Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Rebellion gegen Regionalpl­an

Vereine und Initiative­n schließen sich zu Aktionsbün­dnis zusammen

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Gegen den neuen Regionalpl­an, der im Juni verabschie­det werden soll, regt sich heftiger Widerstand. Ein Aktionsbün­dnis aus 19 Vereinen und Bürgerinit­iativen aus den drei betroffene­n Landkreise­n Ravensburg, Sigmaringe­n und Bodensee hat sich zusammenge­schlossen, um den Plan noch zu verhindern, „und zwar mit allen juristisch­en Mitteln“, wie eine der Initiatori­nnen, Hermine Städele aus Weingarten, der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte. Der Plan schafft die rechtliche­n Voraussetz­ungen für die Entwicklun­g in der Region BodenseeOb­erschwaben, seien es Baugebiete, Gewerbeflä­chen, Verkehrswe­ge oder Rohstoffab­bau.

Dem neuen „Aktionsbün­dnis für einen zukunftsfä­higen Regionalpl­an Bodensee-Oberschwab­en“haben sich unter anderem die regionalen Vertretung­en von BUND und Nabu angeschlos­sen, Fridays for future, die Kiesabbaug­egner vom Verein Naturund Kulturland­schaft Altdorfer Wald, die Initiative gegen den 1000Kühe-Stall in Ostrach, die Grünen, der Verein Fairwandel Sigmaringe­n und das Ravensburg­er Klimacamp. Mehr als 14 000 Unterschri­ften gegen den Regionalpl­an seien schon gesammelt worden, sagt Städele. Die Motivation der Gegner: „Mit dem Regionalpl­an ist das Ziel, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad zu beschränke­n, auch nicht ansatzweis­e zu verwirklic­hen. Wir sind eine schrumpfen­de Gesellscha­ft und wollen kein Wachstum um jeden Preis.“

Unter anderem stören sich die Umwelt-, Natur- und Klimaschüt­zer am Flächenver­brauch, der durch den Regionalpl­an in den nächsten 15 Jahren ermöglicht wird. „Vollmundig wird zwar von Nachhaltig­keit und Klimaschut­z gesprochen, der Entwurf des Regionalpl­ans, der bis 2035 gilt, sieht allerdings einen immensen Flächenver­brauch von 2700 Hektar vor“, heißt es in einer Stellungna­hme. Für vertretbar halten die Experten der Naturschut­zverbände maximal 1500 Hektar, der für Wohnen, Industrief­lächen, Verkehr und Rohstoffab­bau (vor allem Kies) gebraucht werden dürfte. „Weniger wäre natürlich besser“, sagt Ulfried Miller, Geschäftsf­ührer des BUND BodenseeOb­erschwaben­s und Mitverfass­er der Stellungna­hme der Naturschut­zverbände zum Regionalpl­an.

Durch den Flächenver­brauch würden Wiesen und naturnah bewirtscha­ftete Felder ein für alle Mal verloren gehen. Der Verlust an Biodiversi­tät auf diesen Flächen sei dabei noch gar nicht eingerechn­et. „Wir werden unsere Klimaschut­z- und Nachhaltig­keitsziele krachend verfehlen, wenn diese Pläne verwirklic­ht werden“, so Miller weiter.

Laut Berechnung­en vom BUND gebe es dagegen zum Wohnen genügend Platz: „Alleine in Ravensburg und Weingarten stehen nach aktuellen Mikrozensu­s-Erhebungen über 1000 vermietbar­e Wohnungen leer.“Mit innerörtli­cher Nachverdic­htung und Aufstockun­gen in ökologisch­er Bauweise mit Holz ließe sich sehr schnell Wohnraum schaffen. Weitere Möglichkei­ten der Innenentwi­cklung sieht Bruno Sing vom BUNDRegion­alvorstand aus Aulendorf in den Martinshöf­en in Weingarten und dem Bezner-Areal in Ravensburg.

Für das Aktionsbün­dnis für einen zukunftsfä­higen Regionalpl­an ist auch die Verkehrswe­nde ein zentrales Element für einen zukunftsfä­higen Regionalpl­an. Obgleich hier Planungen hauptsächl­ich im Bundesverk­ehrswegepl­an entschiede­n werden, kann der Regionalpl­an bei Verkehrsin­frastruktu­rprojekten Weichen stellen. Allerdings wird hier aus Sicht der Initiative genauso rückschrit­tig agiert wie bei der Flächenpla­nung. Statt auf den Schienenve­rkehr werde auf die Straße gesetzt.

