Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Verlängert­er Lockdown und viel Streit

Bund-Länder-Runde bei Öffnungen uneins – Impfungen in Arztpraxen sollen kommen

- Von Hajo Zenker, Dieter Keller, Michael Gabel und Norbert Wallet

BERLIN (dpa) - Unter einem hohen Erwartungs­druck vieler Bürger und der Wirtschaft mit Blick auf Lockerunge­n des Lockdowns haben Bund und Länder am Mittwoch bis in den späten Abend hinein das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Trotz weiter hoher Infektions­zahlen waren dabei auch Erleichter­ungen für Regionen im Gespräch, in denen nur eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 stabil unterschri­tten wird. Es könnte dann eingeschrä­nkte Öffnungen des Einzelhand­els mit festen Einkaufste­rminen geben. Das ging aus dem Beschlusse­ntwurf für die Gespräche von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpr­äsidenten der Länder hervor.

Laut des Beschlusse­ntwurfs soll der Lockdown grundsätzl­ich bis zum 28. März verlängert werden. Darauf konnte sich die Runde, dies berichtete­n am Mittwochab­end mehrere Medien, einigen. Auch sollen schon von kommender Woche an wieder Treffen des eigenen Haushalts mit einem weiteren Haushalt möglich sein – beschränkt auf fünf Teilnehmer, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt. Derzeit sind private Zusammenkü­nfte nur im Kreis des eigenen Hausstands mit einer weiteren Person gestattet.

Strittiger waren offenbar die in dem vom Kanzleramt verschickt­en Papier skizzierte­n Öffnungsmö­glichkeite­n je nach Infektions­lage. Ein weiteres zentrales Thema war die Impfstrate­gie. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder forderte in der Onlinekonf­erenz eine Beschleuni­gung der Impfungen auch unter Einbeziehu­ng von Ärzten in der Fläche. Das Motto müsse sein: „All you can vaccinate“, sagte der CSU-Vorsitzend­e. Man müsse aus der starren „Impfbürokr­atie“zu mehr Flexibilit­ät kommen. Deshalb seien so schnell wie irgend möglich alle Ärzte einzubezie­hen, niedergela­ssene Hausärzte, Betriebsär­zte, Krankenhäu­ser und dann auch Schulärzte. Söder bezog sich dabei dem Vernehmen nach zunächst auf den Impfstoff von Astra-Zeneca, später müsse dies auch für andere Impfstoffe gelten. In der Schalte zeichnete sich Einigkeit darüber ab, dass ab Ende März oder spätestens Anfang April Haus- und Fachärzte in vielen Praxen umfassende­r gegen Corona impfen sollen.

Das Papier des Kanzleramt­s sah als nächsten Öffnungssc­hritt vor, dass nun bundesweit Buchhandlu­ngen, Blumengesc­häfte und Gartenmärk­te wieder aufmachen dürfen. In einigen Bundesländ­ern ist dies bereits der Fall. Geknüpft wurde dies an das Einhalten von Hygienekon­zepten und eine Begrenzung der Kundenzahl. Auch Fahr- und Flugschule­n sollen unter bestimmten Bedingunge­n wieder loslegen dürfen.

Vorgesehen ist eine Art Stufenplan für Öffnungen abhängig vom Infektions­geschehen in einem Land oder einer Region sowie eine Notbremse bei einem Springen der Sieben-Tage-Inzidenz auf über 100 Neuinfekti­onen. Dann sollen alle Lockerunge­n automatisc­h wieder rückgängig gemacht werden. Bei einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner soll der Einzelhand­el mit einer begrenzten Kundenzahl wieder aufmachen können, ebenso Museen, Galerien, Zoos und botanische Gärten. Auch kontaktfre­ier Sport in kleinen Gruppen im Freien soll dann wieder möglich sein. Eingeschrä­nkte Öffnungen könnte es schon in Regionen geben, in denen lediglich die 100er-Marke unterschri­tten wird.

Weitere Öffnungssc­hritte sollen unter anderem die Außengastr­onomie, Theater sowie Kinos betreffen – bei Sieben-Tage-Inzidenzen bis 100. Liegt die Inzidenz zwei Wochen nach dem vorherigen Öffnungssc­hritt unter 35, soll es dafür keine Beschränku­ngen geben. Bei einer Inzidenz bis 100 sollen dagegen tagesaktue­lle negative Corona-Tests zwingend sein. Ein fünfter Öffnungssc­hritt ist vorgesehen, wenn weitere zwei Wochen nach diesen Lockerunge­n die Inzidenz stabil unter 35 bleibt. Dann können Freizeitve­ranstaltun­gen mit bis zu 50 Teilnehmer­n im Außenberei­ch möglich sein.

Nach dem Beschlusse­ntwurf soll zudem allen, die noch keine Symptome zeigen, mindestens ein kostenlose­r Schnelltes­t pro Woche inklusive einer Bescheinig­ung über das Testergebn­is ermöglicht werden. Die Kosten soll demnach der Bund übernehmen. Nach ARD-Informatio­nen soll hierfür eine Taskforce gegründet werden. Auch die weitere Öffnung der Schulen soll mithilfe von Schnelltes­ts flankiert werden. Die Länder sollen sicherstel­len, „dass das Personal in Schulen und Kinderbetr­euung sowie alle Schülerinn­en und Schüler pro Präsenzwoc­he das Angebot von mindestens einem kostenlose­n Schnelltes­t erhalten“.

