Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bierhoff soll Löws Nachfolger suchen

Joachim Löw erläutert Rücktritts­ankündigun­g – Für Müller, Hummels, Boateng „Tür weder auf- noch zugemacht“

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FRANKFURT (SID) - Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) will die Suche nach einem Nachfolger für Bundestrai­ner Joachim Löw mit Ruhe und Akribie angehen. Man habe alle Zeit der Welt und werde in aller Sorgfalt die Nachfolge sondieren, sagte Präsident Fritz Keller am Donnerstag während einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit Löw und Oliver Bierhoff. Der DFB-Direktor habe den Auftrag zur Nachfolger­suche erhalten. Löw hatte am Dienstag angekündig­t, sich im Anschluss an die EM nach 15 Jahren aus dem Bundestrai­ner-Amt zurückzuzi­ehen. Seine Trainerkar­riere soll damit allerdings noch nicht beendet sein.

FRANKFURT (dpa/SID) - Joachim Löw wirkte in keinem Moment wie ein Bundestrai­ner, der nach 15 Jahren zermürbt aufgibt. Entspannt saß der 61-Jährige in der Frankfurte­r DFBZentral­e neben Präsident Fritz Keller und Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff und beschrieb seinen Rückzug nach der Europameis­terschaft als letzten großen Dienst an der Fußballnat­ion. Löw sprach eindringli­ch von „Erneuerung“, „Energie“, „neuen Impulsen“und „neuen Reizen“, die bei der Zäsur in diesem Sommer geboten seien – um bei der Heim-EM 2024 mit der neuen goldenen Generation um Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Leroy Sané ein Sommermärc­hen à la WM 2006 erleben zu können.

„Das ist ein Turnier im eigenen Land, das muss zu einer Explosion führen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass diese junge Generation ihren Leistungsz­enit 2024 erreicht und erleben wird“, verkündete Löw. Nicht die nach dem 0:6 in Spanien gesunkenen Sympathiew­erte für ihn und seine Arbeit ließen bei ihm in den vergangene­n Wochen nach „tagelangem Überlegen“den Entschluss reifen, nicht mehr bis zum Vertragsen­de nach der WM 2022 in Katar weitermach­en zu wollen – sondern der Weitblick auf das eigene Wirken. „Ich sehe mich 2024 nicht mehr in dieser Position. Wenn man von Erneuerung und Energie spricht, dann ist nach der EM der richtige Zeitpunkt, den Stab an einen anderen Trainer weiterzuge­ben. Es soll nicht daran scheitern, dass ein Trainer an seinem Stuhl klebt!“

In der von ihm ausgelöste­n und sofort heftig aufgeflamm­ten Nachfolged­iskussion übte Löw Zurückhalt­ung. Konkret angesproch­en auf seinen einstigen Weltmeiste­r-Assistente­n und BayernTrai­ner Hansi Flick sagte der NochAmtsin­haber: „Es ist nicht meine Aufgabe, über Nachfolger zu sprechen. Die Entscheidu­ng ist beim DFB und Oliver in guten Händen.“Bierhoff ist verbandsin­tern der maßgeblich­e Mann, auch wenn am Ende das Präsidium um Keller insgesamt entscheide­n wird. „Ich ziehe den Kandidaten nicht wie Kai aus der Kiste“, kündigte Bierhoff allerdings sofort einen einvernehm­lichen Lösungsans­atz an.

Von „Ruhe“und „Sorgfalt“bei der Suche sprach Keller. Es gebe „keine Denkverbot­e“. Eine Deadline setzte DFB-Direktor Bierhoff nicht, der Löw-Nachfolger könnte auch erst nach der EM benannt werden. „Wir haben absolut keine Zeitnot. Es ist keine dringende Entscheidu­ng“, sagte

„Ich ziehe den Kandidaten nicht wie Kai aus der Kiste.“Oliver Bierhoff

Bierhoff. Der neue Bundestrai­ner werde aber nicht erst zwei Tage vor der Fortsetzun­g der WM-Qualifikat­ion im September feststehen.

„Ich werde in der nächsten Zeit keine Kandidaten kommentier­en“, sagte Bierhoff zu den gehandelte­n Namen von Flick und Jürgen Klopp bis hin zu dem gerade vereinslos­en Ralf Rangnick oder U21-Coach Stefan Kuntz. „Wir haben gute Trainer in Deutschlan­d, im Ausland und im DFB“, sagte Bierhoff. Eine interne Platzhalte­rlösung strebt er nicht an. Er will vielmehr die Trainerwah­l „bis zu Ende denken“, also bis zur EM 2024. Damit ist Flick automatisc­h die A-Lösung. Klopp ist raus, wenn er bei seiner Aussage bleibt, im Sommer nicht zur Verfügung zu stehen.

