Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Für Kauf von Stiefeln dasselbe Prozedere wie für ein Flugzeug“
BERLIN - Professor Johannes Varwick lehrt seit März 2013 Internationale Beziehungen und europäische
Politik an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg (Foto: privat). Im Gespräch mit André Bochow erklärt er, warum die Bundeswehr in Zukunft mehr politische Unterstützung benötigt und wieso sie so schwer zu reformieren ist.
Sie fordern ein Bundeswehrstärkungsgesetz. Warum?
Es geht darum, dass die Bundeswehr die Mittel bekommt, um den Auftrag, den die Politik für sie definiert, erfüllen zu können. Diese strategischen Aufgaben kann man nach meiner Ansicht nicht wechselnden Mehrheiten im Bundestag überlassen. Hier brauchen wir Verlässlichkeit.
Unter anderem sollen nach Ihren Vorstellungen der Mittelzuwachs bis 2031 und das berühmte ZweiProzent-Ziel festgeschrieben werden. Der Bundeswehretat ist seit 2014 von 32 Milliarden auf 45 Milliarden im Jahr 2020 gestiegen. Reicht das nicht?
Nicht für die eingegangenen Verpflichtungen. Auch das Ziel, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, ist ja von Deutschland unterschrieben worden. Also muss man entweder die Verpflichtungen reduzieren und in Kauf nehmen, als unzuverlässiger Partner angesehen zu werden, oder die Verpflichtungen einhalten. Dafür bedarf es langfristiger Finanzgarantien.
Also sehenden Auges in die Militarisierung der Außenpolitik?
Nein. Damit hat das nichts zu tun. Es gibt gemeinsam formulierte Aufgaben in der Nato und bei der europäischen Verteidigungspolitik. Es gilt aus deutscher Sicht, die Schere zwischen diesen Aufgaben und den bereitgestellten Mitteln zu schließen. Mehr nicht.
Es mangelt der Bundeswehr an funktionierender Ausrüstung, an Personal, teilweise an politischer Zuverlässigkeit. Viele Verteidigungsminister haben sich an Reformen versucht. Ist die Bundeswehr nicht reformierbar?
Den Eindruck könnte man haben. Immerhin ist sehr viel politische Energie in den vergangenen Jahren in die Reformversuche geflossen. Ich denke, in vielen Bereichen müssen wir einen wirklichen Neustart wagen. Das gilt insbesondere für die Frage der Beschaffungspolitik. Da geht es nicht nur um Geld, sondern um das, was der ehemalige Wehrbeauftragte Bartels „dysfunktionale Strukturen“genannt hat. Gemeint ist ein Apparat, der unter anderem Beschaffungen von Stiefeln einem Prozedere unterwirft, das eigentlich für Flugzeuge oder Panzer gedacht ist.