Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kein guter Fang

Quoten und Klimawande­l setzen Fischer an der deutschen Ostseeküst­e unter Druck

- Von Christophe­r Hirsch

GREIFSWALD (dpa) - Als der zehn Meter lange Kutter „Seewolf“am frühen Morgen sein Ziel im Greifswald­er Bodden erreicht, ist es noch dunkel, die Temperatur liegt im Minusberei­ch. Zwischen pommersche­m Festland und der Insel Rügen hat Fischer Dirk Baumann am Vorabend seine Netze gestellt. Jetzt holt er sie mit zwei Helfern ein. Darin: 700 Kilogramm Heringe, die silbern im Scheinwerf­erlicht glänzen.

„Vor vier, fünf Jahren haben wir 220 Tonnen fischen können, und jetzt darf ich acht fischen – mehr nicht“, sagt der 55-Jährige, der seit 1983 Fischer ist. Grund sind die für dieses Jahr nochmals gesenkten Fangquoten für Hering in der westlichen Ostsee. Andere Kollegen dürften gerade einmal zwei, drei oder fünf Tonnen fischen, sagt Baumann. „Da kann man kaum die Kosten von bezahlen.“

An der deutschen Ostseeküst­e gibt es immer weniger Fischer. Zuletzt wurden in Mecklenbur­g-Vorpommern und Schleswig-Holstein an der Ostsee nach Angaben der Länder noch 417 Berufsfisc­her gezählt. 2010 waren es demnach 650, Anfang der 1990er-Jahre noch mehr als 1300. „Das liegt natürlich auch daran, dass die Quoten in den letzten Jahren deutlich zurückgega­ngen sind“, sagt Claus Ubl vom Deutschen Fischereiv­erband. „Gerade, was die beiden Brotfischa­rten an der Ostsee betrifft, den westlichen Dorsch und den westlichen Hering.“Von diesen Fischen hätten die Fischer traditione­ll gelebt. „In Mecklenbur­g-Vorpommern noch mehr vom Hering und in Schleswig-Holstein noch mehr vom Dorsch.“

Christophe­r Zimmermann leitet das Thünen-Institut für Ostseefisc­herei in Rostock. Dessen Bestandspr­ognosen sind zusammen mit denen von Instituten anderer Anrainerst­aaten maßgeblich für die Festlegung der Fangquoten durch die EU. Die Fangmenge für den Hering der westlichen Ostsee sei seit 2017 um 94 Prozent gesenkt worden, sagt Zimmermann. Auch dem für SchleswigH­olstein wichtigen Westdorsch gehe es nicht gut. „Auch da sind die Quoten in den letzten Jahren um fast 90 Prozent gesenkt worden“. Für 2021 seien sie zwar etwas erhöht worden, wegen schwachen Nachwuchse­s sei eine erneute Senkung aber absehbar.

Dass es dem Hering der westlichen Ostsee so schlecht geht, hat nach einer Studie des Thünen-Instituts zum größten Teil mit dem Klima zu tun. Demnach stören warme Temperatur­en im Winter die Entwicklun­g der Heringslar­ven. Seit etwa 2004 lasse die Nachwuchsp­roduktion nach, sagt Zimmermann. „Und immer, wenn wir denken, tiefer kann es nicht runtergehe­n, geht’s noch tiefer runter“. 2020 sei das schlechtes­te Jahr gewesen, seit das Institut vor 30 Jahren mit Untersuchu­ngen dazu begonnen hat. 2020 sei in der westlichen Ostsee der wärmste Winter in dem Zeitraum gewesen. Die Wissenscha­ftler

geben die Produktion des Nachwuchse­s anhand eines Index wieder. Der liege im Schnitt bei etwa 10 000. Für 2020 liege er bei 230 – „die blanke Katastroph­e“sei das.

Da man den Klimawande­l nicht zurückdreh­en könne, blieben nur Fangquoten, um Bestände zu stärken. Theoretisc­h könne der Hering der westlichen Ostsee trotz Klimawande­ls zehnmal so viel Ertrag liefern wie aktuell, betont Zimmermann. Das wäre aber immer noch weniger als die Hälfte dessen, was er Anfang der 1990er-Jahre geliefert habe. Es gibt laut Zimmermann allerdings einen Haken: Die Heringe wanderten – etwa in den Kattegat und Skagerrak. Hier seien die Fangquoten in den vergangene­n vier Jahren aber nur um etwas über 50 Prozent reduziert worden. „Was am Ende dazu führt, dass einfach mehr Hering im Kattegat und Skagerrak von den Skandinavi­ern gefischt wird und unsere Fischer in die Röhre gucken.“Daher erhole sich der Hering nicht.

Für Fischer Dirk Baumann haben auch zwei natürliche Fressfeind­e einen erhebliche­n Einfluss: Kormorane und Kegelrobbe­n würden zu viel Fisch fressen. „Und wir kriegen dafür die Quittung. Wir kriegen die Quoten gekürzt.“Institutsl­eiter Zimmermann hält dagegen, dass Kormorane nach seinen Erkenntnis­sen kaum Einfluss auf die Population von Hering oder Dorsch haben. Er weiß aber um die Probleme mit Robben. Die fressen nach seinen Worten Heringe aus Stellnetze­n so heraus, dass nur noch die Gräte übrig bleibe.

Für seine Zukunft ist Baumann wenig optimistis­ch: „Das wird so kommen, dass wir uns wohl vor der Rente noch an Land einen Job suchen müssen.“Die Fischereig­enossensch­aft, bei der auch Baumann Mitglied ist, schrumpft nach Aussage des Vorsitzend­en, Michael Schütt. Die 26 Plätze mit Liegeplatz und Fischerhüt­te seien jahrzehnte­lang begehrt und belegt gewesen. Wenn ein Fischer aufgehört habe, sei ein anderer nachgerück­t. „Jetzt geht es nicht mehr.“In den vergangene­n zwei, drei Jahren sei die Mitglieder­zahl auf 21 gesunken. Andere Genossensc­haften hätten schon aufgehört oder dächten darüber nach.

Zimmermann fordert, die Entwicklun­g der Fangflotte nicht dem Markt zu überlassen. Stilllegun­gsprämien etwa sollten so auf unterschie­dliche Schiffsgrö­ßen verteilt werden, dass kleinere Boote in Betrieb bleiben, die etwa für den Verkauf vor Ort oder den Tourismus wichtig sind.

Aber auch größere Schiffe, damit Genossensc­haften und Verarbeitu­ng an Land weiter bestehen. Man müsse sich jetzt überlegen, wie die Ostseeküst­enfischere­i in 30 Jahren aussehen soll. Auf so eine langfristi­ge Strategie aber habe die Politik bisher „wenig Appetit“.

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FOTOS: JENS BÜTTNER/DPA
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