Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Verlängerter Lockdown und viel Streit
Bund-Länder-Runde bei Öffnungen uneins – Impfungen in Arztpraxen sollen kommen
BERLIN (dpa) - Unter einem hohen Erwartungsdruck vieler Bürger und der Wirtschaft mit Blick auf Lockerungen des Lockdowns haben Bund und Länder am Mittwoch bis in den späten Abend hinein das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Trotz weiter hoher Infektionszahlen waren dabei auch Erleichterungen für Regionen im Gespräch, in denen nur eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 stabil unterschritten wird. Es könnte dann eingeschränkte Öffnungen des Einzelhandels mit festen Einkaufsterminen geben. Das ging aus dem Beschlussentwurf für die Gespräche von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder hervor.
Laut des Beschlussentwurfs soll der Lockdown grundsätzlich bis zum 28. März verlängert werden. Darauf konnte sich die Runde, dies berichteten am Mittwochabend mehrere Medien, einigen. Auch sollen schon von kommender Woche an wieder Treffen des eigenen Haushalts mit einem weiteren Haushalt möglich sein – beschränkt auf fünf Teilnehmer, Kinder bis 14 Jahre nicht mitgezählt. Derzeit sind private Zusammenkünfte nur im Kreis des eigenen Hausstands mit einer weiteren Person gestattet.
Strittiger waren offenbar die in dem vom Kanzleramt verschickten Papier skizzierten Öffnungsmöglichkeiten je nach Infektionslage. Ein weiteres zentrales Thema war die Impfstrategie. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte in der Onlinekonferenz eine Beschleunigung der Impfungen auch unter Einbeziehung von Ärzten in der Fläche. Das Motto müsse sein: „All you can vaccinate“, sagte der CSU-Vorsitzende. Man müsse aus der starren „Impfbürokratie“zu mehr Flexibilität kommen. Deshalb seien so schnell wie irgend möglich alle Ärzte einzubeziehen, niedergelassene Hausärzte, Betriebsärzte, Krankenhäuser und dann auch Schulärzte. Söder bezog sich dabei dem Vernehmen nach zunächst auf den Impfstoff von Astra-Zeneca, später müsse dies auch für andere Impfstoffe gelten. In der Schalte zeichnete sich Einigkeit darüber ab, dass ab Ende März oder spätestens Anfang April Haus- und Fachärzte in vielen Praxen umfassender gegen Corona impfen sollen.
Das Papier des Kanzleramts sah als nächsten Öffnungsschritt vor, dass nun bundesweit Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte wieder aufmachen dürfen. In einigen Bundesländern ist dies bereits der Fall. Geknüpft wurde dies an das Einhalten von Hygienekonzepten und eine Begrenzung der Kundenzahl. Auch Fahr- und Flugschulen sollen unter bestimmten Bedingungen wieder loslegen dürfen.
Vorgesehen ist eine Art Stufenplan für Öffnungen abhängig vom Infektionsgeschehen in einem Land oder einer Region sowie eine Notbremse bei einem Springen der Sieben-Tage-Inzidenz auf über 100 Neuinfektionen. Dann sollen alle Lockerungen automatisch wieder rückgängig gemacht werden. Bei einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner soll der Einzelhandel mit einer begrenzten Kundenzahl wieder aufmachen können, ebenso Museen, Galerien, Zoos und botanische Gärten. Auch kontaktfreier Sport in kleinen Gruppen im Freien soll dann wieder möglich sein. Eingeschränkte Öffnungen könnte es schon in Regionen geben, in denen lediglich die 100er-Marke unterschritten wird.
Weitere Öffnungsschritte sollen unter anderem die Außengastronomie, Theater sowie Kinos betreffen – bei Sieben-Tage-Inzidenzen bis 100. Liegt die Inzidenz zwei Wochen nach dem vorherigen Öffnungsschritt unter 35, soll es dafür keine Beschränkungen geben. Bei einer Inzidenz bis 100 sollen dagegen tagesaktuelle negative Corona-Tests zwingend sein. Ein fünfter Öffnungsschritt ist vorgesehen, wenn weitere zwei Wochen nach diesen Lockerungen die Inzidenz stabil unter 35 bleibt. Dann können Freizeitveranstaltungen mit bis zu 50 Teilnehmern im Außenbereich möglich sein.
Nach dem Beschlussentwurf soll zudem allen, die noch keine Symptome zeigen, mindestens ein kostenloser Schnelltest pro Woche inklusive einer Bescheinigung über das Testergebnis ermöglicht werden. Die Kosten soll demnach der Bund übernehmen. Nach ARD-Informationen soll hierfür eine Taskforce gegründet werden. Auch die weitere Öffnung der Schulen soll mithilfe von Schnelltests flankiert werden. Die Länder sollen sicherstellen, „dass das Personal in Schulen und Kinderbetreuung sowie alle Schülerinnen und Schüler pro Präsenzwoche das Angebot von mindestens einem kostenlosen Schnelltest erhalten“.
