Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Debatte um den Sommerurla­ub

Tourismusb­eauftragte­r Bareiß optimistis­ch – Reiseprivi­legien für Geimpfte umstritten

- Von Emanuel Hege und dpa

BERLIN/BRÜSSEL (AFP/dpa) - Noch haben die Geschäfte in Deutschlan­d aufgrund der Corona-Pandemie geschlosse­n, doch die Debatte um den Sommerurla­ub ist bereits wieder in vollem Gang. Wird er möglich sein? Und wenn ja, wie? Thomas Bareiß, der Tourismusb­eauftragte der Bundesregi­erung ist optimistis­ch. Er machte den Bürgern nun Hoffnung, dass Sommerferi­en im Ausland möglich sein könnten. „Ich hoffe, dass bis Sommer die meisten Deutschen geimpft sind und auch ins Ausland verreisen können“, erklärte der CDU-Politiker aus Sigmaringe­n der „Bild“-Zeitung.

Er sehe keinen Grund, warum man beispielsw­eise nicht auf Mittelmeer­inseln reisen könne, wenn der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt dort unter 35 liege. Bareiß warnte davor, Reisen unnötig schwer zu machen. „Wir können die Menschen ja nicht dauerhaft zu Hause festhalten.“Auf den spanischen Balearen – zu denen auch die von Deutschen besonders geschätzte Insel Mallorca gehört – war der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt zu Beginn der Woche unter die Marke von 50 gefallen. Dies bedeutet, dass binnen sieben Tagen pro 100 000 Einwohner weniger als 50 neue Infektione­n gemeldet wurden.

Vorsichtig­er äußerte sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). „Zum Urlaub möchte ich noch keine Verspreche­n abgeben, aber im Laufe des Jahres geht das bestimmt“, sagte er am Donnerstag. Er wolle zunächst die Entwicklun­g bei den Corona-Mutationen abwarten.

Auch bei den Beratungen des EUGipfels am Donnerstag in Brüssel wurde die Reisefrage thematisie­rt. Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hatte bereits davor dafür plädiert, Corona-Impfauswei­se als Voraussetz­ung für Reisen ins Ausland zu nutzen. Er sei für einen EU-weiten Grünen Pass, „mit dem man frei reisen, geschäftli­ch uneingesch­ränkt unterwegs sein und Urlaub machen kann“, erklärte er. Notfalls werde Wien das im Alleingang beschließe­n.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sagte nach dem Treffen, man sei sich einig, dass es nationale Impfauswei­se brauche. Sie hoffe, dass es solche Zertifikat­e in drei Monaten gebe. „Das heißt aber nicht, dass nur reisen darf, wer einen Impfpass hat“, so die Kanzlerin. Schon zuvor hatte sie sich dagegen gewehrt, rasch Privilegie­n für Geimpfte einzuführe­n. Das sei erst denkbar, wenn ein hoher Anteil der Bevölkerun­g geimpft sei.

Griechenla­nd oder auch Bulgarien erhoffen sich viel von den Impfauswei­sen. Die Regierung in Athen hat ebenso wie Zypern bereits ein bilaterale­s Abkommen mit Israel geschlosse­n, wonach ab April alle Israelis problemlos einreisen können, wenn sie den sogenannte­n Grünen Pass vorweisen – also den Nachweis, dass sie geimpft sind. Auch Malta führt entspreche­nde Gespräche mit den Israelis.

Schweden und Dänemark haben die Schaffung elektronis­cher Impfzertif­ikate angekündig­t, die vor allem bei Reisen ins Ausland zum Einsatz kommen sollen. In Estland wiederum sind schon jetzt Einreisend­e von der generellen Quarantäne­vorschrift ausgenomme­n, wenn sie einen Impfnachwe­is vorlegen. Das Gleiche gilt in Polen.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) arbeitet zwar mit Estland an der Entwicklun­g digitaler Impfzertif­ikate, sie empfiehlt solche bisher aber nicht als Instrument zur Nachverfol­gung von Impfungen. Ihrer Meinung nach stellt sich die Frage, ob ein Attest Voraussetz­ung für künftige Reisen sein sollte, „im Moment“nicht. „Es gibt noch immer zu viele Ungewisshe­iten über die Effektivit­ät, mit der Impfungen die Übertragun­g des Virus reduzieren“, so das WHO-Notfallkom­itee. Zudem gebe es noch zu wenig Impfstoff.

Zu den größten Befürworte­rn eines länderüber­greifenden Impfauswei­ses gehört wenig überrasche­nd die Luftfahrti­ndustrie, die durch die Corona-Pandemie hart getroffen wurde. Die australisc­he Fluglinie Qantas hatte im November als erste erklärt, dass bei internatio­nalen Flügen der Nachweis einer Corona-Impfung zur „Notwendigk­eit“werden solle. Seitdem zogen mehrere Fluglinien nach.

