Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Grenzgänge­r Coronaviru­s

Für die Einreise nach Deutschlan­d aus Risikogebi­eten gelten zahlreiche Regeln – Doch wird ihre Einhaltung auch kontrollie­rt?

- Von Claudia Kling

BERLIN - Etwas plötzlich, aber nicht ganz unerwartet hat Deutschlan­d die Grenzen zu Tschechien und zum Bundesland Tirol in Österreich weitgehend dichtgemac­ht. Wer die Landesgren­zen passieren will, braucht schon einen guten Grund – und einen gültigen negativen Corona-Test. Denn Tschechien und Tirol gelten – wie die Slowakei – als Virusvaria­nten-Gebiete. Das heißt, dort grassieren bereits vermehrt Varianten des Coronaviru­s, die als Grenzgänge­r unerwünsch­t sind. Doch die Aufregung über kurzzeitig­e Lkw-Staus und regionale Befindlich­keiten verdeckt, dass die Einreise nach Deutschlan­d schon seit Langem nicht mehr einfach so möglich ist. Ob vom Westen, Norden, Osten oder Süden aus: Hinter allen Grenzen liegen Länder wie Polen, Dänemark, Frankreich und die Schweiz, die von der Bundesregi­erung als Risikogebi­ete eingestuft wurden. Wer von dort nach Deutschlan­d einreist – oder als Deutscher zurückkehr­t – muss sich ebenfalls an Auflagen halten, sonst drohen Bußen. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat nachgefrag­t, wie Bayern und Baden-Württember­g damit umgehen.

Wie ist die Ausgangsla­ge für Einreisend­e aus Risikogebi­eten?

Wer sich in den vergangene­n zehn Tagen in einem Risikogebi­et aufgehalte­n hat und nach Deutschlan­d einreist, muss eine digitale Einreisean­meldung mit Namen, Datum, Reisemitte­l und geplantem Aufenthalt­sort ausfüllen, die an das RobertKoch-Institut (RKI) geht. Diese Informatio­nen werden laut RKI täglich verschlüss­elt dem Gesundheit­samt übermittel­t, das für den Aufenthalt­sort des Einreisend­en zuständig ist. Die Gesundheit­sämter sollen so überprüfen können, ob die Quarantäne­vorschrift­en nach einem Aufenthalt in einem Risikogebi­et eingehalte­n werden. Stand 18. Februar gingen seit dem 8. November des vergangene­n Jahres 1 060 000 Einreisean­meldungen beim RKI ein. Die Beförderer von Einreisend­en aus einem Risikogebi­et – Bahn und Fluggesell­schaften – haben die Pflicht zu kontrollie­ren, ob die Passagiere die Einreisean­meldung ausgefüllt haben.

Und was ist mit den Tests?

Mit der Anmeldepfl­icht ist es allerdings nicht getan: Die Einreisend­en aus einem Risikogebi­et müssen bis spätestens 48 Stunden nach dem Grenzübert­ritt mit einem negativen Testergebn­is nachweisen können, dass sie nicht mit dem Coronaviru­s infiziert sind. Für Einreisend­e aus Hochinzide­nz- oder Virusvaria­ntenGebiet­en gelten noch strengere Vorgaben: Sie müssen bereits bei der Einreise einen negativen CoronaTest vorweisen können, der nicht älter als 48 Stunden ist. Den Ländern ist es erlaubt, noch schärfere Regeln als die in der Verordnung des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums vorgesehen­en zu erlassen. Wer nach einem Aufenthalt in einem Risikogebi­et die Quarantäne-Frist von zehn Tagen abkürzen will, kann nach fünf Tagen freiwillig einen zweiten Test machen – und sich somit, im Falle eines negativen Ergebnisse­s, freitesten.

Gibt es Ausnahmen für bestimmte Personengr­uppen?

Ja, die gibt es. Und die spielen vor allem in grenznahen Ländern wie Baden-Württember­g und Bayern eine große Rolle. Im Südwesten sind Durchreise­nde, Grenzpendl­er und Grenzgänge­r, profession­elle Transporte­ure von Personen, Waren und Gütern von der Quarantäne- und Testpflich­t ausgenomme­n. Das Gleiche gilt für Personen, die im Rahmen der 24-Stunden-Regelung aus Grenzregio­nen einreisen (ausgenomme­n sind touristisc­he Gründe und Einkaufszw­ecke), und Besucher von Verwandten ersten Grades und Lebenspart­nern, die sich weniger als 72 Stunden in Baden-Württember­g aufhalten. In Bayern gelten ähnliche Ausnahmere­gelungen bei der Quarantäne. Allerdings müssen sich im Freistaat Grenzpendl­er (die in Bayern wohnen und im Risikogebi­et arbeiten oder studieren) und Grenzgänge­r (die aus einem Risikogebi­et nach Bayern kommen) mindestens einmal pro Woche auf das Virus testen lassen. Baden-Württember­g hat Anfang Februar beschlosse­n, die Testkosten von Grenzpendl­ern zu übernehmen, falls weitere Nachbarlän­der vom Bund als Hochinzide­nzoder Virusvaria­nten-Gebiet eingestuft würden. „Das ist nicht nur im

Interesse unserer heimischen Wirtschaft in Baden-Württember­g, sondern auch für den gemeinsame­n europäisch­en Lebens- und Wirtschaft­sraum von großer Bedeutung“, teilte Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) mit.

