Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Geduld am Ende, die Aussicht düster
Wütende Geschäftsleute fordern Bürgermeister und Landrätin zum Handeln auf
GAMMERTINGEN - Wut und Unverständnis über die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie steigern sich bei den Gammertinger Gewerbetreibenden allmählich ins Unermessliche. Am Freitag trafen sich drei Geschäftsleute mit Bürgermeister Holger Jerg, um ihrem Ärger Luft zu machen. Ihre Forderung: Er soll ihnen politisch Gehör verschaffen – unter anderem bei Landrätin Stefanie Bürkle. Doch die Erfolgsaussichten bleiben düster.
Mit drastischen Worten machen die Geschäftsleute klar, dass sie mit ihrer Geduld am Ende sind. „Wir müssen ausbaden, was die große Politik versäumt hat“, sagt Dietmar Ufer, Inhaber des „Wäsche-Paradieses“. Auch Katja Spohn, Inhaberin des gleichnamigen Gammertinger Haushaltswarengeschäfts, nimmt kein Blatt vor den Mund. „Man schwankt zwischen Resignation und Wut“, sagt sie. „Die neueste Verordnung grenzt an ein Berufsverbot.“
Spohn kann nicht verstehen, weshalb sie in ihrem 600 Quadratmeter großen Geschäft keine Kunden empfangen darf. Bei maximal 15 Kunden stünde jedem von ihnen eine Fläche von 40 Quadratmetern zur Verfügung
– unter strenger Einhaltung der Hygieneregeln. Beim Discounter seien es gerade einmal zehn Quadratmeter. Was die Geschäftsfrau außerdem ärgert: Lebensmittelgeschäfte erweiterten zurzeit ihre Produktpalette um einige der Produkte, die sie ihn ihrem Fachhandel verkauft.
Katja Spohn fordert, den regionalen Coronavirus-Infektionszahlen mehr Beachtung zu schenken: In Gammertingen und der näheren Umgebung, auch in den angrenzenden Orten der Landkreise Reutlingen und Zollernalb, gebe es derzeit nur wenige Infizierte, sagt sie. Ausschlaggebend für Öffnungsschritte oder Einschränkungen sollte ihrer Meinung deshalb nicht die Inzidenz im Landkreis Sigmaringen sein. An Überbrückungshilfe habe sie kein Interesse, sagt Spohn. Sie wolle einfach nur ihrem Beruf nachgehen, den sie mit Leidenschaft ausübe.
Ähnlich geht es dem Ehepaar Ufer. „Uns zeichnet die fachliche Beratung aus“, sagt Dietmar Ufer. „Dafür schätzen uns unsere Kunden.“Für sein 200 Quadratmeter großes Geschäft hätten seine Frau und er ein durchdachtes Hygienekonzept erarbeitet – mit Einbahnstraßenregelung und Registrierung jedes einzelnen Kunden. „Wir sind erwiesenermaßen nicht die Pandemietreiber und werden trotzdem zur erneuten Schließung gezwungen“, sagt Ufer. Während das „Wäsche-Paradies“geschlossen bleiben muss, darf Ute Reinhard ihr Optik-, Uhren- und Schmuckgeschäft öffnen, weil es als systemrelevant gilt. Trotzdem war es ihr wichtig, beim Gespräch mit dem Bürgermeister dabei zu sein. Sie wolle sich mit den anderen Gammertinger Fachhändlern solidarisieren, sagt Reinhard. Auch ihre Kunden seien verunsichert. Dafür macht die Geschäftsfrau eine mangelhafte Informationspolitik verantwortlich. „Wir stellen mit unseren großflächigen Geschäftsräumen doch wirklich keine Gefahr dar“, sagt sie. Deshalb plädiert auch Reinhard für eine regionale Lösung, die die Öffnung der Läden erlaubt.
Auch wenn er nicht jedes Argument teilt: Holger Jerg versteht den Ärger der Einzelhändler. „Die Leute können die Entscheidungen der Politik
kaum noch nachvollziehen“, sagt er. Während manche Bereiche stark eingeschränkt würden, seien die Vorgaben in anderen deutlich lockerer. „Dass Ferienwohnungen in der Region geschlossen bleiben, aber Flüge nach Mallorca erlaubt sind, ist nicht vermittelbar“, sagt Jerg. Dennoch: Ihm seien die Hände gebunden. „Und wir alle wollen ja auch weitere Infektionen vermeiden.“
Der Landrätin geht es genauso. „Ich kann die Frustration und Verzweiflung nachvollziehen“, teilt sie auf SZ-Anfrage mit. Ihr sei bewusst, wie wichtig die Öffnung der Läden für die Menschen im Kreis, aber auch für die Unternehmer selbst ist. „Wir sind jedoch streng an die CoronaVerordnung gebunden. Wir haben als Landkreis keine Möglichkeit, hierauf Einfluss zu nehmen.“
Bürkle verweist auf das diffuse und rapide ansteigende Infektionsgeschehen im Kreis: „Die Menschen infizierten sich in den Familien, bei der Arbeit, in Praxen, bei Dienstleistern und in Schulen und Kindergärten.“Sie bitte die Bürger, die in den vergangenen Tagen massiv geschaffenen Testangebote wahrzunehmen. „Jeder Test hilft, unerkannte Infektionen aufzudecken“, so die Landrätin. „Nur so schaffen wir es, die Infektionszahlen wieder zu senken.“
„Die neueste Verordnung grenzt an ein Berufsverbot.“Katja Spohn, Inhaberin eines Haushaltswarengeschäfts