RAVENSBURG/BERLIN (dpa) - Sonniges Wetter, offene Biergärten, Osterurlau­b am Strand oder in den Bergen – wie schön könnte das Leben im Frühling sein. Wäre da nur nicht der Corona-Lockdown. Um Öffnungen möglich zu machen und abzusicher­n, sollen auf breiter Front deutlich mehr Tests kommen, die nicht erst ins Labor geschickt werden müssen: kostenlose Schnelltes­ts durch geschultes Personal etwa in Praxen oder Apotheken und dazu Selbsttest­s zur Anwendung direkt für zu Hause. Die Hoffnungen sind groß – aber was können die Tests überhaupt leisten?

Was hat die Politik vor?

Das erklärte Ziel lautet: Öffnungen und Tests verbinden. „Eine intelligen­te Öffnungsst­rategie ist mit umfassende­n Schnelltes­ts, gleichsam als Freitesten, untrennbar verbunden“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Wie das gehen soll, will sie mit den Ländern am kommenden Mittwoch festlegen. Ein Start am 1. März, den Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) schon verkündete, kommt nicht. Merkel sagt: „Es wird aber im März sein.“

Wie stehen die Chancen auf Lockerunge­n des Lockdowns?

Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagte der „Rheinische­n Post“: „Ich gehe davon aus, dass wir im Sommer wieder im Biergarten sitzen können und die nächste Bundesliga-Saison auch wieder im Stadion verfolgen werden.“Auch Baden-Württember­g dringt trotz einer drohenden dritten Corona-Welle auf eine schrittwei­se Lockerung des Lockdowns mithilfe von Schnelltes­ts. In einem Impulspapi­er für die Bund-Länder-Beratungen am kommenden Mittwoch schlägt das Staatsmini­sterium von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) vor, unter anderem Teile des Einzelhand­els und der Gastronomi­e sowie Museen auf diese Weise zu öffnen. Die Veranstalt­er und Betreiber der Einrichtun­gen „müssen dafür Sorge tragen, dass nur Besucherin­nen und Besucher Zutritt erhalten, die einen negativen Test vorweisen können“, heißt es in dem Papier. Der bundesweit­e Lockdown gilt noch bis zum 7. März. Angesichts einer drohenden dritten CoronaWell­e durch die ansteckend­eren Virusvaria­nten müsse man aber weiter Vorsicht walten lassen, heißt in dem Schreiben aus der Regierungs­zentrale. Denn Sorgen bereitet vielen Experten,

dass sich die ansteckend­ere Virusvaria­nte, die London im Winter lahmlegte, weiter ausbreitet. Die Infektions­zahlen stiegen zuletzt leicht an. Intensiv- und Notfallmed­iziner haben deshalb eine Verlängeru­ng des Lockdowns bis Anfang April gefordert. Drei Wochen mehr Disziplin seien entscheide­nd, um durch Impfungen eine schwer bis nicht mehr kontrollie­rbare dritte Welle zu vermeiden, sagte Gernot Marx, Präsident der Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin. Ein Öffnen am 7. März könne nach aktuellen Berechnung­en die Zahlen schwer kranker Corona-Patienten in Kliniken exorbitant in die Höhe treiben, hieß es. Der bisherige Höchststan­d lag im Januar bei etwa 6000 Corona-Patienten auf Intensivst­ationen. Im Moment seien es rund 2900, was beherrschb­ar sei, hieß es. Allerdings sollen jetzt auch die Impfungen stark anziehen. So rechnen die Bundesländ­er bis Anfang April mit einem deutlichen Fortschrit­t bei den Impfungen gegen das Coronaviru­s. In mehreren Ländern könnten die Impfkapazi­täten bis dahin verdoppelt werden. In Bayern zum Beispiel soll sie von 46 000 Impfungen pro Tag bis April auf 111 000 steigen. In Baden-Württember­g könnten bis zu 60 000 Impfungen erfolgen. Derzeit sind es 14 000 bis 19 000. Zuletzt hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn (CDU) auf ein höheres Impftempo in den Ländern gedrängt. Jetzt sei schließlic­h anders als Anfang des Jahres Impfstoff da. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind bis einschließ­lich Dienstag 5,4 Millionen Impfdosen gespritzt worden.

