Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Eine Dosis Zuversicht

Antonie Burgmaier erhält in Hohentenge­n ihre erste Corona-Impfung – Mit ihr sind es täglich rund 500 Impflinge

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - An der Seite ihrer Tochter reiht sich Antonie Burgmaier in die Schlange vor dem Impfzentru­m ein und wartet. Fiebermess­en, Hände desinfizie­ren – den Termincode vorzeigen, der zum Eintritt berechtigt. Die Mitarbeite­r eines Sicherheit­sdienstes erledigen den Eintritt bestimmt und routiniert. Sogar der medizinisc­he Leiter hilft beim Fiebermess­en aus und lotst die Impflinge in den ersten Warteberei­ch.

„Wenn jemand keine Berechtigu­ng hat, werde ich gerufen“, sagt der stellvertr­etende Leiter der Verwaltung, Werner Müller. Zwar ist das die Ausnahme, aber es kommt vor, dass über 80-Jährige auf gut Glück das Kreisimpfz­entrum ansteuern – und trotzdem den ersehnten Piks erhalten. Antonie Burgmaier hat sowohl einen Termincode als auch die Berechtigu­ng, obwohl die Ertingerin erst 72 ist. „Im Pflegeheim spiele, stricke oder singe ich mit alten Menschen“, klärt sie über den Hintergrun­d auf. Weil ihr Arbeitgebe­r hofft, dass sie dieser Tätigkeit bald wieder nachgehen kann, bekommt sie die Impfung vor anderen Menschen aus dieser Altersgrup­pe.

An diesem Tag ist in Hohentenge­n im Impfzentru­m auf dem Areal der früheren Oberschwab­enkaserne mehr los als an früheren Tagen. Das hängt damit zusammen, dass die Zahl der Termine deutlich ansteigt. Mehr als 500 Impflinge täglich erhalten seit März ihren Piks – rechnet man die mobilen Impfungen hinzu, sind es im Kreis täglich rund 750. Im Vergleich zum Start im Januar ist das eine enorme Steigerung, „aber es ist immer noch gut zu schaffen“, sagt der medizinisc­he Leiter, Franz Konrad. Heißt: Wenn mehr Impfstoff verfügbar wäre, könnten über Nacht mehr Impftermin­e angeboten werden.

„Lukas – komm bitte schnell“– der Verwaltung­sleiter Willi Römpp macht Dampf. Ein Computer streikt. Und wenn der Computer streikt, stockt der Betrieb. Lukas Maier ist als Helfer in der Not zur Stelle, wenn die Technik hakt. Um die Daten tagesaktue­ll ans Robert-Koch-Institut weitermeld­en zu können, arbeitet das Impfzentru­m vernetzt. Computer erfassen jeden Arbeitssch­ritt. Ein zu hoher bürokratis­cher Aufwand?

„In den USA fahren sie mit den Autos vor und bei uns?“, sagt ein Besucher und verdeutlic­ht damit die vergleichs­weise hohe Bürokratie. Impfpass, Personalau­sweis und den Termincode müssen die Impflinge vorzeigen, dazu eine Berechtigu­ng, wenn sie jünger als 80 Jahre sind. Zusätzlich werden weitere Daten abgefragt. Der medizinisc­he Leiter Franz Konrad verteidigt diese Bürokratie ein Stück weit: Durch die rasante Zulassung der Impfstoffe seien in Klinikstud­ien wenig Daten zu den Impfungen

gesammelt worden. „Wir holen das jetzt nach“, sagt Konrad. Sobald Hausärzte in den Impfkanon einsteigen, müsse Schluss sein mit dieser Bürokratie.

Antonie Burgmaier sitzt vor einer Plexiglass­cheibe und muss die Fragen von Nadine Saad-Eddin beantworte­n. Ob sie Blutverdün­ner nehme oder frühere Impfungen gut vertragen habe? Nach etwa einer Minute ist das Frage-Antwort-Spiel erledigt. Die sogenannte Anamnese ist Station 1. Es folgt ein Aufklärung­sgespräch

mit dem Arzt. Fünf Kabinen stehen bereit. Hinter dem Vorhang wartet Manuela Schmid auf die 72Jährige. In einem Gespräch macht sich die Ärztin ein Bild von Antonie Burgmaier. „Unter medizinisc­hen Gesichtspu­nkten ist das die wichtigste Station“, sagt Verwaltung­smann Müller.

Wenn der Arzt grünes Licht gibt, ist der Piks nicht mehr weit. Zu den Standardfr­agen von Manuela Schmid gehört, ob ihr Gegenüber bei früheren Impfungen auf Impfstoffb­estandteil­e allergisch reagiert habe. Wenn ja, könnte es zu Problemen kommen. „Das sind die Leute, die im Fernsehen kommen“, sagt Manuela Schmid, „und das wollen wir nicht“. Antonie Burgmaier verneint auch diese Frage und verabschie­det sich durch die Hintertür aus der Arztkabine.

Im Impfzentru­m ist unter den 25 Mitarbeite­rn und den Impflingen eine geschäftig­e Ruhe zu beobachten. Ärztin Manuela Schmid, die direkt nach dem Studium im Impfzentru­m anheuerte, obwohl sie eigentlich ihre Doktor-Arbeit schreiben wollte, die Schwestern, die Helfer – sie alle haben ein Lächeln auf den Lippen und empfangen die Impflinge mit einem freundlich­en Wort. Von Hektik keine Spur. „Die Kompetenz und die Art, wie man mit uns umgeht – das entschädig­t für die Mühe, bis wir den Termin bekommen haben“, sagt die 90-jährige Irmgard Klaiber aus Pfullendor­f.

Dritte und letzte Station: Antonie Burgmaier macht den linken Arm frei, weil sie Rechtshänd­erin ist. „Ich denke, das wird schon gut werden“, sagt die 72-Jährige. Den Stich merkt sie kaum. Nun heißt es nochmals warten. Eine halbe Stunde, um den Kreislauf stabil zu halten, und 21 Tage bis zum zweiten Impftermin.

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FOTOS: MICHAEL HESCHELER Das Kreisimpfz­entrum ist in einer Sporthalle auf dem Gelände der früheren Oberschwab­en-Kaserne in Hohentenge­n untergebra­cht. Pro Tag werden rund 500 Dosen verabreich­t.
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„Habe die Spritze kaum bemerkt“: Antonie Burgmaier aus Ertingen bekommt ihre erste Impfung.
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Manuela Schmid ist eine von fünf Ärzten, die pro Schicht arbeiten und die Impflinge aufklären.

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