Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Vorfreude sieht anders aus
Mit welchen Hoffnungen der Geschäftsführer der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf in die Wettkämpfe geht
Gähnende Leere am Dienstag in Oberstdorf. Und das, obwohl hier heute Abend die Nordische Ski-WM eröffnet wird – mit einer Lichtshow ohne Publikum. Jahrelang hatte sich die Allgäuer Marktgemeinde auf die Titelkämpfe gefreut, doch die Einschränkugen durch die Corona-Pandemie machen nun einen Strich durch die Rechnung. Skispringer, Kombinierer und Langläufer starten vor leeren Rängen – und WM-Geschäftsführer Moritz Beckers-Schwarz hofft darauf, dass „wir eine Bonus-WM 2027“mit Fans erhalten.
OBERSTDORF - „Papplikum“statt Publikum, Geisterstimmung statt Freudenfest, Corona-Sorgen statt unbeschwerter Wettkämpfe: Die Nordische Ski-WM in Oberstdorf sollte ein Wintermärchen sondergleichen und das größte Schneesportereignis der jüngeren Geschichte in Deutschland werden, doch die große Euphorie ist längst verflogen. Für die Organisatoren geht es nun vornehmlich darum, würdige Titelkämpfe ohne Chaostage über die Bühne zu bringen. Im Interview mit Martin Deck spricht Moritz Beckers-Schwarz, Geschäftsführer der Ausrichtergesellschaft, über Enttäuschungen und Lichtblicke – und weshalb Oberstdorf schon bald auf eine weitere WM hofft.
Herr Beckers-Schwarz, Oberstdorf ist zum dritten Mal nach 1987 und 2005 Gastgeber der Nordischen Ski- WM. Werden es in diesem Jahr die traurigsten Wettbewerbe?
Oberstdorf hat lange für die dritte Auflage gekämpft und die Zusage erst im fünften Versuch bekommen. Eigentlich war man fest davon ausgegangen, schon 2019 zum Zug zu kommen. Als dann Seefeld den Zuschlag bekam, gab es schon lange Gesichter. Jetzt ist es 2021 geworden und wir kämpfen mit einer Pandemie. Ja, es wird sicher nicht die WM, die wir uns erwünscht haben. Aber wir müssen das Beste daraus machen. Ich bin mir sicher, dass wir dennoch spannende und faire Wettkämpfe sehen werden.
Aber rückblickend schmerzt es jetzt vermutlich noch mehr, dass es 2019 nicht geklappt hat?
Klar, wenn man auf 2019 zurückschaut, hätten wir damals auch vom Wetter perfekte Bedingungen gehabt. Aber zurückblicken bringt nichts, wir müssen nach vorne schauen. Wir werden trotz allem schöne Spiele in Oberstdorf haben und tolle Bilder aus dem Allgäu in die Welt schicken. Am Ende sind wir auch fest davon überzeugt, dass wir eine Bonus-WM 2027 verdient hätten – aus Dankbarkeit, für den ganzen Aufwand, den wir und die Menschen in Oberstdorf rund um die Hotellerie betreiben, um eine Durchführung der WM überhaupt zu ermöglichen.
Schon bevor die aktuelle WM gestartet ist, denken Sie also an die nächste. Wie konkret sind die Planungen bereits? Und was sagt der Weltverband FIS dazu?
Unter den Gesellschaftern gab es Gespräche und es gibt bereits erste Initiativen im Ort. Auch bei der FIS wurde bereits angeklopft, wobei sie erst nach der WM die Gespräche fortführen will. Aber ich denke, Oberstdorf hätte es verdient, möglichst zeitnah eine Bonus-WM zu bekommen, solange die Sportstätten noch neuwertig sind. Es wäre ein verdienter Lohn für die Flexibilität, die alle Beteiligten in der Pandemie bewiesen haben.
Flexibilität hat auch das Hygienekonzept erfordert, bis zum Jahresende waren sogar noch Zuschauer eingeplant. Wie schwer ist es Ihnen Mitte Januar gefallen, zu verkünden, dass die Wettbewerbe ohne Publikum stattfinden müssen?
Es fiel uns sehr schwer und wir sind immer noch traurig. Oberstdorf ist schließlich bekannt für seine Stimmung und Emotionen. Vor allem für die Sportler ist das sehr schade. Sie werden vielleicht nur einmal in ihrem Leben Weltmeister und das ausgerechnet in einer Zeit ohne Zuschauer. Das ist einfach ein anderes Erlebnis.
Stattdessen sollen Papierfiguren für eine schöne Kulisse sorgen. Wieviele werden im Skisprungstadion und an der Langlaufloipe aufgestellt?
Wir haben über 3000 Pappaufsteller und hätten noch deutlich mehr verkaufen können. Man sieht, die Menschen wollen irgendwie dabei sein, lechzen nach sozialen Veranstaltungen und wollen uns unterstützen. Das zeigt auch, dass die Gesellschaft hinter der Veranstaltung steht.
