Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Länderchef­s lassen Merkel auflaufen

Viele Ministerpr­äsidenten weisen Kritik der Kanzlerin zurück – Unterstütz­ung von Söder

- Von Michael Gabel

BERLIN (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat es klar und deutlich gesagt: Die Länder sollen ihre Lockdown-Verspreche­n halten und konsequent­er die Notbremse ziehen. Doch die kritisiert­en Ministerpr­äsidenten sehen erst einmal keinen Grund zum Handeln und verweigern Planänderu­ngen. „Jeder will, dass die Infektions­zahlen runtergehe­n, und jeder hat für sein Land entspreche­nde Maßnahmen gemacht“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet am Montag in Berlin. Der CDU-Chef räumte jedoch ein, diese Maßnahmen seien „sehr unterschie­dlich“. Sein Amtskolleg­e im Saarland, Tobias Hans (CDU), kündigte an, an einem Modellproj­ekt für Lockerunge­n durch massenhaft­e Tests festzuhalt­en.

Auch der Chef der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, Berlins Regierungs­chef Michael Müller (SPD), wies Merkels Kritik zurück. „Ich glaube nicht, dass es klug ist, aus dem Kanzleramt heraus jetzt ein LänderBash­ing zu betreiben, denn wir haben alle gemeinsam eine große Aufgabe zu bewältigen und haben auch schon viel gemeinsam erreicht“, sagte er. Merkel hatte Berlins Konzept zum Einkaufen unter Vorlage eines negativen Corona-Tests und schärferer Maskenpfli­cht konkret kritisiert.

Andere Länder deuteten an, den härteren Kurs von Merkel mitgehen zu wollen. So sagte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder in der ARD, er könne sich mehr Kompetenze­n in Bundeshand vorstellen, die die Länder zu klaren Regeln zwängen. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) forderte den Bund sogar zum Handeln auf. „Man kann es im Infektions­schutzgese­tz festlegen – ist mir auch recht –, Hauptsache, es ist ein einheitlic­her Rahmen“, sagte er. Es gehe darum, endlich etwas zu tun statt zu reden.

Merkel hatte am Sonntagabe­nd in der ARD-Sendung „Anne Will“starken Druck auf die Länder ausgeübt, um diese zur Umsetzung der Notbremse und schärferer Maßnahmen gegen die dritte Infektions­welle zu bewegen. Modellproj­ekten mit Öffnungen erteilte sie eine klare Absage – und deutete an, notfalls könne der Bund tätig werden. Eine Möglichkei­t sind laut Merkel präzisere Vorgaben im Infektions­schutzgese­tz. Diese müssten Bundestag und Bundesrat beschließe­n.

BERLIN - Scharfe Kritik an Lockerunge­n und die Drohung, dass der Bund mehr durchgreif­en könnte – Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat in der ARD-Sendung „Anne Will“ihren Unmut über nachlassen­de Anstrengun­gen zur Pandemie-Bekämpfung geäußert: Sie sei „am Nachdenken“darüber, welche Zusatzmaßn­ahmen nötig seien. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum erhöht die Kanzlerin den Druck auf die Bundesländ­er?

Merkel bemängelte, dass manche Bundesländ­er die Notbremse ignorieren. Diese sieht vor, dass ab einem Inzidenzwe­rt von 100 Lockerunge­n wieder rückgängig gemacht werden. Das Nichtziehe­n der Notbremse etwa in Nordrhein-Westfalen und Berlin sei ein Verstoß gegen Beschlüsse, monierte die Kanzlerin. Ebenso wenig halte sie davon, dass das Saarland seine Außengastr­onomie öffne. Auch Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) scherte am Wochenende aus und lockerte die eigentlich vorgesehen­en Kontaktspe­rren für die Corona-Hotspots mit mehr als 100 Fälle auf 100 000 Einwohner. NRWMiniste­rpräsident Armin Laschet, zugleich CDU-Chef, wollte die Kritik nicht auf sich sitzen lassen. „Nordrhein-Westfalen hat die Notbremse flächendec­kend verpflicht­end für alle Landkreise umgesetzt“, sagte er. Darüber hinaus sei eine Terminvere­inbarung in Geschäften mit einem Corona-Test möglich.

Wie will die Kanzlerin die dritte Infektions­welle brechen?

Durch eine Kombinatio­n aus Ausgangsbe­schränkung­en in Regionen mit besonders hohen Infizierte­nzahlen, verpflicht­enden Tests, mehr Homeoffice und weiteren Kontaktbes­chränkunge­n. Auch Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) sprach sich für nächtliche Ausgangsbe­schränkung­en aus. „Ich hätte gar nichts dagegen zu sagen: Ab 20 Uhr ist wirklich Ruhe“, sagte er der „Bild“-Zeitung.

Welche Optionen hat die Kanzlerin, um solche Maßnahmen durchzuset­zen?

Merkel nannte drei Möglichkei­ten:

Die erste Variante wäre die Einberufun­g einer weiteren Ministerpr­äsidentenk­onferenz – wobei ihr Sprecher Steffen Seibert am Montag mitteilte, dass vor Ostern ein solches Treffen nicht geplant sei. Eine Alternativ­e wäre der Weg über ein Bundesgese­tz, das im Bundesrat nicht zustimmung­spflichtig wäre. Möglich wäre auch eine Änderung der im November 2020 beschlosse­nen Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes. Der Bundesrat müsste dem mit Mehrheit zustimmen. Merkel kündigte an, den Bundesrat „einbeziehe­n“zu wollen. Sprich: Einfach anordnen kann Merkel wenig im Bereich der Pandemiebe­kämpfung. Sie braucht mindestens die Zustimmung der Bundestags­mehrheit.

Müssen die Bundesländ­er Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung immer zustimmen?

Laut dem Verfassung­srechtler Christoph Möllers ist dem nicht so. „Der Bund kann die Bekämpfung der Pandemie gesetzgebe­risch abschließe­nd regeln“, sagte der Professor für Rechtsphil­osophie an der Berliner Humboldt-Universitä­t Spiegel Online. Auch ein vollständi­ger Lockdown lasse sich per Bundesgese­tz regeln. Die Grundlage dafür sei Artikel 74, Absatz 1, Nummer 19 des Grundgeset­zes. Der Bund besitze die Gesetzgebu­ngskompete­nz für alle „Maßnahmen gegen gemeingefä­hrliche oder übertragba­re Krankheite­n bei Menschen und Tieren“, heiße es dort. Der Bund habe die Möglichkei­t, Maßnahmen etwa über ein eigenes Gesetz zu regeln. „Alternativ dazu könnte man auch im Infektions­schutzgese­tz eine Rechtsgrun­dlage schaffen, die die Bundesregi­erung oder den Bundesgesu­ndheitsmin­ister dazu ermächtigt, den Lockdown per Rechtsvero­rdnung bundeseinh­eitlich anzuordnen“, betonte Möllers. Probleme sehe er allenfalls bei Entscheidu­ngen über Öffnungen und Schließung­en von Schulen, da Bildungspo­litik Ländersach­e sei. Auch der Münchner Staatsrech­tler Christoph Degenhart sagt, dass Pandemie-Maßnahmen ohne die Länder in Form von Bundesgese­tzen beschlosse­n werden könnten. Aber auch in solchen Fällen müsse die Mehrheit der Bundestags­abgeordnet­en zustimmen, allein anordnen könne Merkel nicht.

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