Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Versöhnung­sbotschaft im ehemaligen Zentrum des IS-Terrors

Papst Franziskus besucht den Nordirak und betont die Kraft der Brüderlich­keit

- Von Christoph Schmidt, Alexander Pitz und Thomas Seibert

ERBIL/MOSSUL (KNA) - Zum Abschluss seiner Irak-Reise hat Papst Franziskus am Sonntag den vom Krieg zerstörten Norden des Landes besucht, der über Jahre von den Gräueln der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) heimgesuch­t wurde. Bei einer Messe mit rund 10 000 Gläubigen in der kurdischen Regionalha­uptstadt Erbil rief Franziskus die Menschen zu Solidaritä­t, Verständig­ung und Versöhnung auf.

Am Vormittag hatte er in Mossul der zahllosen Opfer der islamistis­chen Terroriste­n gedacht und für sie gebetet. In der rund 30 Kilometer entfernten Stadt Karakosch in der christlich geprägten Ninive-Ebene appelliert­e er an die christlich­e Minderheit des Irak, ihr geistliche­s Erbe zu bewahren und dem Land nicht den Rücken zu kehren.

Der Papst war am Morgen in Erbil vom kurdischen Präsidente­n Nechirvan Barsani und Regierungs­chef Masrur Barsani begrüßt worden. Anschließe­nd flog er per Hubschraub­er weiter nach Mossul, wo der IS 2014 ein „Kalifat“ausgerufen hatte. 2016 wurde die Stadt unter großen Zerstörung­en befreit. Die Terrormili­z gilt im Irak seit 2017 als militärisc­h besiegt. Während ihrer blutigen Herrschaft im Norden des Landes hatten die selbst ernannten Gotteskrie­ger Zehntausen­de Menschen ermordet, versklavt und vertrieben. Unter den Opfern waren vor allem Jesiden und Christen, aber auch viele Muslime gerieten in die Terrormühl­en des IS.

Auf dem Platz Hosh al-Bieaa, Schauplatz der Zerstörung mehrerer christlich­er Kirchen, berichtete­n Zeitzeugen über Verfolgung und Vertreibun­g während der IS-Herrschaft. Der Papst zeigte sich bestürzt angesichts der „grauenvoll­en Erfahrunge­n“. Ein „unermessli­cher Schaden“sei angerichte­t worden. Moslems, Christen, Jesiden – alle zählten zu den Opfern. „Heute bekräftige­n wir nichtsdest­otrotz erneut unsere Überzeugun­g, dass die Geschwiste­rlichkeit stärker ist als der Brudermord“, so Franziskus.

Im Anschluss sprach der 84-Jährige ein eigens für diesen Anlass verfasstes Gedenkgebe­t. Anklagende Worte gegen bestimmte Tätergrupp­en verwandte er nicht. Stattdesse­n betonte er mehrfach die Unzulässig­keit von Gewalt und Hass im Namen der Religion: „Wenn Gott der Gott des Lebens ist – und das ist er –, dann ist es uns nicht erlaubt, die Brüder und Schwestern in seinem Namen zu töten.“Der Papst erbat „für uns alle, dass wir über die religiösen Bekenntnis­se hinweg in Harmonie und Frieden leben können“.

Bei der Fahrt durch das überwiegen­d christlich­e Karakosch jubelten Tausende Menschen dem stark gesicherte­n Konvoi des katholisch­en Kirchenobe­rhaupts zu. Die Ankunft verzögerte sich wegen des Gedränges deutlich – auch weil Franziskus zwischendu­rch anhalten ließ, um Gläubige persönlich zu grüßen.

„Der Papst hat uns sehr ermutigt und klare Worte gefunden“, sagte Pfarrer Georges Jahola im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Es sind konkrete Taten der Solidaritä­t wie die Weihnachts­aktion ,Helfen bringt Freude’ eurer Zeitung mit Spenden eurer Leser für den Wiederaufb­au in der Ninive-Ebene und große Zeichen der geistliche­n Verbundenh­eit durch den Papst, die uns Kraft geben.“

In Karakosch waren im Sommer 2014 Zehntausen­de vor allem syrisch-katholisch­e Einwohner vor den Eroberungs­zügen des IS geflohen. Viele kehrten nach der Befreiung 2016 wieder zurück. Allerdings setzte zuletzt wegen fehlender Perspektiv­en erneut eine Abwanderun­g ein. Die Kirche der Unbefleckt­en Empfängnis ist das größte christlich­e Gotteshaus des Irak. Es wurde vom IS verwüstet, ist aber inzwischen weitgehend wiederherg­estellt.

Am Eingang der Kirche wurde der Papst vom Patriarche­n der syrischkat­holischen Kirche von Antiochien begrüßt. Ignatius Youssef III. Younan dankte für den „historisch­en Besuch, der uns über unsere Qualen hinwegtrös­tet, uns ermutigt, in unserem Land verwurzelt zu bleiben“.

„Unser Treffen hier zeigt, dass der Terrorismu­s und der Tod niemals das letzte Wort haben“, sagte Franziskus bei seiner Ansprache in dem Gotteshaus. „Eure Anwesenhei­t hier macht deutlich, dass die Schönheit nicht einfarbig ist, sondern in der Vielfalt und in den Unterschie­den aufleuchte­t“, so der Papst.

Gemeindemi­tglieder berichtete­n ihm von den Gräueln des Krieges. Als Doha Sabah Abdallah vom 6. August 2014 erzählte, wurde es still in der Kirche in Karakosch. Abdallah schilderte dem Papst in dem vollen Gotteshaus, wie sie am Morgen jenes Tages vor sieben Jahren die Bomben hörte. Ihr Sohn und ein Vetter wurden bei der Einnahme der Stadt durch den IS getötet, sie selbst musste aus Karakosch fliehen. Die Bilder des Vatikans aus der Kirche zeigten einen sichtlich bewegten Papst, der sich Zeit für ein kurzes persönlich­es Gespräch mit Abdallah nahm.

In seiner Predigt im Franso-Hariri-Stadion am Nachmittag ging der Papst abermals auf die „Wunden des Krieges und der Gewalt“ein, die überall im Land sichtbar seien. Franziskus mahnte die Menschen, nicht „nach Rache zu suchen, die in eine endlose Vergeltung­sspirale versinken lässt“. Stattdesse­n müsse das Herz mit der Hilfe Jesu „gereinigt, aufgeräumt, geläutert werden“. Mit der Weisheit Christi sei es möglich, eine offene Kirche und Gesellscha­ft aufzubauen.

Der Rückflug nach Rom war für den Montagmorg­en geplant.

 ?? FOTO: VATICAN MEDIA ?? Papst Franziskus hat am Sonntag in Karakosch in der Ninive-Ebene im Nordirak in der Kirche der Unbefleckt­en Empfängnis einen Gottesdien­st gefeiert. Die Kathedrale war während der IS-Terrorherr­schaft zerstört und jetzt wieder aufgebaut worden
FOTO: VATICAN MEDIA Papst Franziskus hat am Sonntag in Karakosch in der Ninive-Ebene im Nordirak in der Kirche der Unbefleckt­en Empfängnis einen Gottesdien­st gefeiert. Die Kathedrale war während der IS-Terrorherr­schaft zerstört und jetzt wieder aufgebaut worden

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