Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kritische Stimmen zu Bauplatz-Plänen
Gammertingen plant neues Wohngebiet – An der einen oder anderen Stelle droht Ärger
GAMMERTINGEN - Um der anhaltend hohen Nachfrage nach Eigenheimen nachzukommen, sollen im Nordosten der Stadt Gammertingen 36 neue Bauplätze entstehen. Einen ersten Entwurf, wie das Wohngebiet „Ober Bol“am Ende aussehen könnte, stellte Martin Homm, Mitarbeiter des Architektur- und Stadtplanungsbüros Künster, in der Sitzung des Gemeinderats am Dienstagabend vor. Dabei wurde auch deutlich, dass an der einen oder anderen Stelle möglicherweise noch Ärger droht.
Bürgermeister Holger Jerg erinnerte in der Ratssitzung daran, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Gammertingen dramatisch an Einwohnern verloren hat. Seit einigen Jahren sei die Zahl stabil, das Interesse an Bauplätzen ungebrochen, sagte er. Dem wolle die Stadt auch mittelfristig Rechnung tragen – unter anderem mit dem neuen Wohngebiet „Ober Bol“.
Wie Martin Homm erläuterte, soll dieses gut 3,3 Hektar groß werden und 36 Grundstücke umfassen. Diese wiederum verfügen durchschnittlich über eine Fläche von 690 Quadratmetern.
„Nach unserem Vorschlag wären jeweils zwei Vollgeschosse und alle gängigen Dachformen erlaubt“, sagte Homm. Die maximal zugelassene Firsthöhe richtet sich nach der Lage der Bauplätze: Bei denen, die an die bestehenden Häuser angrenzen, beträgt sie 8,50 Meter. In den hinteren Reihen sind es 9,50 Meter. Über eine Ringstraße, die von der Friedhofstraße bis zur Mozartstraße führt, sollen die neuen Häuser erreichbar sein. Im Norden des Geländes ist ein Spielplatz geplant.
Darauf, dass es sich um ein „naturschutzrechtlich sehr hochwertiges Gebiet“handelt, machte Biologe Jochen Kübler vom Landschaftsarchitekturbüro 365 Grad aufmerksam. Er verwies auf die geschützten Biotope mit Feldhecken und Magerrasen. „Vögel wie der Feldsperling und die Goldammer verlieren durch das Baugebiet ihr Bruthabitat“, sagte Kübler. Das werde sich auf die insgesamt hohe Population im Stadtgebiet aber nicht negativ auswirken. Nichtsdestotrotz: Unterm Strich muss für jede Fläche, die verloren geht, eine doppelt so große Ausgleichsfläche geschaffen werden – nach den derzeitigen Plänen unter anderem im Ortsteil
Kettenacker.„Auch wenn es nötig und richtig ist, Wohnraum zu schaffen: Ökologisch wertvolle Flächen gehen damit unwiederbringlich verloren“, sagte Jörg Scham (SPD/Grüne/Unabhängige Bürger). Trotz Bauboom stagnierten die Bevölkerungszahlen, was auf einen immer höheren Flächenverbrauch pro Einwohner hindeute. „Und im Wohngebiet Kohlhalde sind Gärten entstanden, die diesen Namen nicht verdienen: mit englischem Rasen, ausländischen Gewächsen und Steinmauern.“
Scham forderte den Bürgermeister dazu auf, solche „Gärten des Grauens“mit wirksamen Kontrollen in Zukunft zu verhindern. „Und wir müssen die Planung auf dem ReiserStoll-Areal vorantreiben – auch im Interesse der Leute, für die ein Garten eine Belastung darstellt“, sagte er. Außerdem erinnerte er an die Pläne seiner Fraktion, auf Bauplatzpreise in Zukunft eine 20-prozentige Umweltabgabe zu erheben. Auf die Bremse traten Stephan Binsch (Gleiches Recht für alle) und Gerhard Jaudas (CDU). Mit Blick auf die Steingärten zitierte Binsch die Redensart, nach der jeder nach seiner Fasson glücklich werden soll. Und Jaudas befand die 20-prozentige Umweltabgabe im besten Fall für „sportlich“, im schlechtesten Fall für „nicht machbar“. „Manche Bauherren werden ihre Schulden an die Kinder übergeben müssen“, sagte er. Wichtig sei der CDU jedenfalls, sich zeitnah mit den Anliegern des geplanten Wohngebiets auszutauschen.
Dass dieser Austausch nicht schon längst stattgefunden hat, ärgerte Jörg Scham. „Sie hatten doch monatelang Zeit dafür, das zu organisieren“, sagte er zum Bürgermeister. Dieser nahm die Kritik an, verwies aber auch auf die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Nichtsdestotrotz solle das Gespräch mit den Anwohnern zeitnah stattfinden. Schams dreiköpfige Fraktion, die dieses Gespräch noch abwarten wollte, beantragte erfolglos eine Vertagung des Gemeinderatsbeschlusses: Bei drei Enthaltungen beschloss das Gremium, die Planung für das Baugebiet wie vorgeschlagen weiter voranzutreiben. Während des entsprechenden Verfahrens bekommen dann auch die Anwohner die Gelegenheit, sich zu den Plänen zu äußern.