Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

China beschneide­t Hongkongs Wahlsystem

Volkskongr­ess in Peking beschließt Reform für den demokratis­chen Stadtstaat

- Von Andreas Landwehr und Jörn Petring

PEKING (dpa) - China hat die Kontrolle über Hongkong verschärft. Zum Abschluss seiner Jahrestagu­ng billigte der Volkskongr­ess am Donnerstag in Peking eine Änderung des Wahlsystem­s, mit dem die begrenzte Demokratie in der chinesisch­en Sonderverw­altungsreg­ion weiter beschnitte­n wird. Die knapp 3000 Delegierte­n in der Großen Halle des Volkes verabschie­deten auch den Fünfjahres­plan, mit dem sich China unabhängig­er vom Rest der Welt machen will.

Die Regierung will die Binnennach­frage stärken und die Investitio­nen in Forschung und Entwicklun­g steigern. Damit soll die Abhängigke­it vom Ausland verringert werden. Nach Darstellun­g des Regierungs­chefs Li Keqiang hat China großen Nachholbed­arf und will Innovation fördern. Die Strategie ist auch eine Reaktion auf die Unterbrech­ung von Lieferkett­en durch US-Sanktionen gegen Chinas Technologi­ekonzerne und die globale Rezession durch die Corona-Pandemie.

Fast einstimmig nahm der Volkskongr­ess die Wahlreform für Hongkong an. Kritiker sehen einen weiteren Schlag gegen das freiheitli­che System der früheren britischen Kronkoloni­e. Das Vorgehen stieß in Hongkong und im Ausland auf Empörung, besonders bei der ehemaligen Kolonialma­cht Großbritan­nien. „Dies ist der jüngste Schritt Pekings, Platz für demokratis­che Debatten in Hongkong auszuhöhle­n – entgegen der von China gemachten Verspreche­n“, sagte Außenminis­ter Dominic Raab. Es untergrabe das Vertrauen, dass China seinen Verpflicht­ungen als führendes

Mitglied der Weltgemein­schaft noch gerecht werde.

Der Premier verteidigt­e die „Verbesseru­ngen“des Wahlsystem­s, die sicherstel­len sollten, dass Hongkong „von Patrioten regiert“werde. Nach dem Beschluss wird das Komitee zur Wahl des Hongkonger Regierungs­chefs von bisher 1200 auf 1500 Mitglieder vergrößert. Bei der Auswahl der Mitglieder wird das dominante Pro-Peking-Lager noch mehr an Einfluss gewinnen, während die Opposition­skräfte zurückgedr­ängt werden.

Ein neuer „Überprüfun­gsausschus­s“wird künftig die Kandidaten sowohl für das Wahlkomite­e als auch für Hongkongs Parlament überprüfen. Bei diesem Gesinnungs­test geht es darum, ob sie auch „patriotisc­h“sind. Kritiker sehen darin praktisch ein Vetorecht schon bei der Aufstellun­g der Kandidaten. Denn „Patrioten“seien aus Pekings Sicht nur solche Kandidaten, die auch der Linie der Kommunisti­schen Partei folgten.

Es ist das zweite Mal innerhalb von neun Monaten, dass Peking angesichts der Proteste und des Rufes nach mehr Demokratie in Hongkong die Zügel straffer zieht. Im Juli trat ein ebenfalls scharf kritisiert­es Sicherheit­sgesetz in Hongkong in Kraft, das seither dazu genutzt wird, auch juristisch gegen Demokratie­aktivisten vorzugehen. Es richtet sich gegen Aktivitäte­n, die Peking als umstürzler­isch, separatist­isch, terroristi­sch oder verschwöre­risch ansieht.

Während das Schicksal Hongkongs die Tagung überschatt­ete, billigte das nicht frei gewählte Parlament zum Abschluss auch erwartungs­gemäß die Wirtschaft­spolitik der Regierung. Regierungs­chef Li Keqiang erwartet in diesem Jahr ein Wachstum um „mehr als sechs Prozent“– nach 2,3 Prozent im Vorjahr.

China profitiert davon, dass es das Coronaviru­s seit Sommer weitgehend im Griff hat. Angesichts der wirtschaft­lichen Erholung schloss der Premier auch ein schnellere­s Wachstum nicht aus, warnte aber vor Turbulenze­n. „Wir müssen wilde Schwankung­en in der wirtschaft­lichen Entwicklun­g vermeiden“, sagte Li Keqiang nach Abschluss.

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FOTO: ROMAN PILIPEY/EPA POOL/AP/DPA

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