Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Fiskus schlägt bei Kurzarbeit­ergeld zu

Die Unterstütz­ung ist zwar steuerfrei, Bezieher könnten aber in höhere Steuerklas­se rutschen – Bund nimmt 1,6 Milliarden Euro zusätzlich ein

- Von Dieter Keller

BERLIN - Eigentlich ist Kurzarbeit­ergeld steuerfrei. Aber vielen, die es 2020 bezogen haben, droht eine Steuernach­zahlung. Dadurch dürfte der Staat schätzungs­weise 1,6 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen, schreibt das Bundesfina­nzminister­ium in der Antwort auf eine Anfrage der Bundestags­abgeordnet­en Sabine Zimmermann (Linke). Nach ihrer Rechnung drohen Steuernach­forderunge­n von mehreren Hundert Euro, in Einzelfäll­en mehr als 1000 Euro. Ihre Forderung, dies abzuschaff­en, lehnt die Koalition ab. Betroffen können viele sein: In der Spitze bezogen im April 2020 rund sechs Millionen Arbeitnehm­er Kurzarbeit­ergeld, im Dezember 2,39 Millionen.

Warum wird Steuer fällig?

Grund ist der Progressio­nsvorbehal­t. Er gilt nicht nur für Kurzarbeit­ergeld, sondern auch andere Sozialleis­tungen wie Arbeitslos­engeld I,

Eltern-, Mutterscha­fts- oder Krankengel­d. Sie erhöhen alle das verfügbare Einkommen. Die Bezieher sollen nicht besser dastehen als normale Arbeitnehm­er. Bei denen schlägt schnell der progressiv­e Lohnsteuer­tarif zu: je höher das Einkommen, desto höher der Steuersatz. Das soll auch für Kurzarbeit­er gelten. Daher addiert das Finanzamt das Gehalt und das Kurzarbeit­ergeld und ermittelt, welcher Durchschni­ttssteuers­atz sich ergibt. Dieser Satz wird nur vom Gehalt erhoben und nicht vom Kurzarbeit­ergeld.

Ist das nicht ungerecht?

Das empfinden zumindest viele so. Dass zu den Einkommens­einbußen auch noch Steuernach­forderunge­n kommen, sei niemandem zu erklären, sagt Zimmermann. Die Große Koalition hatte schon im vergangene­n Jahr überlegt, den Progressio­nsvorbehal­t beim Kurzarbeit­ergeld für 2020 auszusetze­n. Sie kam aber zum Ergebnis, dass das neue Ungerechti­gkeiten schaffen würde, wie der finanzpoli­tische Sprecher der SPDBundest­agsfraktio­n, Lothar Binding, erläuterte: Die Empfänger anderer Lohnersatz­leistungen könnten gegen die Ungleichbe­handlung klagen, und auch normale Arbeitnehm­er wären im Nachteil. Das Kurzarbeit­ergeld steigere die persönlich­e Leistungsf­ähigkeit. „Daher darf man solche Steuerpfli­chtige nicht besser behandeln als diejenigen, die ein gleich hohes Einkommen erzielen, das sie voll versteuern müssen“, sagte Binding.

Wie bekommt das Finanzamt mit, dass ich Kurzarbeit­ergeld bezogen habe?

Der Arbeitgebe­r zahlt es aus, und er muss alle Zahlungen im Rahmen seiner elektronis­chen Jahresmeld­ung des Lohns und der Abzüge ans Finanzamt melden. Dazu gehört übrigens auch, wenn er das Kurzarbeit­ergeld freiwillig aufgestock­t hat. Auch das ist steuerfrei, unterliegt aber dem Progressio­nsvorbehal­t. In der elektronis­chen Lohnsteuer­bescheinig­ung, die jeder vom Arbeitgebe­r erhält, steht der gemeldete Betrag in Zeile 15. Wer im vergangene­n Jahr mehr als 410 Euro an steuerfrei­en Lohnersatz­leistungen erhalten hat, muss eine Steuererkl­ärung abgeben. Dafür ist Zeit bis Ende Juli – in diesem Jahr wegen eines Wochenende­s sogar bis zum 3. August.

Was passiert, wenn ich keine Steuererkl­ärung abgebe?

Dann kommt eine schriftlic­he Erinnerung vom Finanzamt mit einer Frist für die Abgabe. Wer darauf nicht reagiert, bei dem schätzt das Finanzamt aufgrund der übermittel­ten Daten und erlässt einen Steuerbesc­heid, so die Auskunft des Bundesfina­nzminister­iums.

Droht immer eine Nachzahlun­g?

Nein, es kann auch eine erhebliche Steuerrück­zahlung geben, wie Beispiele zeigen. Das hängt sehr vom Einzelfall ab, wobei auch eine Rolle spielt, ob anderes wie die Arbeit im Homeoffice oder die Fahrt zur Arbeit abgesetzt werden können. Tendenziel­l muss mit einer Nachzahlun­g rechnen, wer voll in Kurzarbeit war, also – zumindest für einige Monate – gar nicht gearbeitet hat. Für diese Zeit fiel nämlich auch keine Lohnsteuer an. Übrigens sagt Zimmermann nicht, ob sie auch den Fall einer Steuererst­attung abschaffen will.

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FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA Motormonta­ge: Auch die Autoindust­rie hat während der ersten Welle der Pandemie immer wieder Kurzarbeit angemeldet.

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