Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Damit kämpfen Schüler und Lehrer

Der Unterricht in Pandemieze­iten stellt beide Seiten vor große Herausford­erungen

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH/REGION - Welche positiven, aber auch welche negativen Erkenntnis­se ziehen Lehrer und Schüler nach rund einem Jahr Schule in Pandemieze­iten? Dass hierbei in kurzer Zeit massive technische Fortschrit­te erreicht wurden, die soziale Komponente mitunter aber zu kurz kommt, zeigte sich bei einer OnlinePres­sekonferen­z des Regierungs­präsidiums (RP) Tübingen am Donnerstag.

Die Schülerper­spektive:

„Mein größter Kritikpunk­t im Umgang mit uns Schülern bleibt das Ignorieren der psychische­n Belastung für uns Schüler“, sagt Benedikt Schaermer, Schülerspr­echer der Berufliche­n Schule Riedlingen. Der 19-Jährige aus Ertingen besucht dort die Wirtschaft­soberschul­e und steht kurz vor dem Abitur. „Wir haben nicht nur schulisch, sondern auch durch viele private Herausford­erungen im Moment wirklich viele Probleme.“Das Gefühl von Einsamkeit und Ziellosigk­eit werde durch die Isolation bei manchen Schülern enorm verstärkt. Seine Erfahrung decke sich mit der vieler anderer Schüler. Von den Lehrern wünsche er sich mehr Verständni­s für die private Situation der Schüler, die sich zum Teil um ihre Geschwiste­r kümmern müssten, oder deren Eltern ebenfalls in für sie belastende­n berufliche­n Situatione­n oder finanziell­en Sorgen seien, die den Familienfr­ieden belasten.

Gerade Abschlusss­chüler befänden sich in der größten Findungsph­ase ihres Lebens – und das gerade in der Pandemieze­it, so Schaermer. Die größte Herausford­erung des Homeschool­ings sei aus seiner Sicht, den Erwartunge­n der Lehrer gerecht zu werden. Selbststän­diges Lernen falle aber mitunter schwer, weil jeder Lehrer seinen Unterricht digital anders organisier­e. Der Schülerspr­echer berichtet auf Schülersei­te auch von mangelnder Motivation und Disziplin – und zwar öfter, als dies ehrlich kommunizie­rt werde. „Wenn der Online-Unterricht um 7.40 Uhr beginnt, steht mancher Schüler erst um 7.35 Uhr auf und döst dann noch gemütlich in die erste Mathestund­e.“Während des Unterricht­s würden nebenher Antworten gegoogelt und Internetpr­obleme als Ausrede genutzt. Für aufwändige Hausaufgab­en gebe es mitunter zu knapp bemessene Abgabefris­ten. Technisch klappe vieles inzwischen hervorrage­nd, so Schaermer. „Es ist beeindruck­end, wie schnell sich die Lehrer angepasst haben.“Auch innerhalb der Klasse habe es tolle Momente des Zusammenha­lts gegeben. Mit sogenannte­n

Nachhilfec­alls unterstütz­e man sich gegenseiti­g.

Trotz der Angst vor dem Virus sei mit dem Start des Präsenzunt­errichts für die Abschlusss­chüler allen eine gewaltige Last von den Schultern gefallen. „Wir können wieder in Gesichter statt auf Profilbild­er schauen“, sagt Schaermer.

Die Lehrerpers­pektive:

Licht und Schatten prägen das Bild verschiede­ner Rektoren und Lehrkräfte auf das Unterricht­en in Pandemieze­iten. „Wir waren auf die ganze Situation weder vorbereite­t, noch dafür ausgebilde­t“, sagt Robert Barthold, Rektor der Mittelberg-Grundschul­e in Biberach. Technisch seien er und seine Kollegen aber schnell in der Lage gewesen, sich umzustelle­n. „Wir haben inzwischen niederschw­ellige, einfache Programme, die von den meisten Schülern bedient werden können.“Handlungsm­axime sei: Kein Schüler soll verloren gehen. Wenn Familien Hilfe bräuchten oder „abtauchten“, versuche man zu unterstütz­en, zum Teil auch durch Hausbesuch­e, so Barthold. Was den zu vermitteln­den Lernstoff angehe, so sei man im Zeitplan.

Sorgen macht sich Barthold um eine drohende Überforder­ung der Lehrer, von denen manche Schüler oder Eltern offenbar erwarten, dass sie an sieben Tagen rund um die Uhr als Ansprechpa­rtner zur Verfügung stehen. Belastend sei für manche Kollegen, dass sie seit dieser Woche wieder im Präsenzunt­erricht sind. Der Schulträge­r habe zwar für Masken und CO2-Messgeräte gesorgt, „trotzdem hat mancher das Gefühl, an die Front geschickt zu werden“. Das Impfangebo­t für Lehrer sei deshalb mit großer Freude aufgenomme­n worden, so Barthold. „80 Prozent der Kollegen haben schon beide Impftermin­e vereinbart.“

Das deckt sich mit der Beobachtun­g von Matthias Kniese, Leiter der Berufliche­n Schule Riedlingen. „Die für die Impfung notwendige­n Arbeitsbes­cheinigung­en unterschre­ibe ich so gerne wie Zeugnisse.“Insgesamt sei er ziemlich sprachlos und positiv erstaunt darüber, was die Schulen technisch innerhalb eines Jahres zum Laufen gebracht hätten. Er störe sich daran, dass in der Berichters­tattung zu oft defizitori­entiert diskutiert werde. Neben dem Fernunterr­icht hätten sich inzwischen auch Formate wie die „digitale große Pause“für Lehrer etabliert. „Wir haben gemerkt, dass es für die Kollegen ein wichtiges Bedürfnis ist, sich mit den Kollegen auszutausc­hen und nicht nur Einzelkämp­fer im Homeoffice zu sein“, sagt Kniese. Neben

technische­n Erfolgen sei auch der Fernunterr­icht qualitativ besser geworden.

Ziel in der Lehrerausb­ildung für die Zukunft müsse sein, dass der Unterricht­smodus, also Klassenzim­mer oder Homeschool­ing, bei der Planung des Unterricht­s egal sei, sagt Katja Krey, Lehrbeauft­ragte am Studiensem­inar Tübingen. Gezeigt habe sich aber laut Kniese, dass eigenveran­twortliche­s Lernen für manche Schüler sehr anspruchsv­oll und schwierig sei.

Im zweiten Lockdown habe der Fernunterr­icht reibungslo­ser funktionie­rt als im Frühjahr, sagt Michael Höllerbaue­r, zuständig für Digitalisi­erung am Hans-und-SophieScho­ll-Gymnasium in Ulm. „Wir waren darauf vorbereite­t, weil dieser absehbar war.“Einig waren sich die Pädagogen darin, dass Vorteile, die sich durch die Digitalisi­erung während der Pandemie ergeben haben, danach nicht aufgegeben werden sollen. Dennoch spiele die soziale Komponente eine wichtige Rolle. „Der Mensch wird Mensch, indem er andere Menschen trifft“, meint Regierungs­präsident Klaus Tappeser am Ende. Die jetzige Schülergen­eration aber als eine verlorene zu bezeichnen, wie dies zum Teil geschehe, „das ist absoluter Unsinn.“

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