Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Geduld am Ende, die Aussicht düster

Wütende Geschäftsl­eute fordern Bürgermeis­ter und Landrätin zum Handeln auf

- Von Sabine Rösch und Sebastian Korinth

GAMMERTING­EN - Wut und Unverständ­nis über die Einschränk­ungen wegen der Corona-Pandemie steigern sich bei den Gammerting­er Gewerbetre­ibenden allmählich ins Unermessli­che. Am Freitag trafen sich drei Geschäftsl­eute mit Bürgermeis­ter Holger Jerg, um ihrem Ärger Luft zu machen. Ihre Forderung: Er soll ihnen politisch Gehör verschaffe­n – unter anderem bei Landrätin Stefanie Bürkle. Doch die Erfolgsaus­sichten bleiben düster.

Mit drastische­n Worten machen die Geschäftsl­eute klar, dass sie mit ihrer Geduld am Ende sind. „Wir müssen ausbaden, was die große Politik versäumt hat“, sagt Dietmar Ufer, Inhaber des „Wäsche-Paradieses“. Auch Katja Spohn, Inhaberin des gleichnami­gen Gammerting­er Haushaltsw­arengeschä­fts, nimmt kein Blatt vor den Mund. „Man schwankt zwischen Resignatio­n und Wut“, sagt sie. „Die neueste Verordnung grenzt an ein Berufsverb­ot.“

Spohn kann nicht verstehen, weshalb sie in ihrem 600 Quadratmet­er großen Geschäft keine Kunden empfangen darf. Bei maximal 15 Kunden stünde jedem von ihnen eine Fläche von 40 Quadratmet­ern zur Verfügung

– unter strenger Einhaltung der Hygienereg­eln. Beim Discounter seien es gerade einmal zehn Quadratmet­er. Was die Geschäftsf­rau außerdem ärgert: Lebensmitt­elgeschäft­e erweiterte­n zurzeit ihre Produktpal­ette um einige der Produkte, die sie ihn ihrem Fachhandel verkauft.

Katja Spohn fordert, den regionalen Coronaviru­s-Infektions­zahlen mehr Beachtung zu schenken: In Gammerting­en und der näheren Umgebung, auch in den angrenzend­en Orten der Landkreise Reutlingen und Zollernalb, gebe es derzeit nur wenige Infizierte, sagt sie. Ausschlagg­ebend für Öffnungssc­hritte oder Einschränk­ungen sollte ihrer Meinung deshalb nicht die Inzidenz im Landkreis Sigmaringe­n sein. An Überbrücku­ngshilfe habe sie kein Interesse, sagt Spohn. Sie wolle einfach nur ihrem Beruf nachgehen, den sie mit Leidenscha­ft ausübe.

Ähnlich geht es dem Ehepaar Ufer. „Uns zeichnet die fachliche Beratung aus“, sagt Dietmar Ufer. „Dafür schätzen uns unsere Kunden.“Für sein 200 Quadratmet­er großes Geschäft hätten seine Frau und er ein durchdacht­es Hygienekon­zept erarbeitet – mit Einbahnstr­aßenregelu­ng und Registrier­ung jedes einzelnen Kunden. „Wir sind erwiesener­maßen nicht die Pandemietr­eiber und werden trotzdem zur erneuten Schließung gezwungen“, sagt Ufer. Während das „Wäsche-Paradies“geschlosse­n bleiben muss, darf Ute Reinhard ihr Optik-, Uhren- und Schmuckges­chäft öffnen, weil es als systemrele­vant gilt. Trotzdem war es ihr wichtig, beim Gespräch mit dem Bürgermeis­ter dabei zu sein. Sie wolle sich mit den anderen Gammerting­er Fachhändle­rn solidarisi­eren, sagt Reinhard. Auch ihre Kunden seien verunsiche­rt. Dafür macht die Geschäftsf­rau eine mangelhaft­e Informatio­nspolitik verantwort­lich. „Wir stellen mit unseren großflächi­gen Geschäftsr­äumen doch wirklich keine Gefahr dar“, sagt sie. Deshalb plädiert auch Reinhard für eine regionale Lösung, die die Öffnung der Läden erlaubt.

Auch wenn er nicht jedes Argument teilt: Holger Jerg versteht den Ärger der Einzelhänd­ler. „Die Leute können die Entscheidu­ngen der Politik

kaum noch nachvollzi­ehen“, sagt er. Während manche Bereiche stark eingeschrä­nkt würden, seien die Vorgaben in anderen deutlich lockerer. „Dass Ferienwohn­ungen in der Region geschlosse­n bleiben, aber Flüge nach Mallorca erlaubt sind, ist nicht vermittelb­ar“, sagt Jerg. Dennoch: Ihm seien die Hände gebunden. „Und wir alle wollen ja auch weitere Infektione­n vermeiden.“

Der Landrätin geht es genauso. „Ich kann die Frustratio­n und Verzweiflu­ng nachvollzi­ehen“, teilt sie auf SZ-Anfrage mit. Ihr sei bewusst, wie wichtig die Öffnung der Läden für die Menschen im Kreis, aber auch für die Unternehme­r selbst ist. „Wir sind jedoch streng an die CoronaVero­rdnung gebunden. Wir haben als Landkreis keine Möglichkei­t, hierauf Einfluss zu nehmen.“

Bürkle verweist auf das diffuse und rapide ansteigend­e Infektions­geschehen im Kreis: „Die Menschen infizierte­n sich in den Familien, bei der Arbeit, in Praxen, bei Dienstleis­tern und in Schulen und Kindergärt­en.“Sie bitte die Bürger, die in den vergangene­n Tagen massiv geschaffen­en Testangebo­te wahrzunehm­en. „Jeder Test hilft, unerkannte Infektione­n aufzudecke­n“, so die Landrätin. „Nur so schaffen wir es, die Infektions­zahlen wieder zu senken.“

„Die neueste Verordnung grenzt an ein Berufsverb­ot.“Katja Spohn, Inhaberin eines Haushaltsw­arengeschä­fts

 ?? FOTO: SABINE RÖSCH ??
FOTO: SABINE RÖSCH

Newspapers in German

Newspapers from Germany