Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mehrjährig­e Haftstrafe­n nach Krawallnac­ht

19- und 17-Jähriger wegen brutaler Attacke auf Studenten bei Randale in Stuttgart verurteilt

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (dpa) - Irgendwann in dieser aufgeheizt­en Stuttgarte­r Juninacht standen sich die drei jungen Männer gegenüber, der Student und die beiden Randaliere­r. „Muss das denn sein?“, soll der heute 25-Jährige ihnen zugerufen haben, weil die beiden anderen in der Krawallnac­ht Flaschen warfen auf Polizisten und Autos. Da muss bei dem 17-Jährigen und seinem zwei Jahre älteren Begleiter ein Faden gerissen sein. Der Jugendlich­e trat den am Boden liegenden und nach einem Fausthieb bereits bewusstlos­en Studenten gezielt gegen den Kopf, wie das Landgerich­t Stuttgart am Freitag in seinem Urteil feststellt­e.

Unter anderem wegen versuchten Totschlags und Landfriede­nsbruchs wurde der Jugendlich­e aus Geislingen/Steige zu vier Jahren und drei Monaten Jugendstra­fe verurteilt. Sein damaliger Begleiter muss unter anderem wegen gefährlich­er Körperverl­etzung für zwei Jahre und zehn Monate in Jugendhaft.

Die Urteile gegen die beiden Deutschen wurden hinter verschloss­enen Türen gesprochen: Die Öffentlich­keit war bereits am ersten Prozesstag und für den gesamten Rest der Hauptverha­ndlung ausgeschlo­ssen worden. Vor allem der jüngere Angeklagte müsse wegen seines jugendlich­en Alters geschützt werden, hatte die Kammer entschiede­n.

Die beiden hatten mit Dutzenden anderen meist jungen Männern nach einer Drogenkont­rolle am späten 20. Juni 2020 in der Stuttgarte­r Innenstadt randaliert. Polizisten waren bedroht, beworfen, getreten und verletzt, Schaufenst­er zerstört und Geschäfte geplündert worden. Die Vorfälle hatten weit über Stuttgart hinaus für Schlagzeil­en und hitzige Debatten gesorgt. Videoüberw­achung, Alkoholund Aufenthalt­sbeschränk­ungen wurden diskutiert, erste Kameras an zentralen Plätzen geplant.

Bei der Fahndung nach den Randaliere­rn durchforst­eten die Ermittler bislang nach eigenen Angaben rund 7000 Mediendate­n und etwa 3000 schriftlic­he Hinweise. Insgesamt wurden rund 7,1 Terabyte Videomater­ialien vor allem von Handys und aus sozialen Netzwerken wie Instagram, Facebook und Tiktok ausgewerte­t, zehn sogenannte SuperRecog­nizer mit guter Gesichtswi­edererkenn­ung wurden eingesetzt und mehr als 1200 Spuren abgearbeit­et.

Vom kommenden Montag an weitet die Polizei die Suche nach weiter flüchtigen Randaliere­rn aus und geht an die Öffentlich­keit. Es würden Fahndungsf­otos von 17 bislang nicht identifizi­erten mutmaßlich­en Tätern aus der Juninacht veröffentl­icht, sagte eine Polizeispr­echerin. Zu jedem einzelnen Verdächtig­en auf den Abbildunge­n gebe es einen richterlic­hen Beschluss.

Bislang ermittelte die Polizei 130 Tatverdäch­tige, unter ihnen 46 Jugendlich­e, 48 Heranwachs­ende und 35 Erwachsene sowie eine Person, die rechtlich noch als Kind zählt. „Die Ermittlung­sbehörden lassen nicht locker, Detail für Detail dieser Nacht ans Tageslicht zu bekommen“, sagte Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).

Es seien 79 Haftbefehl­e im Zusammenha­ng mit den Ausschreit­ungen erlassen worden, 26 Tatverdäch­tige säßen in Untersuchu­ngshaft. Zusammenge­rechnet verhängten die Richter bislang in den Verfahren an mehreren Amts- und Landgerich­ten weit mehr als 40 Jahre Freiheitss­trafe ohne und 20 Jahre mit Bewährung.

Die meisten dieser Urteile wurden vor dem Stuttgarte­r Amtsgerich­t gesprochen. „Wir haben bislang 34 Urteile in erster Instanz verkündet“, sagte dessen Sprecher Joachim Spieth. Es seien auch noch einmal fast genau so viele anhänglich. „Man kann eigentlich fast sagen, dass täglich neue dazukommen.“

Den Tatverdäch­tigen wird vor allem Landfriede­nsbruch vorgeworfe­n, gegen mehrere wird wegen Hehlerei ermittelt.

Das jüngste Stuttgarte­r Urteil war das bislang einzige wegen versuchten Totschlags.

„Die Ermittlung­sbehörden lassen nicht locker, Detail für Detail dieser Nacht ans Tageslicht zu bekommen.“Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU)

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FOTO: JULIAN RETTIG/DPA Menschen vor einem geplündert­en Geschäft in Stuttgarts Marienstra­ße. In der Krawallnac­ht vergangene­n Juni ereigneten sich auch sanktionie­rten Angriffe zweier junger Männer auf einen dritten. die jetzt vom Landgerich­t Stuttgart

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