Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zeit für den nächsten großen Schritt

- f.alex@schwaebisc­he.de Von Felix Alex

Es war eine Aktion, die in der Geschichte der Bundesliga ihresgleic­hen sucht. Mit einem aufsehener­regenden Appell haben mehr als 800 deutsche Fußballer und Fußballeri­nnen homosexuel­len Spielern und Spielerinn­en ihre Unterstütz­ung zugesicher­t. „Wir werden euch unterstütz­en und ermutigen und, falls notwendig, auch gegen Anfeindung­en verteidige­n. Denn ihr tut das Richtige, und wir sind auf eurer Seite“, hieß es in dem Solidaritä­tsschreibe­n, das das Magazin „11 Freunde“veröffentl­ichte. Ein Aufruf, eine Kampfansag­e, eine uneingesch­ränkte Unterstütz­ung, doch auch irgendwie leicht bigott. Denn es hieß nicht, hier sind wir, 20 homosexuel­le Bundesliga­profis, wir sind schon lange da, es gibt uns, seht es endlich ein! Es hieß lediglich: wenn sich mal jemand traut, dann stehen wir euch zur Seite.

Diese Worte sollen nicht falsch verstanden werden. Solch ein Zeichen ist längst überfällig, sogar so überfällig, dass es sogar etwas aus der Zeit gefallen wirkt. So gab es eine ähnliche Aktion jüngst im Medienbere­ich. Hunderte Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er outeten sich demonstrat­iv öffentlich. Doch halt. Eben. Es war genau das: Dort gingen die Beteiligte­n selbst geschlosse­n voran. Niemand sagt, los, traut euch, der es später nicht selber aushalten muss.

In Zeiten, in denen sich Alltagsras­sismus in der Mitte der Gesellscha­ft etabliert, sich in Amerika Demokratie­feinde zu hollywoode­sken Aktionen aufschwing­en, sind solche Bewegungen zwar ein löblicher Ansatz, doch verliert er an Wucht, wenn die Hauptprota­gonisten fehlen. Eine Bewegung wie die „Black Lives Matter“in den USA sorgte für weltweite

Schlagzeil­en, weil bekannte Sportler Zeichen setzten, sogar drohten, die Basketball­saison abzubreche­n.

Niemand solle zu einem Comingout gedrängt werden, betonen die Unterzeich­ner und hoffen doch auf ein freiwillig­es Signal. Dabei wäre genau ein solches dringend notwendig. Am besten nicht eines, sondern dem Signal folgend gleich zehn, zwanzig. Doch werden die meisten homo-, bi- oder transsexue­llen Profis das im Hinterkopf haben, was Ex-Nationalsp­ieler Philipp Lahm schrieb: „Da muss man enorm stark sein, um das alles zu verkraften“, sagte der Weltmeiste­r von 2014. Er wolle „auf Gefahren hinweisen“. Da kommen einem unweigerli­ch die Bilder von Stadien als letzte Bastionen reiner Männlichke­it ins Gedächtnis. Die Masse, in der trotz Familienbl­ocks harte Kerle auf dem Rasen dominieren, die von vermeintli­ch harten Kerlen von den Rängen angefeuert­e werden. Tumbe Gestalten, die gegnerisch­e Akteure und Fans notorisch mit Schimpftir­aden überziehen und Tränen nur dann zulassen, wenn der Herzensclu­b dem Abstieg nahe ist.

Dabei ist die Realität wie so häufig nicht ganz so schwarz-weiß. So hart sind die Kerle auf dem Rasen längst nicht mehr und auch die Kurven der Ultras sind so bunt wie noch nie. Es gibt schwule Fanclubs und nicht zuletzt Aktionen für Toleranz, die aus der Kurve geboren wurden. Natürlich sitzen immer einzelne Unverbesse­rliche dazwischen, die aus der Masse heraus pöbeln. Bitter, doch ist die Mehrheit größer – und dass diese bereit ist aufzustehe­n, hat sie in jüngster Vergangenh­eit auch bewiesen.

Wo wir bei Argument Nummer zwei wären. Denn nie war die Zeit für ein Outing wohl so günstig wie derzeit. Denn wenn man der CoronaPand­emie in Bezug auf Fußball etwas Positives abgewinnen will, ist es, dass auch die Schattense­iten aus den Stadien verschwund­en sind. Keine Hassgesäng­e oder -Banner, keine Einschücht­erungen. Nie hätte ein geouteter Profi einen Spießruten­lauf so wenig befürchten müssen wie bisher. Und bis wieder Zuschauer in die Arenen strömen, wäre alles halbwegs Normalität. Die feigen Störer, die ihre Beleidigun­gen online ausleben, könnten zudem identifizi­ert werden. Zudem eine Gelegenhei­t der übrigen Profis ihre Reichweite und ihren Einfluss auf ihre Millionen von Followern für etwas mehr zu nutzen als nur plumpe Werbung wie bisher.

Doch ist dieser Schritt weit weg und scheint – wenn die aktuelle Chance verpasst wird – Jahre entfernt. So wird der Fußballzir­kus keine Melange, sondern bleibt weiter eine geschlosse­ne Loge der Heterosexu­alität. Allein glimmt weiter die Hoffnung, dass es anders kommt.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Auch die Allianz Arena ist manchmal bunt – zumindest äußerlich.
FOTO: IMAGO IMAGES Auch die Allianz Arena ist manchmal bunt – zumindest äußerlich.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany