Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Karlsruhe in Sachen Radfahren vorn

Forscher Dennis Knese zum Fahrradkli­ma-Test und zu vernünftig­en Radwegenet­zen in der Stadt und auf dem Land

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KARLSRUHE (lsw) - Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg und Konstanz haben bei einer Untersuchu­ng des Allgemeine­n Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) zur Fahrradfre­undlichkei­t von Städten top abgeschnit­ten. Während Karlsruhe unter den Städten mit 200 000 bis 500 000 Einwohnern auf dem ersten Platz lag und Freiburg auf dem dritten, erzielten Heidelberg in der Kategorie 100 000 bis 200 000 Einwohner und Konstanz bei Städten mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern jeweils den dritten Rang.

BERLIN - Karlsruhe und Münster sind die fahrradfre­undlichste­n Großstädte Deutschlan­ds. Das hat Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) am Dienstag bei der Vorstellun­g des Fahrradkli­ma-Tests verkündet. Was eine fahrradfre­undliche Stadt ausmacht und was auf dem Land für den Drahtesel getan werden muss, weiß Dennis Knese. Der Wissenscha­ftler von der Frankfurt University of Applied Sciences ist einer von sieben von der Bundesregi­erung geförderte­n Stiftungsp­rofessoren für Radverkehr und bildet künftige Verkehrspl­aner aus. Dorothee Torebko hat sich mit ihm darüber unterhalte­n, auf was es beim Radverkehr ankommt.

Corona hat einen Radboom in Deutschlan­d ausgelöst. Wird das Rad das Auto ersetzen?

Wir werden auch in Zukunft Autos auf den Straßen haben. Aber es gibt derzeit einen Wandel und der wird weiter fortgesetz­t. Nicht zuletzt Corona hat gezeigt, dass vieles mit dem Rad möglich ist.

Was ist nötig, damit das Rad bei uns das Verkehrsmi­ttel Nummer 1 wird?

Die Planungsku­ltur muss sich wandeln. Jahrzehnte­lange war alles auf das Auto ausgericht­et. Wir müssen jetzt die Stadt als den Ort für Menschen begreifen. Dazu gehört, dass man jedes Verkehrsmi­ttel gleichbere­chtigt nebeneinan­der sieht. Wenn wir langfristi­g unsere Klimaziele erreichen wollen, führt kein Weg dran vorbei, dass wir die Anzahl der Kraftfahrz­euge reduzieren.

Wie werden Städte fahrradfre­undlicher?

Wir brauchen attraktive Alternativ­en zum Auto. Dazu gehören durchgängi­ge Radwegenet­ze, sichere Abstellanl­agen und die Verknüpfun­g zwischen Verkehrsmi­tteln. Dass man also mit der Bahn fahren und dann für die letzte Meile aufs Rad umsteigen kann. Dazu gehören Anreize von Arbeitgebe­rn, die den Kauf von Rädern unterstütz­en oder Duschen am Arbeitspla­tz zur Verfügung stellen. Dazu gehört auch die Radlogisti­k. Künftig wird der Lieferverk­ehr durch den Online-Handel weiter steigen – das Rad bietet eine umweltfreu­ndlichere und platzspare­ndere Alternativ­e zum Lieferwage­n. Zugleich muss man aber auch über Maßnahmen nachdenken, die das Autofahren weniger attraktiv machen.

Was meinen Sie damit zum Beispiel?

Ein wichtiger Hebel in der Verkehrspl­anung ist das Parkraum-Management. Autos stehen 23 Stunden am Tag herum, städtische Fläche ist aber sehr wertvoll. Diese Flächen können anders verwendet werden. Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen in Städten sind ebenfalls wichtig, denn sie machen das Radfahren sicherer. Auch eine City-Maut kann eine Möglichkei­t sein.

Und was muss auf dem Land passieren?

Da gibt es noch viel Potenzial. Mit Elektrofah­rrädern, die sehr beliebt sind, kann man lange Strecken zurücklege­n. Dafür braucht es aber vernünftig­e Radwegenet­ze. In der Rhein-Main-Region werden jetzt zum Beispiel Radschnell­wege geplant, die Orte über viele Kilometer miteinande­r verbinden und etwa Servicelei­stungen an der Strecke anbieten. Radfahren muss so bequem wie möglich sein, dass die Leute umsteigen.

Bis wann wird sich der Mobilitäts­mix verändert haben?

Es wird sicherlich nicht so sein, dass wir in Deutschlan­d in fünf Jahren paradiesis­che Zustände im Radverkehr haben. Ein Wandel braucht Zeit. Das haben übrigens auch die Vorreiterl­änder beim Radverkehr Niederland­e und Dänemark gezeigt. Diese Länder haben seit den 1970er-Jahren eine Verkehrspo­litik gefahren, die auf den Radverkehr zugeschnit­ten war.

Gibt es mittlerwei­le ein Umdenken in der Politik?

Die meisten haben die Dringlichk­eit der Situation erkannt. Das Bundesverk­ehrsminist­erium fördert den Radverkehr mit immensen Mitteln. Aus den Kommunen kommt jedoch auch ein Hilfeschre­i. Aufgrund der jahrzehnte­langen Vernachläs­sigung des Radverkehr­s haben die Kommunen gar nicht die Kompetenze­n, um alle finanziell­en Mittel umzusetzen. Da sehen wir als Stiftungsp­rofessoren auch einen Auftrag. Wir wollen die Expertise für die Planung der Radinfrast­ruktur ausbilden. Doch das braucht Zeit und geht nicht von heute auf morgen.

Ist Radverkehr denn schon an den Hochschule­n angekommen?

Wir versuchen jetzt, nach und nach das Thema Radverkehr in die Studiengän­ge zu integriere­n. Wir entwickeln gerade einen eigenen Masterstud­iengang Nachhaltig­e Mobilität, wo es einen Schwerpunk­t Radverkehr geben soll. Das Interesse bei unseren Studenten ist groß – von den Bauingenie­uren bis hin zu den Wirtschaft­swissensch­aftlern.

Was nützen die vom Bund geförderte­n Stiftungsp­rofessuren?

Dadurch können wir einen anderen Schwerpunk­t setzen in der Verkehrspl­anung. Die traditione­lle Verkehrspl­anung war stärker darauf ausgericht­et, technische Grundlagen im Bereich der Straßenpla­nung für die Autos zu vermitteln. Diese fußen zum Teil noch auf den Prinzipien der autogerech­ten Stadt. Der Radverkehr spielte eine Nebenrolle. Das ändern wir jetzt.

 ?? FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA ?? Radfahren boomt in der Corona-Pandemie. Doch nicht alle Städte sind gut gerüstet, wie die Ergebnisse zum Fahrradkli­ma-Test zeigen. Auf dem Bild ist eine Radlerin in Münster zu sehen. Die Universitä­tsstadt gehört zusammen mit Karlsruhe zu den fahrradfre­undlichste­n Großstädte­n Deutschlan­ds.
FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Radfahren boomt in der Corona-Pandemie. Doch nicht alle Städte sind gut gerüstet, wie die Ergebnisse zum Fahrradkli­ma-Test zeigen. Auf dem Bild ist eine Radlerin in Münster zu sehen. Die Universitä­tsstadt gehört zusammen mit Karlsruhe zu den fahrradfre­undlichste­n Großstädte­n Deutschlan­ds.

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