Ganz so eindeutig ist das aber nicht. In Oberstdorf gibt es viele kritische Stimmen, vor allem aus dem Tourismusbereich, die die Austragung der WM kritisch sehen, weil sie ein SuperspreaderEvent und einen noch längeren Lockdown befürchtet. Können Sie diese Sorgen nachvollziehen?
Wir nehmen alle Sorgen sehr ernst. Dass die Menschen in der Krise, in der wir uns befinden, Sorgen und Nöte haben, ist zu 100 Prozent nachvollziehbar. Wir sehen aber kein großes Infektionsrisiko. Die Personen, die hierherkommen – Sportler, Trainer und auch viele Medienvertreter – sind schon seit Wochen und Monaten im Weltcup unterwegs und wurden ganz engmaschig getestet. Und man sieht es an den Zahlen: Ein SuperspreaderEvent ist bislang noch aus keiner Sportveranstaltung entstanden.
Gab es also auch nie Überlegungen, die WM zu verschieben oder gar ganz abzusagen?
Natürlich haben wir uns, als es im vergangenen März in den ersten Lockdown ging, sehr intensiv mit der Absage oder einer Verschiebung der WM beschäftigt. Es wurde aber sehr schnell klar, dass Sportveranstaltungen in Deutschland mit einem Hygienekonzept genehmigungsfähig sind. Zudem gab es einen Vorstoß der Organisatoren in Cortina d’Ampezzo, die Alpine Ski-WM auf 2022 zu verschieben. Daraufhin gab es ein klares Signal von der FIS, dass eine Verlegung aller Weltmeisterschaften nicht möglich ist, da wir im Frühjahr 2022 Olympische Winterspiele haben und der Wettkampfkalender aufgrund vieler Verträge nicht geändert werden kann. Und eine Nordische SkiWM im April oder Mai auszutragen, war auch keine Optionen, weil wir dann Probleme mit den Schneeverhältnissen bekommen hätten.
Frühlingstemperaturen gib es aber auch jetzt schon. Könnte das zum Problem werden?
Nein, das denke ich nicht. Natürlich sind warme Temperaturen immer eine Herausforderung, vor allem am Nachmittag. Aber es wurde viel Schnee gespeichert und aufgefahren und wir sind gut vorbereitet.
Auch bei den Schutzmaßnahmen müssen Sie gut vorbereitet sein. Wie sieht das Hygienekonzept aus?
Wir werden die engmaschige Testung der Athleten, Trainer und anderen Personen auch hier fortsetzen. Mit Anreise wird unverzüglich ein PCRTest gemacht, dann folgen im ZweiTages-Rhythmus Schnelltests, ehe es am sechsten Tag wieder einen PCRTest gibt. Gleichzeitig gilt in allen Sportstätten die Pflicht von FFP2Masken sowie die üblichen AHA-Regeln. Es gibt ausgeklügelte Konzepte von der Raumbelüftung bis zur Verpflegung. Die Menschen werden zudem angehalten, sich nur in ihrer Bubble zu bewegen.
Welche finanziellen Auswirkungen hat das Zuschauerverbot? Schließlich wurden 40 Millionen Euro in die Infrastruktur gesteckt.
Man muss sehen, dass der Großteil der Kosten von Bund und Land stark bezuschusst wurde und völlig unabhängig von der WM gezahlt wurde, um die Sportstätten zu erneuern. Gerade bei der Langlaufstrecke galt der Blick beim Umbau nicht nur dem Leistungssport, sondern insbesondere auch dem Breitensport und dem Tourismus. Das heißt, jedermann kann künftig rund 80 Prozent der WM-Strecke privat nutzen. Zudem haben wir bei operativen Kosten immer mit einer Schwarzen Null gerechnet und vor allem haben wir Anfang 2019 frühzeitig eine Ausfallversicherung abgeschlossen, die uns die Einnahmen versichert. Diese greift nun und daher werden wir diese WM aller Voraussicht nach auch mit einer Schwarzen Null abschließen können.
Auch sonst soll am Ende der WM ein positives Ergebnis stehen. Auf was freuen sie sich besonders?
Wir haben perfektes Wetter und werden tolle Bilder aus den Sportstätten senden. Außerdem freue ich mich, dass es uns gemeinsam mit dem DSV gelungen ist, die Gleichstellung im Sportbereich zu verbessern. Wir haben jetzt im Skispringen gleich viele Entscheidungen bei Frauen und Männern und zum ersten Mal ist die Nordische Kombination der Frauen bei einer WM dabei. Das sind Highlights, auch im gesellschaftlichen Sinn, auf die ich mich freue. Und wir hoffen alle, dass die FIS erkennt, was wir hier leisten und wir am Ende die BonusWM 2027 als Lohn erhalten.