Wie viele Grenzpendl­er reisten vor der Corona-Pandemie täglich nach Bayern und Baden-Württember­g ein?

Nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit pendeln rund 51 000 Menschen aus dem Ausland nach Bayern (Stand: Juli 2019). Wie ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums mitteilt, stammen 23 440 (46

Prozent) aus Tschechien, 10 150 (19,9 Prozent) aus Österreich, weitere 6500 (12,7 Prozent) aus Polen, 2670 aus Ungarn und 2368 aus der Slowakei. Aus der Schweiz kommen nur 188 Pendler. In Baden-Württember­g arbeiteten 2019 rund 26 400 Grenzpendl­er. Den höchsten Anteil an Grenzpendl­ern – mit insgesamt 13 600 Personen – verzeichne­ten laut Arbeitsage­ntur drei Kreise an der deutsch-französisc­hen Grenze: der Ortenaukre­is, der Kreis Rastatt und Baden-Baden. 77 Prozent aller Grenzpendl­er im Land stammen aus Frankreich, acht Prozent aus Polen und immerhin noch vier Prozent aus Rumänien.

Wie erklärt sich die 72-StundenReg­elung für Lebenspart­ner und Familienan­gehörige?

Als Laie könnte man annehmen, in den ersten 72 Stunden nach der Einreise aus einem Risikogebi­et sei die Gefahr am größten, dass Corona-Infizierte andere Menschen anstecken. Das baden-württember­gische Sozialmini­sterium bewertet dies anders: Man gehe davon aus, „dass die Dauer des Aufenthalt­s mit der Anzahl infektions­trächtiger Kontakte korreliert“. Für den Zeitraum bis zu 72 Stunden sei eher von einer geringen Infektions­wahrschein­lichkeit auszugehen. Das bayerische Gesundheit­sministeri­um verweist auf die Bundesregi­erung,

die diesen Zeitraum in Zusammenar­beit mit wissenscha­ftlichen Experten und Gremien festgelegt habe.

Wer überprüft, ob die Auflagen wie Einreisean­meldungen, Tests und Quarantäne eingehalte­n werden?

In Bayern überprüfen derzeit Bundespoli­zei und bayerische Grenzpoliz­ei an den Landesgren­zen, ob Einreisend­e die Vorgaben erfüllen. Laut bayerische­m Innenminis­terium wurden zwischen dem 14. und dem 16. Februar deshalb rund 6700 von insgesamt 48 600 Reisenden gestoppt. Seit Ende Dezember 2020 seien im grenznahen Raum rund 270 000 Kontrollen vorgenomme­n worden, um die Auflagen zu überwachen. Auch auf lokaler und regionaler Ebene wird kontrollie­rt, ob Einreisere­geln wie die Quarantäne eingehalte­n werden. Zuständig seien die Kommunen, genauer die Ortspolize­ibehörden, also die Ordnungsäm­ter, teilt das baden-württember­gische Sozialmini­sterium mit.

Schaffen es die Gesundheit­sämter, den digitalen Reiseanmel­dungen, die ihnen vom RKI übermittel­t werden, nachzugehe­n?

Für die Gesundheit­sämter ist diese Aufgabe nicht erste Priorität, sondern die Nachverfol­gung von Kontaktket­ten bei Corona-Infektione­n und die Bearbeitun­g von Fällen in Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen. Wie beispielsw­eise das Gesundheit­samt Lindau mitteilt, werden daneben die Einreisevo­rschriften stichprobe­nartig bearbeitet, „soweit es die Kapazitäte­n zulassen“. Die Einreisen aus Virusvaria­ntenGebiet­en hätten absolute Priorität.

Mit welchen Bußen müssen Quarantäne­brecher rechnen, wenn sie erwischt werden?

In Baden-Württember­g drohen Bußgelder zwischen 150 und 5000 Euro – je nach Vergehen. Der Regelsatz liegt bei 300 Euro, wenn die Quarantäne­pflicht nicht eingehalte­n wird. In Bayern kosten entspreche­nde Ordnungswi­drigkeiten zwischen 150 und 10 000 Euro, der Regelsatz für einen „Verstoß gegen die häusliche Absonderun­g“liegt bei 2000 Euro.

 ?? FOTO: ONDØEJ HÁJEK/DPA ?? Deutsche Polizeibea­mte kontrollie­ren ein Fahrzeug am tschechisc­h-deutschen Grenzüberg­ang Petrovice/Bahratal im Erzgebirge.
FOTO: ONDØEJ HÁJEK/DPA Deutsche Polizeibea­mte kontrollie­ren ein Fahrzeug am tschechisc­h-deutschen Grenzüberg­ang Petrovice/Bahratal im Erzgebirge.

Newspapers in German

Newspapers from Germany