finanzierung aussehen?
Den Plänen für den Ausbau der Strecke und dem jetzt wieder ins Gespräch kommenden Tunnel liegen Investitionskosten von mehr als einer Milliarde Euro zugrunde. FinanPresse ziert werden sollen der Tunnel und der weitere Ausbau vom Bund über den Bundesverkehrswegeplan. Der Tunnel wäre damit aus der Finanzierung von Stuttgart 21 herausgelöst.
Und welche Priorität haben der Ausbau und der Tunnel?
Die Ausbaustrecke von Stuttgart über Singen bis zur Schweizer Grenze (Gäubahn) ist bereits im Vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege enthalten. Aber: Schon 1996 hatte der Bund gegenüber der Schweiz den Ausbau Gäubahn zugesagt, doch passiert war bislang nichts.
Was heißt dies konkret?
Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung unter anderem mit konkreten Aussagen zum Gäubahntunnel wird zeitnah fertiggestellt und anschließend im Projektinformationssystem veröffentlicht. Sofern ein positives Ergebnis schriftlich vorliegt, muss die Abgrenzung zwischen dem Bundesverkehrswegeplan-Projekt Gäubahn und dem Projekt Stuttgart 21 ohnehin geklärt werden. Dazu müssen sich der Bund und die S21-Partner verständigen und erst dann hat dies konkrete Auswirkungen auf das laufende Planfeststellungsverfahren.“
Wie sind die Reaktionen auf den Vorstoß aus Berlin?
Der Stuttgarter Regierungspräsident Wolfgang Reimer (Grüne) gilt als Befürworter der Tunnellösung, kritisiert aber, dass seine Behörde „häppchenweise Neuigkeiten zur Gäubahn-Streckenführung über die
erfährt, ohne dass wir Unterlagen bekommen“. So könne das laufende Verfahren für den S-21-Bauabschnitt 1.3b nicht fortgeführt werden.
Der Amtschef des Landesverkehrsministeriums Uwe Lahl sagt: „Sollte es nicht schnell Klarheit geben, was der Bund will, könnte es zu Verzögerungen von Jahren kommen.“Lahl sagte, da er davon ausgehe, dass der neue Vorschlag des Bundes nicht das laufende Planfeststellungsverfahren ergänzen könne, müsste für die Umsetzung des neuen Vorschlags ein neues Verfahren beantragt werden. Im Frühjahr 2020 hatte die baden-württembergische Landesregierung bestätigt, dass es tatsächlich Ausbaupläne gebe. Damals betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne): „Solche Ergänzungen müssen sehr rasch umgesetzt und angegangen werden.“
Wie würden die Fahrgäste während der Bauzeit des Tunnels nach Stuttgart kommen?
Während der jahrelangen Bauphase würde die Gäubahn in Stuttgart-Vaihingen enden, da das letzte Stück der Gäubahn, die sogenannte Panoramabahn, nicht an den Stuttgarter Hauptbahnhof („Stuttgart 21“) angeschlossen wird. Das wird ohnehin so kommen, wenn die Bauarbeiten in der Stuttgarter Innenstadt in die letzte Phase gehen. Durch einen neuen Tunnel würde sich dieser Zustand, der bis zu drei Jahre dauern dürfte, auf bis zu 15 Jahre verlängern. In Stuttgart-Vaihingen müssen die Fahrgäste umsteigen, um in die Innenstadt, zum Flughafen oder zum Hauptbahnhof zu kommen. Dazu sagt die Deutsche Bahn: „Bei den meisten Relationen können Pendler in die Region Stuttgart ihr Ziel ohne zusätzlichen Umstieg erreichen, denn der Umstieg zwischen den Verkehrsmitteln des ÖPNV verlagert sich lediglich von Stuttgart Hauptbahnhof nach Vaihingen. Relevante Änderungen der Reisezeit ergeben sich hierdurch zumeist nicht.“
Welche Reaktionen gibt es auf diese Pläne?
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) erwartet, dass die Direktverbindung der Gäubahn zum Hauptbahnhof durch die neuen Pläne für zehn Jahre unterbrochen wird. „Das ist ein Desaster für den Schienenverkehr, auch für die Landesteile bis zum Bodensee“, sagt BUND-Vorsitzende Brigitte Dahlbender.
Staatssekretär Bilger hat auch betont, keine Neigetechnik-Züge einsetzen zu wollen. Warum soll auf diese Technik verzichtet werden?
Die lange favorisierte Neigetechnik, bei der Züge mit bis zu 160 Kilometer pro Stunde deutlich schneller als herkömmliche Züge auf bestehenden Strecken fahren können, wird seitens der Deutschen Bahn nicht mehr verfolgt: Die Technik ist zu anfällig und strapaziert Schienen, Oberbau und Weichen. Bilger ist sich sicher: „Aber auch ohne sie erreichen wir mit dem Ausbau unsere Ziele einer kürzeren Fahrzeit und mehr Kapazität auf der Strecke“.
Mehr zur Gäubahn und politische Reaktionen lesen Sie unter www.schwaebische.de/gäubahn