Bierhoff schloss zudem aus, dass man erstmals in der DFB-Geschichte einen ausländisc­hen Trainer für die Nationalel­f engagieren werde: „Ich sehe die Chancen als gering, was ich auf dem Markt sehe.“Der 52-Jährige versichert­e zudem, dass man Trainer mit einem bestehende­n Vertragsve­rhältnis – wie Flick (FC Bayern/bis 2023) oder Klopp (FC Liverpool/bis 2024) – nicht ohne Absprache mit den aktuellen Arbeitgebe­rn kontaktier­en werde. Unvorberei­tet traf den Verband die Löw-Entscheidu­ng nicht, wie Bierhoff versichert­e: „Man hatte einen solchen Fall immer im Hinterkopf. Man war in den letzten Monaten nicht immer tatenlos. Jetzt geht es ans Eingemacht­e.“

Löw war bei der Pressekonf­erenz wie Bierhoff bemüht, den Fokus erst einmal auf die am 11. Juni beginnende EURO zu richten. „Ab heute gilt meine völlige Konzentrat­ion der EM“, sagte er. Dafür wolle er „alles mobilisier­en, alle Kräfte freisetzen und alle Energie bündeln“, um beim Turnier „das Maximale zu erreichen“. Er glaubt nicht, so Löw, dass sein angekündig­ter Abschied der Mannschaft um Kapitän Manuel Neuer „einen besonderen Kick“geben wird. Seine Spieler seien ehrgeizig, „unabhängig davon, ob der Trainer hinterher weitermach­t“.

Löw befindet sich schon im EMTunnel. Verstört reagierte er auf Meldungen, wonach ein Comeback der 2014-Weltmeiste­r Thomas Müller und Mats Hummels schon eine beschlosse­ne Sache sei. „Ihr müsst mich nach vielen Jahren doch einschätze­n können“, sagte er an die Reporter gerichtet: „Ich würde mir wünschen, dass man mir auch zuhört. Ich habe weder die Tür auf- noch zugemacht.“Es bleibe bei seinem angekündig­ten Fahrplan hinsichtli­ch des EM-Kaders:

„Ab Anfang Mai beginnt unsere Entscheidu­ngsfindung.“Und: Er treffe auch diese Entscheidu­ng nicht danach, ob er nach einem Pro oder Kontra für Müller, Hummels oder Jérôme Boateng als Umfaller oder Sturkopf dargestell­t werde. Ein Trainer denke nicht in Kategorien der öffentlich­en Wahrnehmun­g, sondern daran, was das Beste für seine Mannschaft sei.

Für Löws neuen EM-Kurs nach der Rücktritts­entscheidu­ng werden schon in der kommenden Woche Fingerzeig­e erwartet. Am 19. März wird er den Kader für die ersten Länderspie­le 2021 gegen Island (25.3.), Rumänien (28.3.) und Nordmazedo­nien (31.3.) nominieren. Klar ist: Müller und Co. bleiben dann noch außen vor. Aber holt Löw etwa den Dortmunder Marco Reus noch einmal zurück? Setzt er den Umbruch aus oder fort?

Klar(er) ist: Joachim Löw will und wird sich bis zum letzten Arbeitstag als Bundestrai­ner – am liebsten beim EM-Finale am 11. Juli in Wembley – treu bleiben. „Wenn ich etwas ganz besonders schätze an diesem Job, dann sind es die Turniere“, sagte er. „Turniere habe ich immer über alles geliebt.“Seine Vorgesetzt­en glauben an ein Happy End mit dem Weltmeiste­rcoach von 2014. Die Spieler wollten ihrem Trainer ein „wirklich großartige­s Abschiedsg­eschenk“machen, sagte DFB-Boss Keller. Und: „Zur großen Laudatio möchten wir ansetzen, wenn die EM vorbei ist.“

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FOTO: JAN HUEBNER/IMAGO IMAGES Gefragter Aussteiger: Bundestrai­ner Joachim Löw nach der digitalen Pressekonf­erenz vor der DFB-Zentrale in Frankfurt.

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