Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ein letztes Mal „Feuer und Brisanz“
Schalke steht nach Derbypleite gegen den BVB vor dem Abstieg – Fans sorgen für Unmut
GELSENKIRCHEN (SID/dpa) - Nach dem ausgelassenen Siegestanz vor dem leeren Gästeblock in der Schalker Arena überkam Marco Reus ein wenig Wehmut. „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich sie schon drin lassen“, sagte der Kapitän von Borussia Dortmund nach dem 4:0 (2:0) im 180. und wohl vorerst letzten Revierderby ins Sky-Mikrofon. Doch weil nicht der Nationalspieler über die Bundesliga-Zugehörigkeit entscheidet, sondern die Punktausbeute, wird Schalke 04 am Saisonende aller Voraussicht nach zum vierten Mal in die zweite Liga absteigen – und nicht nur Reus werden „die Brisanz und das Feuer“der besonderen Duelle der Erzrivalen fehlen.
Auch die Fans beider Lager demonstrierten am Wochenende, welche Bedeutung das Derby im Ruhrpott hat. Ungeachtet des coronabedingten Zuschauerverbots versuchten rund 200 frustrierte Schalker Anhänger nach Schlusspfiff in das Stadion zu gelangen, wurden aber erfolgreich daran gehindert. Laut Polizei wurde gegen einen Fan ein Strafverfahren eingeleitet, aber niemand verletzt. Schon vor dem Anpfiff soll es einen Vorfall im Mannschaftshotel gegeben haben. Einige Ultras sollen in den Besprechungsraum gelangt sein, trafen dort aber nicht das Team, sondern nur Sportvorstand Jochen Schneider und Teammanager Sascha Riether an
Dagegen wurden die Dortmunder von ihrem Anhang bei der Rückkehr zum eigenen Trainingszentrum euphorisch gefeiert. Weil einige der rund 150 bis 200 Fans dabei weder Masken trugen noch den notwendigen Abstand einhielten, räumte der BVB Verstöße gegen die Corona-Regeln ein. Auf einem Video, das auf dem Account von Mahmoud Dahoud auf Instagram zeitweise veröffentlicht, aber später gelöscht worden war, war zu sehen, wie Reus, Erling Haaland, Emre Can & Co. hinter der Frontscheibe Fans zujubelten, die sie mit Pyro in Empfang nahmen. Die Dortmunder baten um Entschuldigung für die Vorkommnisse und versprachen, „mit der Polizei und allen Beteiligten sehr zeitnah darüber zu sprechen, wie solche Szenen in der Öffentlichkeit zukünftig komplett auszuschließen sind“. Nach Angaben der Dortmunder Polizei liegt wegen der Vorfälle eine Strafanzeige vor.
Es könnte dauern, bis eine der beiden Fangruppen wieder einen DerbySieg bejubeln darf. An das FußballWunder, das den einstigen Champions-League-Stammgast noch retten könnte, glauben selbst die Königsblauen nicht mehr mit Überzeugung. Auf die Frage, was denn noch für Schalke spreche, schwieg Trainer Christian Gross mehrere Sekunden lang, dann rang er nach Worten: „Der Glaube, die Hoffnung...“Nach der höchsten Derby-Heimpleite ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass Schalke als schlechtester Absteiger seit Einführung der Drei-Punkte-Regel in die Bundesliga-Geschichte eingeht. Der SC Freiburg kam 2005 auf 18 Zähler, die Gelsenkirchener haben zwölf Spiele vor Schluss die Hälfte. Selbst der Negativrekord von Tasmania Berlin von 1966 (umgerechnet zehn Punkte) ist noch nicht erreicht.
Wie wenig bundesligatauglich das aktuelle Team ist, zeigte sich gegen keineswegs überragende Dortmunder zum x-ten Mal. Nach seinem Traumtor per Seitfallzieher zum entscheidenden 2:0 (45.) wunderte sich Erling Haaland über seinen Gegenspieler Bastian Oczipka: „Ich war überrascht, dass der Verteidiger so weit weg war.“Der stand nur auf dem Platz, weil Rio-Weltmeister Shkodran Mustafi wegen muskulärer Probleme das Aufwärmen abgebrochen hatte.
Das erste Gegentor durch Jadon Sancho (42.) hatte der vermeintliche Führungsspieler Benjamin Stambouli mit seinem bereits dritten Ballverlust am eigenen Strafraum eingeleitet. Zu diesem Zeitpunkt war auch Torhüter Ralf Fährmann schon verletzt ausgeschieden. Rückkehrer Klaas-Jan Huntelaar, der mit seinen Toren den Abstieg verhindern sollte, fehlt ohnehin seit Wochen wegen einer Wadenverletzung.
Drei Tore in den letzten acht Pflichtspielen, kein einziges seit 412 Minuten, ein Sieg in den letzten 38 (!) Bundesligapartien, 56 Gegentreffer nach 22 Runden – Schalke ist so historisch schlecht, dass es selbst die Dortmunder schmerzt. „Es wäre für den Ruhrpott schade, wenn es keine Derbys mehr geben würde“, meinte Nationalspieler Emre Can: „Ich wünsche ihnen, dass sie in der Liga bleiben. Aber sie werden es definitiv schwer haben.“
Aktuell interessiert den BVB aber vor allem die Champions League. Sechs Punkte liegen die Dortmunder weiter hinter Platz vier, der zur erneuten Teilnahme an der Königsklasse berechtigt. „Wir sind jetzt wieder anders auf dem Platz, mit einer anderen Energie“, stellte Reus fest, „aber wir sind noch nicht über den Berg.“