Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Hausärzte wollen früher in Praxen impfen
Auch Zahnärzte bieten Hilfe an – Bund und Länder liefern Vakzin zunächst an Impfzentren
BERLIN (dpa/epd) - Zum ersten Mal sind laut Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) mehr als eine viertel Million Corona-Impfungen pro Tag in Deutschland verzeichnet worden, zudem gab es am Donnerstag grünes Licht für ein viertes Vakzin, jenes des US-Herstellers Johnson & Johnson. Trotz dieser guten Nachrichten gibt es weiter Ärger um den verzögerten Start der Impfungen in den Arztpraxen. Die Mediziner fordern eine schnellere Einbeziehung, um dank des dichten Netzes an Praxen auf breiter Front mehr Tempo in die Impfkampagne zu bekommen. „Wir sind nicht nur bereit, wir scharren seit Wochen ungeduldig mit den Hufen“, sagte Ulrich Weigeldt, der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes am Donnerstag.
Nach einer Empfehlung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern sollen Impfungen in Praxen „frühestmöglich“, aber spätestens in der Woche vom 19. April starten. Verfügbarer Impfstoff soll weiter zuerst an die bestehenden regionalen Impfzentren der Länder – bundesweit gibt es davon gut 400 – gehen. Daran entzündet sich der Streit. Andreas Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), warnte prompt vor möglichen Verzögerungen
bis in den Mai. „Wir befürchten, dass mit diesem Beschluss das wohnortnahe, flächendeckende und schnelle Impfen in den Praxen im April nicht mehr stattfinden wird“, sagte Gassen.
Ein rasches Durchimpfen der Bevölkerung sei selbst mit aufgestockten Impfzentren nicht zu erreichen. „Das geht nur mit den Praxen: Fünf Millionen Impfungen in der Woche sind dort absolut machbar.“Die KBV kritisierte, dass die Praxen nur den Rest der Impfdosen erhalten sollen, nachdem die Impfzentren versorgt wurden. Die Länder hätten das Verfahren unnötig verkompliziert.
Hausärzte-Chef Weigeldt sagte: „Ich kann nicht verstehen, dass man sozusagen das Volk im Lockdown hält, anstatt zu impfen, um irgendwelche Impfzentren weiter zu bedienen.“Auch die Zahnärzte boten Unterstützung an. Als approbierte Ärzte seien sie grundsätzlich dazu befähigt, sagte Wolfgang Eßer, der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV).
Über den Impfbeginn in den Praxen entscheiden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder – laut Bund – „zeitnah“vor der nächsten BundLänder-Runde am 22. März.
BERLIN - Seit Donnerstag ist eine weitere Corona-Impfung zugelassen: Der US-Konzern Johnson & Johnson (J&J) darf sein in Belgien entwickeltes Produkt in der EU ausliefern. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wann kommt der Impfstoff von Johnson & Johnson bei uns an?
Das Bundesgesundheitsministerium hat ihn noch nicht eingeplant, weil dieser Punkt noch nicht ganz geklärt ist. Die EU-Kommission hofft auf eine erste Lieferung von 55 Millionen Dosen bis Ende Juni. Davon würden knapp zehn Millionen auf Deutschland entfallen.
Wie viel ist insgesamt bestellt?
Die EU hat rund 200 Millionen Dosen fest bestellt, davon gehen etwa 35 Millionen Dosen an Deutschland. Weil nur eine einzelne Spritze nötig ist, sind diese so viel wert wie 70 Millionen Biontech-Dosen. Johnson & Johnson kann also einen soliden Beitrag zum Impfprogramm leisten. Die EU hat außerdem eine Option auf die Lieferung von weiteren 200 Millionen Einheiten. Diese werden aber zumindest für den Eigenbedarf voraussichtlich nicht mehr gebraucht.
Können die USA uns die Versorgung kappen?
Der Impfstoff wurde von der J&JTochter Janssen Pharmaceutica aus Belgien entwickelt. Derzeit herrschen jedoch Unsicherheiten über den Verlauf der weiteren Produktisind onskette. Das Unternehmen hatte vor, die Grundsubstanz zur Weiterverarbeitung und Abfüllung an den Mutterkonzern nach New York zu liefern und dann zurück nach Europa zu verschiffen. Die Vereinigten Staaten erlauben jedoch einem Gesetz aus der Trump-Zeit zufolge keinen Export von Impfstoffen. Es gilt indessen als wahrscheinlich, dass Präsident Joe Biden angesichts seiner rund laufenden Impfkampagne hier keinen Ärger macht. Außerdem hat der französische Konzern Sanofi angeboten, seine Werke zur Abfüllung des Wirkstoffs zur Verfügung zu stellen.
Was sind die Vorteile bei J&J?
Es ist nur eine Dosis nötig. Das hebt ihn unter fast allen Wettbewerbern heraus. Anders als der BiontechWirkstoff hält sich der von Johnson & Johnson zudem im normalen Kühlschrank. Die Nebenwirkungen
die gleichen wie bei den anderen Impfstoffen.
Hat er Nachteile?
In der Praxis nicht. Die Wirksamkeitsrate liegt bei 66 Prozent, das ist etwas niedriger als bei Biontech. Das heißt aber nicht, dass er in den anderen Fällen nicht wirkt. Der Impfstoff verhindert zuverlässig schwere Verläufe. Er wirkt zwar schwächer, aber ausreichend gut gegen die Mutanten.
Welche Impfstoffe gibt es nun und wie unterscheiden sie sich?
Die von Astra-Zeneca und Johnson & Johnson sind sogenannte Vektorimpfstoffe. Sie brauchen als Grundlage ein Virus, um Informationen in den Körper zu schleusen. Bei Johnson & Johnson ist es ein unschädlich gemachtes menschliches Schnupfenvirus. Es enthält genetisches Material eines Oberflächenproteins, mit dem der Erreger Sars-CoV-2 an menschliche Zellen andockt. Die Körperzellen des Geimpften bilden mithilfe der Bauanleitung das Protein, der Körper entwickelt eine Immunantwort. Die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna dagegen sind sogenannte mRNA-Impfstoffe. „m“steht für messenger (Bote), „RNA“für Ribonukleinsäure. Hier ist die mRNA die Bauanleitung für einen Bestandteil des Covid-19-Erregers. Sie gelangt mithilfe winziger Fetttröpfchen in die Körperzellen. Diese stellen dann ebenfalls das Virusprotein her, gegen das der Körper seine Immunantwort entwickelt.
Schützen die Impfstoffe auch vor Varianten des Virus?
Moderna und Biontech/Pfizer sind zuversichtlich. Erste Tests deuten darauf hin, dass ihre Impfstoffe auch vor den beiden zunächst in Großbritannien und Südafrika nachgewiesenen Varianten schützen. Allerdings stellten die Unternehmen auch fest, dass Geimpfte gegen die Variante aus Südafrika offenbar eine schwächere Immunantwort aufbauen. Das AstraZeneca-Vakzin schützt vor der britischen Mutante, Zweifel gibt es jedoch an der Wirksamkeit gegen die südafrikanische Variante. Man könne den Impfstoff gegebenenfalls anpassen, teilten Pfizer und Biontech mit. Moderna will unter anderem die Wirkung einer zusätzlichen Auffrischungsdosis testen. Südafrika setzt nun auf das Präparat von Johnson & Johnson. Dessen Wirksamkeit gegen die dort vorherrschende Variante B.1.351 sei belegt, hieß es.