Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
China beschneidet Hongkongs Wahlsystem
Volkskongress in Peking beschließt Reform für den demokratischen Stadtstaat
PEKING (dpa) - China hat die Kontrolle über Hongkong verschärft. Zum Abschluss seiner Jahrestagung billigte der Volkskongress am Donnerstag in Peking eine Änderung des Wahlsystems, mit dem die begrenzte Demokratie in der chinesischen Sonderverwaltungsregion weiter beschnitten wird. Die knapp 3000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes verabschiedeten auch den Fünfjahresplan, mit dem sich China unabhängiger vom Rest der Welt machen will.
Die Regierung will die Binnennachfrage stärken und die Investitionen in Forschung und Entwicklung steigern. Damit soll die Abhängigkeit vom Ausland verringert werden. Nach Darstellung des Regierungschefs Li Keqiang hat China großen Nachholbedarf und will Innovation fördern. Die Strategie ist auch eine Reaktion auf die Unterbrechung von Lieferketten durch US-Sanktionen gegen Chinas Technologiekonzerne und die globale Rezession durch die Corona-Pandemie.
Fast einstimmig nahm der Volkskongress die Wahlreform für Hongkong an. Kritiker sehen einen weiteren Schlag gegen das freiheitliche System der früheren britischen Kronkolonie. Das Vorgehen stieß in Hongkong und im Ausland auf Empörung, besonders bei der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien. „Dies ist der jüngste Schritt Pekings, Platz für demokratische Debatten in Hongkong auszuhöhlen – entgegen der von China gemachten Versprechen“, sagte Außenminister Dominic Raab. Es untergrabe das Vertrauen, dass China seinen Verpflichtungen als führendes
Mitglied der Weltgemeinschaft noch gerecht werde.
Der Premier verteidigte die „Verbesserungen“des Wahlsystems, die sicherstellen sollten, dass Hongkong „von Patrioten regiert“werde. Nach dem Beschluss wird das Komitee zur Wahl des Hongkonger Regierungschefs von bisher 1200 auf 1500 Mitglieder vergrößert. Bei der Auswahl der Mitglieder wird das dominante Pro-Peking-Lager noch mehr an Einfluss gewinnen, während die Oppositionskräfte zurückgedrängt werden.
Ein neuer „Überprüfungsausschuss“wird künftig die Kandidaten sowohl für das Wahlkomitee als auch für Hongkongs Parlament überprüfen. Bei diesem Gesinnungstest geht es darum, ob sie auch „patriotisch“sind. Kritiker sehen darin praktisch ein Vetorecht schon bei der Aufstellung der Kandidaten. Denn „Patrioten“seien aus Pekings Sicht nur solche Kandidaten, die auch der Linie der Kommunistischen Partei folgten.
Es ist das zweite Mal innerhalb von neun Monaten, dass Peking angesichts der Proteste und des Rufes nach mehr Demokratie in Hongkong die Zügel straffer zieht. Im Juli trat ein ebenfalls scharf kritisiertes Sicherheitsgesetz in Hongkong in Kraft, das seither dazu genutzt wird, auch juristisch gegen Demokratieaktivisten vorzugehen. Es richtet sich gegen Aktivitäten, die Peking als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht.
Während das Schicksal Hongkongs die Tagung überschattete, billigte das nicht frei gewählte Parlament zum Abschluss auch erwartungsgemäß die Wirtschaftspolitik der Regierung. Regierungschef Li Keqiang erwartet in diesem Jahr ein Wachstum um „mehr als sechs Prozent“– nach 2,3 Prozent im Vorjahr.
China profitiert davon, dass es das Coronavirus seit Sommer weitgehend im Griff hat. Angesichts der wirtschaftlichen Erholung schloss der Premier auch ein schnelleres Wachstum nicht aus, warnte aber vor Turbulenzen. „Wir müssen wilde Schwankungen in der wirtschaftlichen Entwicklung vermeiden“, sagte Li Keqiang nach Abschluss.