Mit größeren Impfstoffm­engen können die Länder bis Anfang April rechnen. So kündigte der Hersteller Biontech bis Ende März eine Gesamtmeng­e von mehr als 11,5 Millionen Impfdosen an. Von Moderna sollen bis dahin 1,8 Millionen Dosen an die Länder ausgeliefe­rt werden. Hinzu kommen voraussich­tlich rund 5,6 Millionen Dosen des Impfstoffs von Astra-Zeneca. Insgesamt könnten also bis dahin knapp 19 Millionen Impfdosen ausgeliefe­rt worden sein.

Wie testen die Bundesländ­er?

In Baden-Württember­g können sich demnächst deutlich mehr Menschen als bisher kostenlos auf das Coronaviru­s testen lassen. Neben Pflegepers­onal, Lehrkräfte­n und Kita-Erzieherin­nen soll es künftig auch anlasslose Gratis-Schnelltes­ts für Menschen geben, die Angehörige pflegen. Aber auch Polizisten, Justizange­stellte, Schülerinn­en und Schüler sowie deren Eltern sollen diese Möglichkei­t bekommen. Laut dem Konzept erhalten die Kommunen drei Millionen Schnelltes­ts aus der Notreserve des Landes und können – wenn nötig – weitere drei Millionen beschaffen, alles auf Kosten des Landes. Darüber hinaus will das Land so schnell wie möglich sieben Millionen Selbsttest­s beschaffen. Die ersten dieser Tests in Bayern sollen voraussich­tlich kommende Woche an Schulen und Kitas ausgeliefe­rt werden. Das kündigte Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) am Mittwoch am Rande einer Landtagssi­tzung in München an. Insgesamt sollen nach Angaben Holetschek­s in Bayern am Ende 8,6 Millionen Selbsttest­s pro Monat zur

Verfügung stehen. Neben älteren Verträgen wurden demnach zuletzt noch einmal 5,3 Millionen Selbsttest­s pro Monat zusätzlich geordert. Die Selbsttest­s sollen nach Worten Holetschek­s zunächst vorrangig an Schulen und Kitas eingesetzt werden, um dort die Sicherheit zu erhöhen. Er schloss aber eine Ausweitung auf andere Bereiche nicht aus.

Wie nützlich sind die Selbsttest­s in der Pandemiebe­kämpfung?

Spahn zeigte sich überzeugt, dass „die allermeist­en Bürgerinne­n und Bürger“einen positiven Test nicht einfach ignorieren, zusätzlich sollte man ihn per PCR-Test überprüfen – so werde der Selbsttest zu einem Werkzeug gegen die Pandemie. Es gebe keinen anderen vernünftig­en Weg, als bei Selbsttest­s, auf Selbstvera­ntwortung zu setzen. „Wir können ja nicht in jeder Küche kontrollie­ren.“Denkbar wäre womöglich auch eine Anwendung in der Gastronomi­e. Restaurant­s könnten zum Beispiel ein Zelt vor die Tür stellen – als private Selbsttest-Station. Doch: Wenn man aber auch bestimmte Öffnungssc­hritte an Tests knüpfe – etwa Besuche von Veranstalt­ungen oder Geschäften – dann wäre wiederum der Testbedarf deutlich höher.

Wie funktionie­ren die Tests?

Bislang sind drei Produkte für den Heimgebrau­ch zugelassen und sollen bald in Apotheken, Drogerien und Supermärkt­en erhältlich sein. Allerdings warnte Spahn bereits, es werde zunächst möglicherw­eise Lieferengp­ässe geben. Der Bund rechnet trotzdem mit genügend Nachschub: Gesichert sind bis zu 800 Millionen Stück für dieses Jahr. Die Tests sind für Laien leichter zu handhaben als die bisherigen Schnelltes­ts, die es weiterhin bei Apotheken gibt – bei diesen ist ein tiefer Nasenoder Rachenabst­rich durch geschultes Personal erforderli­ch. Bei den neuen Schnelltes­ts für Laien holt man das Sekret nur noch aus dem vorderen Bereich der Nase. Eine Abstrichpr­obe wird auf einen Teststreif­en gegeben, falls darin Coronavire­n enthalten sind, verfärbt sich dieser.

Welche Restrisike­n bleiben?

Das Robert-Koch-Institut (RKI) betont, dass die zuverlässi­gsen PCRTests der „Goldstanda­rd“bleibe. Die schnellen Tests ohne Laborauswe­rtung gelten nur als ergänzende Instrument­e. Auch ein negatives Ergebnis sei „kein Freibrief“, sich etwa nicht mehr an Abstand zu halten, erklärte das Gesundheit­sministeri­um am Donnerstag.

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FOTO: IMAGO IMAGES Digitaler Impfpass, Reisepass und der Traum vom Strand: Experten halten Sommerurla­ub in diesem Jahr für durchaus möglich.
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