Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Immer mehr Pfleger geben auf

Die Berufsgrup­pe fühlt sich spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie alleingela­ssen

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GENF/NÜRNBERG (dpa) - Der immense Druck der Corona-Pandemie zwingt in aller Welt offenbar viele Pflegekräf­te im Gesundheit­swesen zur Aufgabe. In fast jedem fünften der befragten Länder werde dieser Trend beobachtet, teilte der Weltbund der Krankensch­western und Krankenpfl­eger (ICN) in Genf mit.

Das Problem herrscht nach Angaben des Berufsverb­andes für Pflegeberu­fe (DBfK) auch in Deutschlan­d. „Die beruflich Pflegenden fühlen sich seit Beginn der Pandemie oft alleingela­ssen, in ihrer Profession­alität missachtet und in ihrer physischen und psychische­n Integrität gefährdet“, sagte DBfK-Präsidenti­n Christel Bienstein. „Dass dies für sehr viele Kolleginne­n und Kollegen der Grund sein wird, den Beruf zu verlassen, davor warnen wir seit Beginn der Pandemie“, betonte sie.

Die Bundesagen­tur für Arbeit bestätigte den Trend für Deutschlan­d am Donnerstag zunächst nicht. Es sei ein Aufwuchs an Arbeitskrä­ften im Gesundheit­swesen zu verzeichne­n. Genaue Zahlen liegen für 2020 noch nicht vor.

Der Weltbund argumentie­rte, es sei davon auszugehen, dass die Arbeitslas­t, die mangelhaft­e Ausstattun­g der Kliniken, die Gefahr eines Burnouts und der Stress die Ursachen für eine Flucht aus dem Beruf seien. „Die Belastung, unter der Pflegekräf­te stehen, ist inakzeptab­el, und es ist keine Überraschu­ng, dass so viele entscheide­n, dass sie in ihren geliebten Jobs nicht mehr weitermach­en können“, so ICN-Präsidenti­n Annette Kennedy.

Die Personalsi­tuation werde verschlimm­ert durch den strukturel­len Engpass. Schon am Beginn der Pandemie vor rund einem Jahr habe es weltweit sechs Millionen Pflegekräf­te zu wenig gegeben. Bis 2030 würden weitere vier Millionen altersbedi­ngt ausscheide­n, hieß es. Da aktuell etwa 27 Millionen Pfleger tätig seien, bedeute dies einen enormen personelle­n Verlust, so die ICN. Das müsse ein Weckruf für alle Regierunge­n sein, in die Ausbildung neuer Kräfte zu investiere­n. Allerdings dauere es drei Jahre, bis sie voll einsatzfäh­ig seien.

Der ICN forderte bessere Löhne und Arbeitsbed­ingungen, flexible Arbeitsreg­elungen insbesonde­re für ältere Krankensch­western und Unterstütz­ung bei der Bewältigun­g der

Traumata. Weltweit seien die Pflegekräf­te bis zum Äußersten strapazier­t worden. „Wir haben immer noch die Chance, sie zu beschützen, aber die Zeit ist knapp: Wir haben eine Minute vor Mitternach­t und die Uhr tickt“, warnte ICN-Vorstandsc­hef Howard Catton.

Auch in Deutschlan­d fehlen Pflegekräf­te. An vielen Stellen wird versucht, etwa durch Intensivie­rung der Ausbildung, Heranziehe­n von Berufsauss­teigern über Pflegepool­s oder ausländisc­he Fachkräfte des Problems Herr zu werden.

In Deutschlan­d hatte es im Frühjahr und Sommer 2020 einen kurzzeitig­en Rückgang der Zahl der Pflegekräf­te gegeben. Während des ersten Lockdowns seien vorübergeh­end Beschäftig­te in Reha-Einrichtun­gen freigestel­lt worden. „Das war eine Momentaufn­ahme“, sagte ein Sprecher der Bundesagen­tur. „Die Beschäftig­tenzahlen sind über den Sommer wieder angestiege­n.“Von September bis Dezember stieg die Zahl der Beschäftig­ten in den Bereichen „Gesundheit­swesen“sowie „Heime und Soziales“um rund 47 000.

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FOTO: ANDREY POPOV/IMAGO IMAGES In Deutschlan­d fehlen seit Jahren Pflegekräf­te.

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