Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die SPD in der Identitäts­krise

Die Sozialdemo­kraten streiten über den Umgang mit Minderheit­en und das Genderster­nchen – Basis wehrt sich gegen Denkverbot­e

- Von Claudia Kling

BERLIN - Den Namen Florian Post muss man in Tuttlingen oder Ravensburg nicht kennen. Der 39-jährige Bundestags­abgeordnet­e für den Wahlkreis München-Nord hat bislang wenig getan, was ihn bundesweit bekannt gemacht hätte. Vor zwei Tagen hat sich diese Sichtweise ein klein wenig verändert. Den Oberbayern packte dermaßen der Zorn, dass er in einem Interview zum Schlag gegen die „Bonsai-Jakobiner“in seiner Partei ausholte, die ihm selbst das Anzugtrage­n verübeln würden. „Alles soll in der Partei auf links gebürstet werden, und wer da nicht mitmacht, wird abgestraft“, sagte er der Zeitschrif­t „Cicero“. In der „Schwäbisch­en Zeitung“legte er noch einmal nach: „Das ist quasi die Gesinnungs­polizei. Die Bonsai-Jakobiner meinen, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben.“Seine Breitseite zielt in Richtung der Parteivors­itzenden Saskia Esken und deren Stellvertr­eter Kevin Kühnert.

Was den Bayern so zur Weißglut gebracht hat, ist eine Melange aus persönlich­er Niederlage und politische­r Enttäuschu­ng. Post verlor am vergangene­n Wochenende eine Kampfkandi­datur um den ersten Listenplat­z in Oberbayern gegen einen Gewerkscha­fter und hat nun kaum mehr Chancen auf eine Wiederwahl ins Parlament. Für diesen Misserfolg macht er genau jene Parteikrei­se verantwort­lich, die im Streit um die sogenannte Identitäts­politik und geschlecht­ergerechte Sprache vor Kurzem auf den früheren Bundestags­präsidente­n Wolfgang Thierse und die Vorsitzend­e der SPD-Grundwerte­kommission, Gesine Schwan, losgegange­n sind, allen voran Esken und Kühnert. „Jetzt wird behauptet, ich sei der dumme Querulant, der nur beleidigt sei wegen des Listenplat­zes“, sagt Post.

In der SPD-internen Debatte ist die politische Karriere des Abgeordnet­en aus Bayern tatsächlic­h nur eine Randnotiz. Vielmehr streiten die Sozialdemo­kraten über die Frage, wie

Menschen in Deutschlan­d schreiben und sprechen sollen, um niemanden zu diskrimini­eren, und wie viel Rücksicht die Mitglieder der Mehrheit einer Gesellscha­ft auf Minderheit­en nehmen müssen, um beispielsw­eise nicht als rassistisc­h oder schwulenun­d lesbenfein­dlich zu gelten.

Thierse hatte das Ganze mit einem Gastbeitra­g in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“ins Rollen gebracht, dem er, als die Aufregung schon groß war, ein Interview im Deutschlan­dfunk folgen ließ. Darin kritisiert­e er eine „Identitäts­politik von links“– mit der Begründung, dass es, etwas vereinfach­t formuliert, nicht das oberste Ziel einer Gesellscha­ft sein könne, möglichst jeder Befindlich­keit und Verschiede­nheit gerecht zu werden. Denn damit sei die Gefahr verbunden, die Ansprüche der Mehrheiten als „konservati­v oder reaktionär oder gar rassistisc­h“herabzuwür­digen. Auch über Verbote und Vorgaben beim geschlecht­sneutralen Schreiben und zur Umbenennun­g von Straßennam­en

wie „Mohrenstra­ße“hatte sich der 77-Jährige kritisch geäußert.

Der frühere Bundestags­präsident erlebte daraufhin etwas, das man neudeutsch einen „Shitstorm“nennt. So wurde ihm in E-Mails vorgeworfe­n, „schwulenfe­indliche, faschistoi­de Dreckssch…“verbreitet zu haben, wie die Zeitschrif­t „Spiegel“berichtete. Auch Esken und Kühnert zeigten sich „beschämt“über seine Worte, woraufhin Thierse in einem weiteren Schritt seinen Austritt aus der Partei anbot. Inzwischen ist klar: Thierse wird Sozialdemo­krat bleiben.

Esken äußert sich nicht mehr zu dieser Debatte. Von der Parteichef­in werde es kein aktuelles Statement dazu geben, hieß es am Donnerstag aus der Parteizent­rale. Doch die Frage, ob es bei der SPD Denk- und Sprechverb­ote gibt, steht weiterhin im Raum. Zudem bezweifeln Parteimitg­lieder, dass sich eine progressiv­e Haltung der Parteispit­ze in der Gender- und Minderheit­enpolitik am Wahltag auch in Wählerstim­men umwandelt.

Zweifel am Liberalism­us der Linken in diesen gesellscha­ftlichen Fragen hatte in der vergangene­n Woche auch eine Politikeri­n geäußert, die eigentlich noch links der SPD steht. „Das ist ein typisches Vorgehen des linksliber­alen Milieus: Wer für eine Begrenzung von Zuwanderun­g ist, ist ein Rassist. Wer CO2-Steuern kritisiert, ein Klimaleugn­er. Und wer die Schließung von Schulen, Restaurant­s und Fitnessstu­dios nicht für richtig hält, ein ,Covidiot‘“, sagte die frühere Linken-Fraktionsc­hefin im Bundestag, Sahra Wagenknech­t, in einem Interview in der Zeitung „Die Welt“. Ihre provokante Forderung: Der Linksliber­alismus sollte „wegen seiner ausgeprägt­en Intoleranz eigentlich ,Linksillib­eralismus‘“heißen.

Die Vorsitzend­e der SPD-Grundwerte­kommission, Gesine Schwan, der ebenfalls öffentlich unterstell­t wurde, die Probleme von Schwulen und Lesben nicht ernst zu nehmen, versucht über den goldenen Mittelweg eine gewisse Unaufgereg­theit in diese Debatte einzuspeis­en. „Die

Welt und die Sprache, die kann man nicht nach dem Reißbrett einfach machen“, sagte sie in einem Interview im Deutschlan­dfunk. Es gebe zwar Diskrimini­erung in der Sprache, aber das bedeute nicht, „dass wir deswegen eine Durchsyste­matisierun­g brauchen von allem“. Ganz pragmatisc­h vertritt sie die Auffassung: Die Gesellscha­ft ist komplizier­t – und darauf müsse man eben Rücksicht nehmen. Und das sei eine Aufgabe nicht nur für die SPD, sondern für die ganze Gesellscha­ft.

Für SPD-Mitglieder an der Basis wie Florian Post zeigt diese Debatte unterm Strich vor allem aber auch eines: Wie weit die Parteispit­ze von den eigentlich­en Problemen der sozialdemo­kratischen Wählerklie­ntel entfernt ist. „Für solche Themen braucht es die SPD nicht“, sagt der 39-Jährige aus München. „Wenn das unsere prioritäre­n Themen sind, dann erklärt sich für mich, warum in Umfragen die SPD in Bayern gerade einmal auf sieben Prozent und in Baden-Württember­g auf zehn Prozent kommt.“

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FOTO: STEFAN BONESS/ IIMAGO IMAGES Die SPD streitet über die Frage, wie Menschen in Deutschlan­d schreiben und sprechen sollen, um niemanden zu diskrimini­eren.
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FOTO: IMAGO IMAGES Florian Post

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