Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Corona beeinflusst die Statistik: Schlägereien nehmen ab, Betrugsfälle zu“
Jürgen Kretzer, Leiter des Polizeipostens Mengen, über anonyme Hinweise, Lichtspaziergänger und Verbote
MENGEN (jek) - Gerade einmal zwei Monate Normalbetrieb hat Jürgen Kretzer im vergangenen Jahr als neuer Chef des Polizeipostens Mengen erlebt. Dann hat es ihm die Corona-Pandemie deutlich schwerer gemacht, den persönlichen Kontakt zur Stadtverwaltung, den Schulen und auch den Bürgern aufrechtzuerhalten. Jennifer Kuhlmann hat sich mit ihm darüber unterhalten, ob er sich trotzdem gut eingefunden hat, wie sich die Corona-Verordnungen auf die Arbeit der Polizisten ausgewirkt hat und was er als Herausforderung der kommenden Monate ansieht.
Herr Kretzer, wie sehr geht es Ihnen und Ihren Kollegen auf die Nerven, die Menschen immer wieder auf die Maskenpflicht hinzuweisen?
Ich muss sagen, dass sich in Mengen die meisten wirklich an die Vorgaben halten. Nicht nur, was die Maskenpflicht angeht, auch bei der Ausgangssperre und Versammlungsverbot. Und dass, obwohl sich die Verordnung ja teilweise in sehr kurzen Abständen geändert hat. Natürlich müssen wir am Bahnhof immer wieder Leute darauf hinweisen, dass am Bahnsteig eine Maske getragen werden muss. Aber dort sind eigentlich alle einsichtig und folgen der Aufforderung sofort. Gleiches gilt für den Viehmarktplatz als da noch mehr Schüler unterwegs waren.
Das heißt, sie registrieren insgesamt nur wenige Verstöße?
Im Vergleich zu anderen Kommunen würde ich das unterschreiben. Wobei auch wir oder die Kollegen von der Nachtschicht aus Bad Saulgau schon gerufen wurden, weil sich Personen aus zu vielen Haushalten in einer Wohnung getroffen haben und dabei beobachtet wurden. Das waren aber keine riesigen CoronaPartys. Trotzdem klappt es nicht immer, ein Treffen unter Freunden als Wohngemeinschaft auszugeben.
Mengens Bürgermeister hat den Eindruck, dass sich durch die Corona-Beschränkungen eine gewisse Denunziationskultur entwickelt hat, die er mit Sorge betrachtet. Wie sehen sie das?
Hinweise kommen meistens aus dem direkten Umfeld, also von Nachbarn. Manchmal finden wir auch handgeschriebene Zettel im Briefkasten, mit denen jemand anonym auf ein Treffen am Vorabend oder Ähnliches hinweist. Wenn wir aber jemanden nicht auf frischer Tat ertappen können, bringt der Hinweis nichts. Als noch alle Geschäfte, Gastronomien und Kneipen geöffnet haben durften, hat es mehr Anrufe mit Tipps gegeben, wo sich Menschen angeblich nicht an Abstands- und Hygieneregeln halten.
Wie viel Mehraufwand hat der Polizeiposten dadurch, dass sich die Beamten um die Einhaltung der Verordnung kümmern dürfen?
Das lässt sich pauschal nicht sagen. Es hat zwar vom Land vorgegebene Zeiträume gegeben, in denen wir verstärkten Augenmerk auf die Kontrolle legen mussten, aber ansonsten liegt das in unserem Ermessen. In den vergangenen Monaten haben sich die Einsatzbereiche stark verlagert. Es hat keine Feste oder Veranstaltungen gegeben, auf denen Menschen aneinandergeraten können oder bei denen eine verstärkte Polizeipräsenz notwendig ist. Kneipenschlägereien gibt es derzeit einfach nicht, weil die Bars geschlossen sind und bis vor Kurzem Ausgangssperre herrschte.
Das nimmt Einfluss auf die Statistik...