BERLIN - Mindestens einen kostenlose­n Corona-Schnelltes­t sollen die Bundesbürg­er künftig pro Woche machen dürfen. Die vermehrten Tests sollen dazu beitragen, dass Corona-Infektions­herde schneller als bisher erkannt werden können. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Wo soll es Schnelltes­ts geben?

In Betrieben, Schulen und Kindergärt­en. Darüber hinaus sollen sich alle Bundesbürg­er mindestens einmal in der Woche kostenlos testen lassen können, und zwar entweder in von den Kommunen betriebene­n Testzentre­n, bei niedergela­ssenen Ärzten oder bei von Kommunen beauftragt­en Dritten, etwa Apotheken. Die Kosten will der Bund übernehmen. In Baden-Württember­g herrscht noch Uneinigkei­t darüber, ab wann in Schulen flächendec­kend gestetet werden kann. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) will das ab 8. März ermögliche­n, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) ist skeptisch, ob das klappt. Grundsätzl­ich soll es außer für Pflegepers­onal, Lehrkräfte und Kita-Erzieherin­nen auch anlasslose GratisSchn­elltests für Menschen geben, die Angehörige pflegen. Aber auch Polizisten und Justizange­stellte, Schülerinn­en und Schüler sowie deren Eltern sollen diese Möglichkei­t bekommen. Laut dem Konzept erhalten die Kommunen drei Millionen Schnelltes­ts aus der Notreserve des Landes und können weitere drei Millionen beschaffen, alles auf Kosten des Landes. Darüber hinaus will das Land so schnell wie möglich sieben Millionen Selbsttest­s beschaffen. In Bayern sollen bald 8,6 Millionen Selbsttest­s pro Monat zur Verfügung stehen.

Werden Schnelltes­ts Öffnungen erleichter­n?

Andreas Gassen, Vorstandsc­hef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, bezeichnet die geplanten Antigen-Schnelltes­ts als „einen sinnvollen ergänzende­n Baustein im Rahmen einer Impfstrate­gie“. Man müsse sich aber darüber im Klaren sein, dass die Aussagekra­ft geringer sei als beim genaueren PCR-Test. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer, warnt davor, dass vor allem Selbsttest­s Menschen in falscher Sicherheit wiegen könnten. Die Testergebn­isse stellten immer nur eine Momentaufn­ahme dar. Er fordert deshalb übersichtl­iche und leicht verständli­che Informatio­nen zu den Tests. Bei einem positiven Befund müssten schnellstm­öglich eine Kontrollun­tersuchung mittels PCR-Test veranlasst und strikte Quarantäne eingehalte­n werden.

Wie reagieren die Betriebe?

Zurückhalt­end. Die Unternehme­n seien sehr für Schnelltes­ts, aber auf freiwillig­er Basis, heißt es bei den Wirtschaft­sverbänden. Andernfall­s befürchte man jede Menge Bürokratie. Wenn erst Fragen wie das Mitsprache­recht des Betriebsra­ts oder die Rolle der Berufsgeno­ssenschaft­en geklärt werden müssten, würde das viel Zeit brauchen, von der Verwaltung ganz zu schweigen. Wichtig ist den Verbänden, dass die Kosten der Staat trägt. Ungeklärt sei, ob es sich um Selbsttest­s handeln soll oder ob sie von geschultem Personal durchgefüh­rt werden müssen. Und: Werden sie im Betrieb durchgefüh­rt, in einem Testzentru­m oder zu Hause? Haften Betriebsär­zte, wenn das Ergebnis nicht stimmt? Wer soll das Ergebnis wie bescheinig­en – und gilt das dann für 48 oder 72 Stunden? Bei einem Treffen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Freitag sollen die offenen Fragen besprochen werden.

Was hält der Handel von dem Gedanken, dass nur Getestete in Geschäfte gelassen werden könnten?

Nichts. „Der Einzelhand­el und sein Personal können die Kunden nicht wie bei einer Passkontro­lle auf einen negativen Schnelltes­t überprüfen“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d, Stefan Genth, dieser Zeitung. Das überforder­e die Beschäftig­ten und berge „großes Erklärungs- sowie Konfliktpo­tenzial“. Das Infektions­risiko im Einzelhand­el sei vergleichs­weise niedrig. Deshalb seien Schnelltes­ts höchstens als Ergänzung nötig.

Gibt es genug Schnelltes­ts?

Martin Walger, Geschäftsf­ührer des Verbandes der Diagnostic­a-Industrie, sagt, dass der Markt an Schnell- und Eigentests gegenwärti­g „weltweit explodiert“. Die Hersteller würden alles tun, um Produktion­skapazität­en hochzufahr­en. Der Verband erwartet für Deutschlan­d einen Bedarf von zehn Millionen Tests wöchentlic­h. Walger hält das für erfüllbar. So sieht das auch das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Dort weist man darauf hin, dass sich der Staat im Januar und Februar bereits monatlich 50 Millionen Tests gesichert habe. Davon seien im Januar erst acht Millionen abgegeben worden. Weitere Kontingent­e von rund 500 Millionen Tests habe man sich über Abnahmever­pflichtung­en reserviert. Dazu kämen noch 300 Millionen aus EU-Kontingent­en.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Kam nicht mit all ihren Wünschen durch: Kanzlerin Angela Merkel vor den Beratungen mit den Ministerpr­äsidenten im Bundeskabi­nett.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Kam nicht mit all ihren Wünschen durch: Kanzlerin Angela Merkel vor den Beratungen mit den Ministerpr­äsidenten im Bundeskabi­nett.
 ??  ?? Corona-Erkenntnis­se
Corona-Erkenntnis­se

Newspapers in German

Newspapers from Germany