BERLIN - Mindestens einen kostenlosen Corona-Schnelltest sollen die Bundesbürger künftig pro Woche machen dürfen. Die vermehrten Tests sollen dazu beitragen, dass Corona-Infektionsherde schneller als bisher erkannt werden können. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wo soll es Schnelltests geben?
In Betrieben, Schulen und Kindergärten. Darüber hinaus sollen sich alle Bundesbürger mindestens einmal in der Woche kostenlos testen lassen können, und zwar entweder in von den Kommunen betriebenen Testzentren, bei niedergelassenen Ärzten oder bei von Kommunen beauftragten Dritten, etwa Apotheken. Die Kosten will der Bund übernehmen. In Baden-Württemberg herrscht noch Uneinigkeit darüber, ab wann in Schulen flächendeckend gestetet werden kann. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will das ab 8. März ermöglichen, Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist skeptisch, ob das klappt. Grundsätzlich soll es außer für Pflegepersonal, Lehrkräfte und Kita-Erzieherinnen auch anlasslose GratisSchnelltests für Menschen geben, die Angehörige pflegen. Aber auch Polizisten und Justizangestellte, Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern sollen diese Möglichkeit bekommen. Laut dem Konzept erhalten die Kommunen drei Millionen Schnelltests aus der Notreserve des Landes und können weitere drei Millionen beschaffen, alles auf Kosten des Landes. Darüber hinaus will das Land so schnell wie möglich sieben Millionen Selbsttests beschaffen. In Bayern sollen bald 8,6 Millionen Selbsttests pro Monat zur Verfügung stehen.
Werden Schnelltests Öffnungen erleichtern?
Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, bezeichnet die geplanten Antigen-Schnelltests als „einen sinnvollen ergänzenden Baustein im Rahmen einer Impfstrategie“. Man müsse sich aber darüber im Klaren sein, dass die Aussagekraft geringer sei als beim genaueren PCR-Test. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, warnt davor, dass vor allem Selbsttests Menschen in falscher Sicherheit wiegen könnten. Die Testergebnisse stellten immer nur eine Momentaufnahme dar. Er fordert deshalb übersichtliche und leicht verständliche Informationen zu den Tests. Bei einem positiven Befund müssten schnellstmöglich eine Kontrolluntersuchung mittels PCR-Test veranlasst und strikte Quarantäne eingehalten werden.
Wie reagieren die Betriebe?
Zurückhaltend. Die Unternehmen seien sehr für Schnelltests, aber auf freiwilliger Basis, heißt es bei den Wirtschaftsverbänden. Andernfalls befürchte man jede Menge Bürokratie. Wenn erst Fragen wie das Mitspracherecht des Betriebsrats oder die Rolle der Berufsgenossenschaften geklärt werden müssten, würde das viel Zeit brauchen, von der Verwaltung ganz zu schweigen. Wichtig ist den Verbänden, dass die Kosten der Staat trägt. Ungeklärt sei, ob es sich um Selbsttests handeln soll oder ob sie von geschultem Personal durchgeführt werden müssen. Und: Werden sie im Betrieb durchgeführt, in einem Testzentrum oder zu Hause? Haften Betriebsärzte, wenn das Ergebnis nicht stimmt? Wer soll das Ergebnis wie bescheinigen – und gilt das dann für 48 oder 72 Stunden? Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag sollen die offenen Fragen besprochen werden.
Was hält der Handel von dem Gedanken, dass nur Getestete in Geschäfte gelassen werden könnten?
Nichts. „Der Einzelhandel und sein Personal können die Kunden nicht wie bei einer Passkontrolle auf einen negativen Schnelltest überprüfen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, Stefan Genth, dieser Zeitung. Das überfordere die Beschäftigten und berge „großes Erklärungs- sowie Konfliktpotenzial“. Das Infektionsrisiko im Einzelhandel sei vergleichsweise niedrig. Deshalb seien Schnelltests höchstens als Ergänzung nötig.
Gibt es genug Schnelltests?
Martin Walger, Geschäftsführer des Verbandes der Diagnostica-Industrie, sagt, dass der Markt an Schnell- und Eigentests gegenwärtig „weltweit explodiert“. Die Hersteller würden alles tun, um Produktionskapazitäten hochzufahren. Der Verband erwartet für Deutschland einen Bedarf von zehn Millionen Tests wöchentlich. Walger hält das für erfüllbar. So sieht das auch das Bundesgesundheitsministerium. Dort weist man darauf hin, dass sich der Staat im Januar und Februar bereits monatlich 50 Millionen Tests gesichert habe. Davon seien im Januar erst acht Millionen abgegeben worden. Weitere Kontingente von rund 500 Millionen Tests habe man sich über Abnahmeverpflichtungen reserviert. Dazu kämen noch 300 Millionen aus EU-Kontingenten.