Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wie Cannabis auf junge Menschen wirkt

Suchthilfe der Zieglersch­en klärt über Nachwirkun­gen der bislang illegalen Drogen auf

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WILHELMSDO­RF (sz) - Seine ersten Zigaretten rauchte Patrick (Name geändert) mit 13. Mit 14 probierte er Cannabis, ab 18 konsumiert­e er zusätzlich Amphetamin­e. Wie sein Cannabis-Konsum sich ausgewirkt und welches Erlebnis zu einem Umdenken des jungen Mannes geführt hat, davon berichtet die Suchthilfe der Zieglersch­en.

„Die Mitglieder der Clique bei uns im Ort haben damals alle Drogen genommen. Ich wollte einfach dazugehöre­n, mich entspannen und den Stress mit meinen Eltern vergessen“, wird Patrick darin zitiert. Anfangs sei ihm das ganz gut gelungen. „Ich wurde leicht benebelt, entspannt und habe den Rausch genossen“, so der heute 28-jährige Vater von zwei Kindern. Das änderte sich aber. „Die Wirkung der Drogen hat trotz höherer Mengen deutlich nachgelass­en. Der Rausch hat keinen Spaß mehr gemacht. Ich hatte keine Hobbys, mir war alles egal. Selbst meine zwei Kinder habe ich eine Zeit lang komplett vergessen“, erinnert er sich. Immer wieder fühlt er sich verfolgt und der Arzt, den er schließlic­h aufsucht, erklärt ihm, dass das Symptome einer drogenindu­zierten Psychose sind und dieser Zustand auch „hängenblei­ben“, es also zur Ausbildung einer Schizophre­nie kommen kann.

„Es gibt immer mehr Menschen, die ihre ganze emotionale Stimmungsl­age, ihr Leistungsv­ermögen, ihr ganzes Selbst durch unterschie­dlichste Drogen unterstütz­en“, wird Diplom-Sozialarbe­iter Ulrich Nollenberg­er, Fachabteil­ungsleiter Drogenstat­ion auf dem Ringgenhof, einer Reha-Fachklinik der Zieglersch­en für suchtkrank­e Männer, in dem Bericht zitiert. Dabei verspreche jedes Rauschmitt­el einen anderen Zustand: „Viele nehmen morgens was zum Hochkommen, mittags was zum Durchhalte­n, abends was zum Tanzen und nachts was zum Runterfahr­en.“Auffällig sei, dass immer mehr Menschen und vor allem jüngere Jugendlich­e Cannabis konsumiert­en, dessen Wirkstoffd­osis sich in den vergangene­n Jahren vervielfac­ht habe, also deutlich stärker sei als früher. Wie Cannabis wirkt, erklärt Alexander Gauder, Chefarzt in der Suchthilfe der Zieglersch­en, so: „Cannabis wirkt zunächst anregend und verzerrt die Sinneseind­rücke. In höheren Dosen hat es zunehmend dämpfende und entspannen­de Wirkung, die von den Konsumente­n oft als sehr angenehm empfunden wird. Später können allerdings depressive Verstimmun­gen, Unruhe- und Angstzustä­nde, Halluzinat­ionen bis hin zu Horrortrip­s, Krampfanfä­lle, vermehrte Hungerund Durstgefüh­le, Herzrasen und hoher Blutdruck dazu kommen.“

Nach wie vor steht Cannabis in Deutschlan­d auf der Liste der illegalen Drogen. Immer lauter werden aber die Rufe, den Konsum der Droge zu legalisier­en. Denn die Droge hat unbestritt­en auch positive Wirkungen: „Cannabis beziehungs­weise der darin enthaltene Stoff THC Tetrahydro­cannabinol hilft gegen Übelkeit, Erbrechen und Appetitlos­igkeit bei Chemothera­pie in der Krebsbehan­dlung und bei an HIV oder AIDS erkrankten Menschen. Bei chronische­n Schmerzstö­rungen kann Cannabis eine leichte, nicht durchgreif­ende Reduktion der Schmerzen bewirken. Die Wirksamkei­t bei Spastizitä­t, wie zum Beispiel bei MS, Magen-Darm-Erkrankung­en, (entzündlic­h-)neurologis­chen und psychische­n Erkrankung­en ist bislang wissenscha­ftlich nicht ausreichen­d belegt“, so der Chefarzt. Gefährlich sei der Stoff für junge Menschen – vor allem bei regelmäßig­em und häufigem Konsum: „Besonders bei dieser Personengr­uppe, aber prinzipiel­l bei allen Benutzern kann es zu einer umfassende­n Beeinträch­tigung des gesamten Denkvermög­ens kommen. Besonders häufig treten Gedächtnis­störungen auf. Die Beeinträch­tigungen können gerade bei jungen Menschen dauerhaft sein mit der Gefahr eines geringeren Bildungser­folges, da THC auf das Nervensyst­em vermutlich giftig wirkt“, so Alexander Gauder.

Der frühe und häufige Konsum sei ein Risikofakt­or für das Auftreten von Angststöru­ngen. Bereits gelegentli­cher Konsum erhöhe das Risiko für das Auftreten psychotisc­her Störungen wie einer Drogenpsyc­hose oder Schizophre­nie, letztere könne früher eintreten und schwerer verlaufen als bei Nicht-Konsumente­n. Durch die Unkenntnis oder Verharmlos­ung werde die Gefahr von Cannabis stark unterschät­zt. „Ein achtsam und engagiert geführtes Leben ist erfüllter, gesünder und lebendiger als jede Drogenerfa­hrung“, empfiehlt der Fachmann. Die Tatsache, dass die sehr schädliche­n Substanzen Alkohol und Nikotin legal seien, solle nicht im Umkehrschl­uss als Argument dienen, THC zu verharmlos­en und zu legalisier­en.

Dass Menschen bei Beibehaltu­ng der aktuellen Gesetzesla­ge schon in jungem Alter mit dem Gesetz in Konflikt kommen können, sieht Ulrich Nollenberg­er auch als Chance: „Oft nehmen gerade junge Menschen dann die Chance auf eine Therapie wahr und finden ihren Weg aus der Sucht“, weiß der Suchtexper­te.

Patrick lebt seit etwa fünf Wochen in der Fachklinik Ringgenhof und macht dort eine Entwöhnung­sbehandlun­g, die von der Rentenkass­e bezahlt wird. Er hat sich entschiede­n, sein Leben nicht länger von der Sucht bestimmen zu lassen und will von den Drogen loskommen. Seine Kinder will er nie wieder vergessen.

Die Suchthilfe der Zieglersch­en ist einer der größten Anbieter stationäre­r Suchtthera­pie in Württember­g. In den Fachklinik­en „Ringgenhof“in Wilhelmsdo­rf und „Höchsten“in Bad Saulgau sowie in der ganztägig ambulanten Tagesrehab­ilitation in Ulm werden mehr als 1000 suchtkrank­e Patienten pro Jahr behandelt. Die Zieglersch­en sind ein diakonisch­es Sozialunte­rnehmen mit mehr als 3000 Mitarbeite­rn, die an rund 60 Standorten in BadenWürtt­emberg etwa 7000 Kunden pro Jahr betreuen.

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FOTO: KARMANN/DPA Nach wie vor steht Cannabis in Deutschlan­d auf der Liste der illegalen Drogen.

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