Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zeit für den nächsten großen Schritt
Es war eine Aktion, die in der Geschichte der Bundesliga ihresgleichen sucht. Mit einem aufsehenerregenden Appell haben mehr als 800 deutsche Fußballer und Fußballerinnen homosexuellen Spielern und Spielerinnen ihre Unterstützung zugesichert. „Wir werden euch unterstützen und ermutigen und, falls notwendig, auch gegen Anfeindungen verteidigen. Denn ihr tut das Richtige, und wir sind auf eurer Seite“, hieß es in dem Solidaritätsschreiben, das das Magazin „11 Freunde“veröffentlichte. Ein Aufruf, eine Kampfansage, eine uneingeschränkte Unterstützung, doch auch irgendwie leicht bigott. Denn es hieß nicht, hier sind wir, 20 homosexuelle Bundesligaprofis, wir sind schon lange da, es gibt uns, seht es endlich ein! Es hieß lediglich: wenn sich mal jemand traut, dann stehen wir euch zur Seite.
Diese Worte sollen nicht falsch verstanden werden. Solch ein Zeichen ist längst überfällig, sogar so überfällig, dass es sogar etwas aus der Zeit gefallen wirkt. So gab es eine ähnliche Aktion jüngst im Medienbereich. Hunderte Schauspielerinnen und Schauspieler outeten sich demonstrativ öffentlich. Doch halt. Eben. Es war genau das: Dort gingen die Beteiligten selbst geschlossen voran. Niemand sagt, los, traut euch, der es später nicht selber aushalten muss.
In Zeiten, in denen sich Alltagsrassismus in der Mitte der Gesellschaft etabliert, sich in Amerika Demokratiefeinde zu hollywoodesken Aktionen aufschwingen, sind solche Bewegungen zwar ein löblicher Ansatz, doch verliert er an Wucht, wenn die Hauptprotagonisten fehlen. Eine Bewegung wie die „Black Lives Matter“in den USA sorgte für weltweite
Schlagzeilen, weil bekannte Sportler Zeichen setzten, sogar drohten, die Basketballsaison abzubrechen.
Niemand solle zu einem Comingout gedrängt werden, betonen die Unterzeichner und hoffen doch auf ein freiwilliges Signal. Dabei wäre genau ein solches dringend notwendig. Am besten nicht eines, sondern dem Signal folgend gleich zehn, zwanzig. Doch werden die meisten homo-, bi- oder transsexuellen Profis das im Hinterkopf haben, was Ex-Nationalspieler Philipp Lahm schrieb: „Da muss man enorm stark sein, um das alles zu verkraften“, sagte der Weltmeister von 2014. Er wolle „auf Gefahren hinweisen“. Da kommen einem unweigerlich die Bilder von Stadien als letzte Bastionen reiner Männlichkeit ins Gedächtnis. Die Masse, in der trotz Familienblocks harte Kerle auf dem Rasen dominieren, die von vermeintlich harten Kerlen von den Rängen angefeuerte werden. Tumbe Gestalten, die gegnerische Akteure und Fans notorisch mit Schimpftiraden überziehen und Tränen nur dann zulassen, wenn der Herzensclub dem Abstieg nahe ist.
Dabei ist die Realität wie so häufig nicht ganz so schwarz-weiß. So hart sind die Kerle auf dem Rasen längst nicht mehr und auch die Kurven der Ultras sind so bunt wie noch nie. Es gibt schwule Fanclubs und nicht zuletzt Aktionen für Toleranz, die aus der Kurve geboren wurden. Natürlich sitzen immer einzelne Unverbesserliche dazwischen, die aus der Masse heraus pöbeln. Bitter, doch ist die Mehrheit größer – und dass diese bereit ist aufzustehen, hat sie in jüngster Vergangenheit auch bewiesen.
Wo wir bei Argument Nummer zwei wären. Denn nie war die Zeit für ein Outing wohl so günstig wie derzeit. Denn wenn man der CoronaPandemie in Bezug auf Fußball etwas Positives abgewinnen will, ist es, dass auch die Schattenseiten aus den Stadien verschwunden sind. Keine Hassgesänge oder -Banner, keine Einschüchterungen. Nie hätte ein geouteter Profi einen Spießrutenlauf so wenig befürchten müssen wie bisher. Und bis wieder Zuschauer in die Arenen strömen, wäre alles halbwegs Normalität. Die feigen Störer, die ihre Beleidigungen online ausleben, könnten zudem identifiziert werden. Zudem eine Gelegenheit der übrigen Profis ihre Reichweite und ihren Einfluss auf ihre Millionen von Followern für etwas mehr zu nutzen als nur plumpe Werbung wie bisher.
Doch ist dieser Schritt weit weg und scheint – wenn die aktuelle Chance verpasst wird – Jahre entfernt. So wird der Fußballzirkus keine Melange, sondern bleibt weiter eine geschlossene Loge der Heterosexualität. Allein glimmt weiter die Hoffnung, dass es anders kommt.