Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zurück in die Zukunft
Kombinationstrainer Hermann Weinbuch denkt an 1987 – und hofft auf Vinzenz Geiger
OBERSTDORF - Eigentlich hat sich nicht viel verändert in den vergangenen 34 Jahren. „Wir Kombinierer fristeten damals ein Schattendasein“, sagt Hermann Weinbuch, wenn er an die Weltmeisterschaften 1987 zurückdenkt, und gerät dann ins Schwärmen: „Derart viele Fans wie in Oberstdorf waren wir nicht gewohnt, das alles haben wir extrem genossen.“Damals war Weinbuch als zweifacher Titelverteidiger ins Allgäu gekommen. Und galt als großer Favorit. Doch trotz Führung nach dem Springen kam er beim Langlauf, nachdem er einmal gestürzt war, nur als Vierter ins Ziel. Später gab's, wegen eines Doping-Verstoßes des zweitplatzierten US-Amerikaners Kerry Lynch, noch Bronze. Zumindest in der Staffel konnte er gemeinsam mit Hans-Peter Pohl und Thomas Müller Gold verteidigen.
„Skispringen mag populärer sein, aber in Wahrheit ist die Nordische Kombination die Königsdisziplin“, sagt Vinzenz Geiger. Der 23 Jahre alte Oberstdorfer hat die letzten beiden Weltcup-Wettbewerbe gewonnen. Allerdings hat der Topfavorit JarlMagnus Riiber die Rennen in Klingenthal ausgelassen. „Vinz hat die meisten Möglichkeiten, den Riiber zu schlagen“, sagt Hermann Weinbuch. Seit 1996 ist der Berchtesgadener Bundestrainer der Winter-Zweikämpfer. In dieser Zeit gewannen seine Athleten 19-mal Olympia- und WM-Gold und holten mehr als 50 Medaillen. Vier Chancen gibt es, diese Erfolgsbilanz fortzusetzen. Los geht's am heutigen Freitag (10.15 und 16 Uhr/ ARD und Eurosport) von der Normalschanze. Neu ist die Kombination für die Frauen am Samstag.
Die Voraussetzungen sind jedoch nicht unbedingt ideal – trotz der insgesamt vier Saisonerfolge von Geiger. „Er hat taktisch viele Möglichkeiten, er kann reagieren“, so der Coach. Trotzdem gilt auch für ihn: „Der Riiber ist ganz klar derjenige, den es zu schlagen gilt.“
Dass seine Athleten nicht als große Favoriten gehandelt werden, ist für Weinbuch als Ausgangslage nicht neu. Auch 2005 hatte er ein starkes
Team geformt. Mit Ronny Ackermann an der Spitze. Der kam zwar als Titelverteidiger im Einzel und als Führender im Weltcup ins Allgäu, allerdings hatte er seine Sprungform verloren. „Wir haben mit Ronny Sondertrainings in Ruhpolding eingelegt“, erzählt der Bundestrainer, „an drei Tagen ist er jeweils 13-mal hintereinander auf der großen Schanze gesprungen.“Erst bei den letzten zwei Sprüngen sei der Knoten geplatzt. Geholfen hat auch ein riskanter Schuhwechsel. Dies war der Schlüssel, dass er danach Gold im Einzel und im Sprint holen konnte.
Über so ein brachiales Trainingsprogramm kann Weinbuch heute nur noch den Kopf schütteln. „Diese Kapazitäten
hat kein Springer mehr“, sagt er. Bei Lehrgängen in Oberhof und Garmisch-Partenkirchen hätten sie den richtigen Dreh gefunden, trotzdem rang der Coach nach den ersten Trainingssprüngen am Mittwoch etwa zehn Sekunden mit sich, um die richtigen Worte zu finden. „Es war nichts Halbes und nichts Ganzes“, lautete sein Fazit. Nach den Übungseinheiten am Tag später urteilte Sprungtrainer Heinz Kuttin: „Joah, wie soll ich es sagen? Die Sprünge waren okay, aber nicht gut.“Damit lagen die Übungsleiter allerdings nicht auf einer Wellenlänge mit ihren Sportlern. Sowohl Geiger als auch Eric Frenzel sagten, dass sie nicht unzufrieden seien.
Dominator Jarl-Magnus Riiber ließ die ersten Sprünge bei der WM mal eben aus. „Der pokert doch wieder mit seinen Nerventricks“, sagte Weinbuch. Spätestens am Freitag wird der Norweger aber voll da sein. Trotzdem will das deutsche Team die Erfolgsserie der vergangenen Titelkämpfe fortsetzen, die sich in einem Punkt elementar von den beiden vorangegangenen Meisterschaften im Allgäu unterscheiden. Weil aufgrund der Corona-Pandemie keine Zuschauer an die Schanze oder Loipe kommen dürfen.
Mit Wehmut erinnert sich Hermann Weinbuch an das Wintermärchen 2005: „Es war eindeutig meine schönste WM.“