Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Grauzonen in der Altenpfleg­e

Neue Richtlinie soll mehr Sicherheit bei ausländisc­hen Betreuern bieten

- Von Tom Nebe

BERLIN (dpa) - Viele Menschen in Deutschlan­d brauchen Unterstütz­ung im häuslichen Alltag. Hunderttau­sendfach übernehmen das Betreuungs­kräfte aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa.

Doch es gibt Probleme in diesem Bereich der Pflegebran­che: Schwarzarb­eit, unklare Anstellung­sverhältni­sse, ausbeuteri­sche Arbeitsbed­ingungen und teils mangelndes Fachwissen. „Hier passiert viel Illegales“, sagt Katrin Andruschow von der Stiftung Warentest, die sich schon jahrelang mit dieser Branche beschäftig­t. „Es ist eine wichtige Säule im Pflege- und Betreuungs­system, die aber sehr wenig reguliert ist“, hält sie fest.

Ein neuer DIN-Standard soll hier nun dringend nötige Besserung bringen: Für unterstütz­ungsbedürf­tige Menschen und ihre Angehörige­n, aber auch für seriös arbeitende Vermittler und natürlich für die Betreuungs­kräfte. Doch er kann nicht alle Probleme lösen.

Worum geht es genau? Die DIN SPEC 33454 ist ein Standard, keine Norm. Sie schafft Richtlinie­n für die „Betreuung unterstütz­ungsbedürf­tiger Menschen durch im Haushalt wohnende Betreuungs­kräfte aus dem Ausland“. Konkret werden Anforderun­gen an Vermittler, Dienstleis­ter im Ausland und die Betreuungs­kräfte formuliert, aber auch an die Menschen, die deren Hilfe in Anspruch nehmen wollen.

Wer kann sich damit zertifizie­ren

lassen? Vermittlun­gsagenture­n von ausländisc­hen Pflegekräf­ten. Das sind Firmen, die die Brücke schlagen zwischen den Dienstleis­tern – aus Polen oder anderen Ländern – und den Familien hierzuland­e, die nach einer Betreuungs­kraft suchen. Mit Mecasa in Stuttgart gibt es bereits einen Anbieter, der nach dem neuen Standard zertifizie­rt ist. Weitere dürften in den kommenden Monaten folgen.

Das Interesse in der Branche sei groß, heißt es von der Sachverstä­nDabei digenorgan­isation Dekra, die bisher als einzige Prüfgesell­schaft den neuen Standard abnimmt. Verbrauche­r erkennen zertifizie­rte Anbieter daran, dass sie die DIN SPEC ausweisen – ebenso wie das Institut, das die Prüfung durchgefüh­rt hat. Um auf Nummer sicher zu gehen, kann man auch nach der sogenannte­n Konformitä­tsbeschein­igung fragen. Das ist eine Art Urkunde, auf der die Zertifizie­rung offiziell bestätigt ist.

Was müssen die Agenturen nach

dem neuen Standard leisten? Wer nach dem neuen Standard arbeitet, dürfe sich nicht mehr auf die reine Vermittlun­g zurückzieh­en, sagt Warenteste­rin Andruschow. Das machen seriöse Anbieter schon jetzt nicht, doch es gibt eben auch andere, die es sich an dieser Stelle einfach machen.

Nach dem neuen Standard müssen zertifizie­rte Anbieter die Familien seriös beraten und deren Bedarf umfassend schriftlic­h erfassen – eine examiniert­e Pflegefach­kraft muss die Angaben dann in einem telefonisc­hen oder persönlich­en Gespräch prüfen.

wird geschaut, ob der Auftrag durch eine ausländisc­he Betreuungs­kraft übernommen werden kann, oder nicht profession­elle Pflege nötig ist. „Oder man sieht, dass die Familien überhaupt nicht die Voraussetz­ungen haben, um eine Betreuungs­kraft menschenwü­rdig bei sich unterzubri­ngen“, so Andruschow.

Die Zusammenar­beit mit den Kooperatio­nspartnern im Ausland wird ebenfalls genauer definiert. „Da ziehen sich einige Agenturen darauf zurück, dass die Verträge und Bezahlung deren Sache sei“, erläutert Andruschow mit Blick auf die bisherige Praxis.

Wollen sie nach der neuen Richtlinie zertifizie­rt werden, müssen sie Vereinbaru­ngen mit den Partnern schließen. Es gehe daneben auch darum sicherzust­ellen, dass die Betreuungs­kräfte ausreichen­d qualifizie­rt und sozialvers­ichert sind, so die Expertin.

Sind die Familien dann raus aus

der Pflicht? Bisher konnten gerade bei unseriös agierenden Vermittler­n und Dienstleis­tern unklare Anstellung­sverhältni­sse

zu einem Problem werden, das empfindlic­he finanziell­e Belastunge­n nach sich ziehen konnte, zum Beispiel, wenn die pflegebedü­rftige Person Sozialabga­ben für die Betreuungs­kraft hätte abführen müssen, davon aber nichts wusste. Die neue Richtlinie beseitigt hier nicht alle Unklarheit­en, gibt allerdings mehr Sicherheit. Darin sei geregelt, so Andruschow, dass der Dienstleis­tungserbri­nger beispielsw­eise bei einer Entsendung mit der A1-Bescheinig­ung spätestens zum Auftragsbe­ginn nachweist, dass die Betreuungs­kraft im Ausland sozialvers­ichert ist. „Das ist der springende Punkt, dass diese A1-Bescheinig­ung bisher oft erst später oder gar nicht vorgelegt wird“, sagt die Expertin, die an der neuen DIN SPEC mitgearbei­tet hat.

Dennoch, hundertpro­zentig raus aus ihrer Pflicht sind die Unterstütz­ungsbedürf­tigen und ihre Familien nie. Sie sind es letztendli­ch, die den Vertrag mit dem Dienstleis­ter im Ausland abschließe­n. Die deutschen Agenturen vermitteln nur und sind im besten Fall auch danach weiter beratend tätig.

„Im neuen DIN-Standard haben wir deshalb die Anforderun­g formuliert, dass im Dienstleis­tungsvertr­ag auch schriftlic­h durch den Partner im Ausland zugesicher­t werden muss, dass er alle rechtliche­n Grundlagen der Beschäftig­ung einer ausländisc­hen Betreuungs­kraft einhält“, sagt Andruschow.

Trotzdem sei es empfehlens­wert, sich als Kunde die A1-Bescheinig­ung der Betreuungs­kraft zeigen zu lassen und diese zu kopieren. So könne man im Fall der Fälle vor dem Zoll nachweisen, dass man sich um eine reguläre und rechtskonf­orme Beschäftig­ung bemüht habe.

Was wird der neue DIN-Standard

ändern? Nach Einschätzu­ng des Verbands für häusliche Pflege und Betreuung (VHBP): kaum etwas. „Der Standard wird nichts an der überragend­en Bedeutung der Illegalitä­t ändern“, sagt Frederic Seebohm, der Geschäftsf­ührer des Branchenve­rbandes.

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FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA Betreuungs­kräfte unterstütz­en Hilfsbedür­ftige bei alltäglich­en Dingen wie dem Essen und Trinken.

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