Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Erster Infizierter im Kreis vor einem Jahr
Damals 49-Jähriger steckt sich im Skiurlaub mit Coronavirus an.
KREIS SIGMARINGEN - Ein 50-Jähriger aus dem Raum Bad Saulgau hat es ungewollt in die Geschichtsbücher des Landkreises Sigmaringen geschafft. Er war vor exakt einem Jahr der erste Corona-Infizierte im Kreis. Heute geht es dem Familienvater gut. Er hat keine Spätfolgen zu beklagen, warnt trotzdem davor, das Virus zu verharmlosen.
Das Landratsamt Sigmaringen hatte vor einem Jahr Medienvertreter zu einer Pressekonferenz eingeladen, um den ersten Coronafall im Kreis Sigmaringen zu vermelden. Dem damals 49-Jährigen wurde zwei Tage zuvor ein Abstrich genommen. Am Morgen vor der Pressekonferenz erhielt er vom Gesundheitsamt den Anruf, dass das Testergebnis positiv ausgefallen sei. „Ich musste erst einmal den Hörer vom Ohr weghalten, weil ich es nicht glauben konnte“, sagt der Mann, dessen drei Kinder und seine Frau negativ auf Covid-19 getestet wurden.
Eine Woche zuvor war die Familie beim Skiurlaub in Wolkenstein in den Dolomiten. „Corona war für uns doch alle noch ganz weit weg“, sagt der damals 49-Jährige. Aber nach dem Ausbruch im chinesischen Wuhan kam das Virus in rasender Geschwindigkeit und länderübergreifend immer näher – es erreichte in Deutschland zuerst den Landkreis Heinsberg, dann auch die Skigebiete Ischgl und Lombardei; aus der Epidemie wurde plötzlich eine Pandemie.
Am letzten Freitag im Februar 2020, einen Tag früher als geplant, um dem Verkehrsstau zu entkommen, reiste die Familie wieder ab. Einen Tag nach der Rückkehr verspürte der 49-Jährige erste Symptome. „Ich hatte Gliederschmerzen, Husten und Fieber.“Geschmacksstörungen hatte er keine. Eine Grippe also – oder doch mehr? „Ich wollte einfach auf
Nummer sicher gehen“, so der Mann, der wie alle anderen Familienmitglieder das Wochenende zu Hause verbrachte, um Kontakte zu vermeiden, und dann am Montag seinen Hausarzt anrief, nachdem sich sein Gesundheitszustand nicht verbessert hatte.
Bei der Pressekonferenz in Sigmaringen lobte Dr. Susanne Haag-Milz vom Gesundheitsamt das Verhalten des verantwortungsbewussten Familienvaters, der bis heute nicht weiß, wo er sich in Wolkenstein genau angesteckt hat. „Das kann auf der Skipiste, im Restaurant, in der vollen Gondel, das kann überall gewesen sein.“Und er war nicht der einzige Infizierte.
Wenige Tage später war Wolkenstein fast menschenleer, die Lifte standen still. 14 Tage lang musste der Infizierte isoliert von seiner Frau und seinen Kindern im Schlafzimmer wohnen. „Ich hatte keine Probleme, mich selbst zu beschäftigen, habe viele Bücher gelesen.“Die Mahlzeiten wurden ihm auf einem Servierwagen ins Zimmer geschoben. Seinen Angehörigen wurde ebenfalls Quarantäne verordnet. „Wir erlebten eine große Solidargemeinschaft“, sagt er rückblickend.
Nachbarn, Verwandte und gute Freunde erledigten die Einkäufe, Bekannte meldeten sich bei ihm telefonisch oder per WhatsApp, schickten ihm Genesungskarten. „Auch das Gesundheitsamt hat sich rührend um mich gekümmert.“Und sein Arbeitgeber
ließ ihm sogar noch ein paar Tage mehr Zeit, bevor er wieder an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt ist – nach weiteren Tests, die allesamt negativ ausfielen. Die Hilfsbereitschaft vieler Bürger, während die Familie in Quarantäne war, habe ihm aber auch deutlich gemacht, „dass wir hier schon auf einer Insel der Glückseligen leben“, sagt der 50Jährige und verweist beispielsweise auf alleinstehende Corona-Patienten im zehnten Stockwerk eines Plattenbaus in einer Großstadt.
Ein Jahr danach: Der 50-Jährige ist wohlauf, trägt Antikörper in sich, ist aber dennoch nicht zu 100 Prozent davor geschützt, sich möglicherweise ein zweites Mal mit dem Virus anzustecken. „Für mich gibt es deshalb gar keine Diskussion, mich impfen zu lassen“, sagt der 50-Jährige. Und er hofft, dass die Bevölkerung bereit ist, sich ohne Wenn und Aber impfen zu lassen – unabhängig vom Impfstoff. „Bei einer Tetanus-Impfung fragt auch niemand danach, wer den Impfstoff herstellt.“Und der 50-Jährige kann auch der Politik wenig Vorwürfe machen. „Sie muss bei allen ihren Entscheidungen jedes Mal neu abwägen. Die Deutschen können bei aller Kritik mit Krisen umgehen“, ergänzt er.
Die steigenden Fallzahlen im Kreis Sigmaringen beobachtet er mit Sorge, deshalb kann er, nachdem er seine eigenen Erfahrungen gemacht hat, nur an alle Bürger appellieren. „Lieber dauert es noch eine Weile bis zur Rückkehr zur Normalität, bevor wieder alles schlimmer wird.“