Ja, ganz klar. Wenn die Streifen mehr Autos kontrollieren, weil es um die Ausgangssperre geht, fördern diese Kontrollen automatisch auch mehr Fälle zutage, bei denen Menschen mit Alkohol im Blut oder unter Drogeneinfluss am Steuer saßen. Erfreulich ist allerdings, dass die Fälle von häuslicher Gewalt im Gegensatz zur allgemeinen Befürchtung für die Zeit der Kontaktbeschränkungen - zumindest was Mengen angeht - nicht nach oben gegangen sind. Anders sieht es allerdings bei Betrugs- und Fälschungsfällen aus. Da merkt man, dass viele Leute zuhause sind und Zeit haben, im Internet zu surfen. Es fallen mehr Menschen auf Betrüger herein und mehr Menschen versuchen, anderen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Im Kontakt mit Bürgern, Tatverdächtigen, Zeugen und den eigenen Arbeitskollegen müssen Sie ja
auch selbst auf die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln achten. Wie schwierig ist das?
Hier im Polizeiposten haben wir zeitweise einen Schichtdienst eingeführt und die Anwesenheitszeit auf 6 bis 22 Uhr ausgedehnt, obwohl eigentlich jeder sein eigenes Büro hat. Das hat Kontakte reduziert, aber auch eine Arbeitsbelastung wie zur Urlaubszeit geschaffen, wenn nur wenige Kollegen da sind. Mit einem Praktikanten waren wir zu dieser Zeit zu sechst und mussten beide Schichten abdecken. Bei Einsätzen tragen wir Masken und Handschuhe, aber den 100-prozentigen Schutz gibt es einfach nicht. Ein Kollege und ich waren auch selbst schon in Quarantäne.
Was war da geschehen?
Wir hatten über etwa drei Stunden engeren Kontakt mit einem Verdächtigen. Er wurde hier bei uns vernommen und dann haben wir ihn in einem Wagen nach Ravensburg gebracht. Bei der Aufnahme in die Haft in der JVA wurde der Mann positiv auf das Coronavirus getestet. Wir waren damit zu Kontaktpersonen geworden und mussten in Quarantäne. Zum Glück waren die Tests bei uns dann negativ. Während der ungewissen Zeit hatte ich schon ein sehr mulmiges Gefühl. Man kommt sich so vor, als hätte man etwas falsch gemacht. Das stimmt natürlich nicht. Unser Polizeipräsidium hat einen guten Corona-Krisenstab, der nicht nur über alle neuen Regeln informiert, sondern auch Kontaktpersonen wie uns betreut und die nächsten Schritte bespricht. Da fühlte ich mich gut aufgehoben.
Was sind aus Ihrer Sicht die Herausforderungen, vor denen wir in Mengen in den kommenden Wochen stehen?
Die Menschen müssen trotz Einschränkungen bei Laune gehalten werden. Noch länger überhaupt nichts tun zu dürfen oder andere Menschen treffen zu dürfen - das ermüdet. Dass es bisher noch keine Menschenansammlungen im Freien gegeben hat, hängt sicher auch mit den kalten Temperaturen zusammen. Wenn es wärmer wird, kommen die Leute hervor und haben Lust, sich zu treffen. Da werden wir schauen müssen, wie sich die Lage entwickelt.
Wie schätzen sie die Lichterspaziergänge ein, die schon dreimal in Mengen stattgefunden haben?
Die Menschen nutzen ihr Demonstrationsrecht, dagegen ist nichts einzuwenden. Wichtig ist es, dass während der Versammlung und des Umzugs Masken getragen und Abstände eingehalten werden. Den Versammlungsleiter habe ich als sehr umgänglich erlebt, der bemüht ist, dass die Teilnehmer sich an die Regeln halten. Ausnahmen gibt es immer – dort müssen nötigenfalls Platzverweise ausgesprochen werden. Wir müssen immer darauf achten, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Zur Auflösung einer Veranstaltung muss mehr passieren, als das einzelne Teilnehmer keine Maske tragen wollen.
Welche Aspekte Ihrer Arbeit sind im vergangenen Jahr zu kurz gekommen?
Normalerweise gibt es einen Jour Fix mit Vertretern vom Ordnungsamt, bei denen wir uns persönlich austauschen und über Ereignisse oder Tendenzen in der Stadt reden. Das ist abgesehen meiner gelegentlichen Teilnahme am Corona-Krisenstab leider ausgefallen. Eigentlich wollte ich auch engere Kontakte zu den Schulen knüpfen, was jetzt nicht passiert ist. Ich hoffe aber, dass wir das bald aufgreifen können.