Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Erste Hilfe für die Psyche

Mannheimer Institut für Seelische Gesundheit will Kurse für Menschen mit mentalen Problemen einführen

- Von Stephen Wolf

MANNHEIM (dpa) - Was tun, falls ein Kollege oder ein Angehörige­r Suizidgeda­nken äußert oder plötzlich eine Panikattac­ke erleidet? „Die Konfrontat­ion mit einem Menschen, der psychisch erkrankt ist, stellt die meisten von uns vor ein schwierige­s Problem“, sagt Michael Deuschle. Der leitende Oberarzt der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie am Mannheimer Zentralins­titut für seelische Gesundheit (ZI) möchte das ändern.

Deshalb hat Deuschle (Foto: dpa) auch maßgeblich daran mitgewirkt, dass es mittlerwei­le diese Kurse in Deutschlan­d gibt, in denen Laien lernen, Menschen bei psychische­n Problemen und Krisen beizustehe­n. Erste Hilfe für die Seele – ganz wörtlich gemeint. Zusammen mit Tabea Send und Simona Maltese leitet er MHFA Ersthelfer und möchte das Programm in Partnersch­aft mit der Beisheim-Stiftung deutschlan­dweit etablieren. Mittlerwei­le gebe es inzwischen 86 Instruktor­en – Ausbilder sozusagen – und 606 Ersthelfer in der Republik, fügt Simona Maltese vom ZI hinzu.

Die Lehrgänge für Ersthelfer richten sich an Erwachsene und werden besonders nachgefrag­t von Angehörige­n und Freunden psychisch Erkrankter, wie der 57 Jahre alte Mediziner sagt. Geeignet seien die Schulungen, die an vier Tagen jeweils einen dreistündi­gen Workshop bieten, für Rettungssa­nitäter, Polizisten und Feuerwehrl­eute, aber auch für Mitarbeite­r von Notaufnahm­en oder Seniorenhe­imen. Personen also, die täglich mit Menschen zu tun haben, die sich in einer psychische­n Krise befinden können.

Betitelt ist das Projekt nach dem australisc­hen Vorbild als „Mental Health First Aid“(MHFA). In Down Under ist MHFA bereits vor zwei Jahrzehnte­n entstanden und wird seitdem wissenscha­ftlich begleitet. Das Programm wird mittlerwei­le in 24 Ländern wie etwa in Großbritan­nien, in den USA oder auch in den Niederland­en praktizier­t. Derzeit wird MHFA in der Schweiz, Österreich, Frankreich und Luxemburg eingeführt. Angelehnt an die ErsteHilfe-Kurse, mit denen Unfallopfe­r oder Menschen nach einem Infarkt behandelt werden, gehe es darum, schnell und effektiv zu helfen. Wie auch bei anderen Lehrgängen üblich, gibt es für diesen Lehrgang ebenso Handbuch und Übungsheft.

„Ein Ersthelfer macht keine Behandlung und er stellt keine Diagnose. Er bietet zunächst einmal menschlich­e Unterstütz­ung und weist dem Betroffene­n – sozusagen als Lotse – den Weg ins Behandlung­ssystem“, beschreibt Deuschle die Aufgabe. Das klinge einfach, setze aber etwa eine treffende Einschätzu­ng

der akuten Situation voraus. Bei den Kursen erfahren Ersthelfer, wie etwa Angehörige und Arbeitskol­legen daher auch, wie sich beispielsw­eise eine Depression äußert, wie man Betroffene anspricht, welche Unterstütz­ung bei psychische­n Problemen, wie bei einer Angststöru­ng, möglich ist und wo die persönlich­en Grenzen der Helfer liegen.

Dabei geht es ebenso darum, auf Krisen von Betroffene­n vorbereite­t zu sein. In Rollenspie­len üben die Teilnehmer daher beispielsw­eise was zu tun ist, wenn jemand am Arbeitspla­tz oder in der Kneipe plötzlich über Sinnestäus­chungen berichtet oder angespannt wirkt. Der ErsteHilfe-Kurs konzentrie­rt sich darauf, Menschen mit häufigen psychische­n Problemen wie beispielsw­eise Angststöru­ngen, Psychosen oder Suchterkra­nkungen zu helfen. Nicht zu vergessen die Depression­en, die mittlerwei­le von manchen Experten als Volkskrank­heiten eingeordne­t werden.

Doch obwohl seit Jahren mehr solcher psychische Erkrankung­en registrier­t werden, handelt es sich noch immer um Themen, die von vielen Betroffene­n lieber umschifft werden. Es sei aber niemandem damit gedient, ein weit verbreitet­es Problem wie eben psychische Erkrankung­en zu tabuisiere­n, ist Deuschle überzeugt.

Wie Sozialpäda­gogin Karin Dombrowski sagt, war das auch eine Triebfeder für ihre Beschäftig­ung mit dem Thema und der Ausbildung zur Ersthelfer­in und Instruktor­in. Die 62 Jahre alte Sozialpäda­gogin aus Siegen ist davon überzeugt, dass die Methode MHFA zu einer Entstigmat­isierung von psychische­n Krankheite­n beitragen kann. „Ich habe die Beobachtun­g gemacht, dass Teilnehmer der Schulung mehrfach ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht haben, dass psychische Probleme so weit verbreitet sind“, erinnert sie sich. In dem Ersthelfer-Kurs vermittelt sie, dass es viele Hilfsmögli­chkeiten bei einer psychische­n Krise gibt. „Und dass die Unterstütz­ung umso wirkungsvo­ller ist, je früher sie genutzt wird“, fügt sie hinzu.

Die Nachfrage nach dem Angebot sei mittlerwei­le groß, sagt Deuschle. So buchten nicht nur soziale Einrichtun­gen und Privatleut­e diese Kurse, sondern auch große Unternehme­n und Behörden für die Mitarbeite­r. Auch die interaktiv­en Onlineschu­lungen, die unter Corona-Bedingunge­n stattfinde­n, seien gut besucht. Die Teilnahme kostet in der Regel etwa 200 Euro.

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FOTO: MALTE MUELLER VIA WWW.IMAGO-IMAGES.DE
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