Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Nach 18 Jahren Knast noch eine Chance
53-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu Bewährungsstrafe verurteilt
RIEDLINGEN - 18 Jahre seines Lebens hat der 53-Jährige hinter Gittern verbracht. 24 Voreintragungen sind aktenkundig. Jetzt saß er in Riedlingen wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung erneut auf der Anklagebank. Er habe jede Strafe verdient, räumte er ein, bitte aber um eine weitere Chance. Die gestand ihm Richter Wilfred Waitzinger zu; der die sechs Monate Freiheitsstrafe nochmals zur Bewährung aussetzte.
Sein Leben habe er verpfuscht, bedauerte der verwitwete und kinderlose Angeklagte. Er habe keinen Beruf erlernt, sei arbeitslos, habe Schulden und lebe von Hartz 4. Lange Zeit sei er auf Heroin gewesen. Seine jetzige Lebensgefährtin habe er auf Facebook kennengelernt und sei, nachdem er vor einem Jahr aus der Haft entlassen wurde, von Bayern zu ihr auf ihren Bauernhof in einer Gemeinde im westlichen Kreisgebiet gezogen. Seit sechs Monaten seien sie offiziell verlobt. Unter Tränen berichtete der Angeklagte, wie seine Verlobte ihren Vater gepflegt habe – bis zu dessen Tod. „Da hat es klack gemacht in meinem
Kopf.“Seitdem konsumiere er kein Heroin mehr: „Ich bin sauber.“Zu ihrem kleinen Sohn, der der Verhandlung als Zuschauer verfolgte, habe er eine väterliche Beziehung: „Der will nicht, dass ich ins Gefängnis komme.“
Das stand laut Anklage durchaus im Raum, wonach er am 19. Juli vorigen Jahres einen Mitbewohner auf dem Hof mit den Worten „Blut kann ich fließen lassen“bedroht und anschließend mit einem Stock geschlagen habe. Das mutmaßliche Opfer hatte danach gegenüber der Polizei angegeben, sich mit Schmerzen und einer Rippenprellung in ärztliche Behandlung begeben zu haben. Ein Attest darüber blieb der Mann allerdings schuldig. Er erschien auch nicht vor Gericht, wo er als Zeuge geladen war. Für den Angeklagten war er offenbar ein Dorn im Auge: Er habe sich mit Tochter auf dem Hof eingenistet, ohne Miete zu bezahlen. Die Hausherrin, die mit der Pflege des Vaters überfordert gewesen sei, „hat nicht mehr registriert, was um sie herum geschehen ist“. Er seinerseits, so der 53-Jährige, wollte dort ein neues Leben anfangen: „Ich will bloß meine Ruhe.“Als es zu einem Streit zwischen der Verlobten und dem unerwünschten Mitbewohner gekommen sei, habe er diesem gedroht, er prügle ihn aus dem Haus. Von „Aufschlitzen“, wie es der andere behauptet hatte, sei aber keine Rede gewesen. Das hatte auch dessen 16-jährige Tochter gegenüber der Polizei nicht erwähnt. Dass er dann irgendeinen Stock ergriffen hat, bestätigte der Angeklagte wiederum. Er habe jedoch nicht richtig zugeschlagen, mehr aus dem Handgelenk damit einen Klapps auf den Arm verpasst.
„Das Aufschlitzen können wir unter den Tisch fallen lassen“, konstatierte Richter Waitzinger, „das andere reicht für Bedrohung“. Im übrigen glaube er dem Angeklagten. Auf die Aussage der Verlobten könne er mithin verzichten. Den Angaben des Geschädigten, was die Folgen der Körperverletzung anbelangt, räumte Waitzinger dagegen kein großes Gewicht bei, nachdem kein Attest vorlag. Waitzinger ging in seinem Urteil dann auch von einem minder schweren Fall aus. Von den 24 Voreintragungen sind acht Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung, wobei die letzte mit einnem Jahr Freiheitsstrafe neun Jahre zurückliegt. Später war es eine große Zahl von Eigentumsdelikten, die wohl weitgehend der Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind. „Normalerweise verdiene ich eine Strafe von vier Monaten“, schlug der Angeklagte vor, das wisse er von seinem Bewährungshelfer. Es dürfe auch mehr sein, wenn die Strafe nur zur Bewährung ausgesetzt werde. Er sehe erstmals wieder einen Sinn im Leben: „Ich liebe diese Frau.“
Auf exakt vier Monate plädierte auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft. Wegen der sehr geringen Verletzungsfolgen könne von einem geringeren Strafrahmen ausgegangen werden. Das Geständnis und die Unrechtseinsicht sprächen für den Angeklagten. Die vielen Vorstrafen, der Umstand, dass er noch unter Führungsaufsicht stand, sowie eine negative Sozialprognose („emotional nicht ganz gefestigt, wenig Struktur im Alltag“) stünden einer Aussetzung jedoch entgegen. Richter Waitzinger legte noch etwas drauf und verhängte sechs Monate Freiheitsstrafe, die er aber für vier Jahre zur Bewährung aussetzte, mit der Auflage von 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit und der Aufsicht der Bewährungshilfe. „Weil ich Ihnen eine Chance geben will, Fuß zu fassen“, sagte der Richter, ermahnte den Angeklagten aber auch: „Gehen Sie Auseinandersetzungen aus dem Weg.“Während dieser das Urteil akzeptierte, behielt sich die Vertreterin der Staatsanwaltschaft Rechtsmittel vor.
„Der will nicht, dass ich ins Gefängnis komme“, sagt der 53-jährige Angeklagte.