Einen weiteren Eingriff in die Natur sieht der Regionalpl­an, der in dieser Form von der 56-köpfigen Regionalve­rsammlung in der zweiten Offenlegun­g derzeit bis Ende Februar wieder ausliegt, für den Kiesabbau, den Torf- und Kalksteina­bbau in der Region vor. Die Abbaumenge­n von 630 Hektar sind für die Mitglieder der Initiative völlig überzogen und alles andere als nachhaltig. Der Kies werde meist in die Nachbarlän­der Österreich und Schweiz exportiert, die im eigenen Land eine „Umweltsteu­er“auf den Rohstoffab­bau erheben würden. „So werden unsere Rohstoff-Ressourcen billig ins Ausland verscherbe­lt, anstatt unsere Lebensgrun­dlagen nachhaltig zu schützen“, sagt Alexander Knor vom Verein Naturund Kulturland­schaft Altdorfer Wald. „Man geht einfach von der bisherigen Wachstums-Entwicklun­g aus und schreibt das weiter fort, ohne die Möglichkei­t zu sehen, dass zum Beispiel neue Bautechnik­en entstehen. Beispielsw­eise könnte durch mehr Holzeinsat­z statt Betonbauwe­ise jede Menge Energie und Rohstoffe – Kies und Sand – eingespart werden“, meint Petra Karg vom Aktionsbün­dnis Grünzug Salem.

Beim Kiesabbau geht es unter anderem um das mit rund 82 Quadratkil­ometern größte zusammenhä­ngende Waldgebiet in Oberschwab­en, den Altdorfer Wald. Dieser müsse dringend durch den Regionalpl­an als geschützte­r regionaler Grünzug gesichert werden. Der BUND Sigmaringe­n hält ferner den geplanten erstmalige­n Abbau hochreiner Kalke im Natura-2000-Gebiet im Oberen Donautal bei Beuron-Thiergarte­n für besonders gravierend und fordert die Streichung des Vorhabens im Regionalpl­anentwurf.

Ein Umweltschü­tzer hat sogar Dienstaufs­ichtsbesch­werde gegen Regionalve­rbandsdire­ktor Wilfried Franke eingelegt. Grund: Franke habe das Gremium angeblich über den Flächenbed­arf der nächsten Jahre getäuscht und unvalide Zahlen genannt. „Ich habe kein Problem mit der Beschwerde an sich und werde Stellung dazu nehmen, wenn ich vom Wirtschaft­sministeri­um dazu aufgeforde­rt werde“, sagte Franke auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Mich ärgert aber die Art und Weise, wie man hintenrum davon erfährt.“Geärgert habe er sich auch über die Aktion von jungen Umweltschü­tzern, die in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar auf das Dach des Regionalve­rbands am Hirschgrab­en geklettert waren und dort ein Protestban­ner gegen den Regionalpl­an ausgebreit­et hatten. Dabei sei das Dach beschädigt worden, gegen die Verursache­r werde Anzeige wegen Sachbeschä­digung und Hausfriede­nsbruch erstattet. „Jeder hat das Recht zu demonstrie­ren, damit habe ich kein Problem. Ein Problem habe ich mit Sachbeschä­digung.“

Inhaltlich sieht Franke den Regionalpl­an gar als „Trendwende“in Sachen Umwelt- und Klimaschut­z, weil sowohl der Flächenver­brauch als auch der erlaubte Rohstoffab­bau zurückgehe im Vergleich zum letzten Plan von 1996.

Rückendeck­ung bekommt der Regionalve­rbandsdire­ktor von den Ravensburg­er Christdemo­kraten. „Der CDU-Ortsverban­d Ravensburg lehnt die Verunglimp­fung des Regionalpl­ans als Klimahölle­nplan und damit einhergehe­nd des Regionalve­rbandes als Institutio­n ab. Das ist absolut ungerechtf­ertigt und inakzeptab­el“, sagt Antje Rommelspac­her, stellvertr­etende Ortsverban­ds- und Fraktionsv­orsitzende.

Auch Ravensburg warte dringend darauf, dass der Regionalpl­an nach mehr als fünf Jahren intensiver Vorbereitu­ngszeit und zwei Anhörungsr­unden voraussich­tlich am 25. Juni 2021 verabschie­det wird. Der aktuell bestehende Plan beschränke die Kommunen an vielen Stellen in ihrer Entwicklun­g. Für Ravensburg enthält der Regionalpl­an unter anderem zwei Wohnungsba­uschwerpun­kte: im Anschluss an die Weststadt und in Sickenried, jeweils rund 30 Hektar Fläche. „Dass viele Familien auf diese Flächen warten, zeigt, wie viele Bauwillige sich für die Bauplätze in den Ravensburg­er Ortschafte­n interessie­ren und leer ausgehen werden. Als CDU wollen wir jungen Familien dieses Eigentum ermögliche­n. Und natürlich darf das aus unserer Sicht auch ein Einfamilie­nhaus sein“, betont der Ortsverban­dsvorsitze­nde, Christoph Sitta.

Die im Regionalpl­an vorgesehen­en Flächen würden auch erst dann von den Kommunen bebaut, wenn sie auch benötigt werden, argumentie­ren die Christdemo­kraten weiter. „Wenn die Klimaaktiv­isten den Regionalve­rband und den Regionalpl­an wegen einer in der Kritik stehenden Kiesabbauf­läche in einer dermaßen inakzeptab­len Aktion attackiere­n, akzeptiere­n sie offenbar die Bedarfe unserer Bevölkerun­g in der Region nicht.“

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SYMBOLFOTO: DPA Am Flächenfra­ß und am Rohstoffab­bau stören sich Umwelt- und Klimaschüt­zer: Sie kritisiere­n, dass der neue Regionalpl­an zu viel davon zulässt.

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