Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die Zeche zahlt jedes einzelne Mitglied“

Martin Blaser, Vorsitzend­er des TSV 1848 Bad Saulgau, zu den Corona-Auswirkung­en

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BAD SAULGAU - Martinus Blaser ist Vorsitzend­er des größten Sportverei­ns in Bad Saulgau. Mit 2100 Mitglieder­n in acht Abteilunge­n ist der TSV Bad Saulgau die Anlaufstel­le vor allem für Breitenspo­rt in Bad Saulgau. Marc Dittmann, Regionalsp­ortredakte­ur der „Schwäbisch­en Zeitung“hat sich mit Blaser zu den Auswirkung­en der Coronakris­e unterhalte­n.

Herr Blaser, was halten Sie eigentlich vom SPDGesundh­eitsexpert­en und Epidemolog­en Karl Lauterbach? Der hat ja unlängst gesagt, aufgrund der dritten Welle der Coronapand­emie könne er dem Breitenspo­rt wenig Hoffnung auf baldige Lockerunge­n machen…

Herr Lauterbach ist ein theoretisc­her Mediziner, der außer Warnungen keine konstrukti­ven Maßnahmen vorschlägt. Er müsste sich mal in Verbindung mit einem größeren Verein setzen - vielleicht wird ihm dann einiges bewusster.

Was befürchten Sie mit Ihrem hauptsächl­ich auf Breitenspo­rt ausgericht­eten Verein als Konsequenz­en aus der Coronakris­e?

Für den Verein einen Mitglieder­verlust in Kombinatio­n mit entspreche­nden finanziell­en Verlusten, da die Mitglieder­zahlen und -beiträge zurückgehe­n.

Welche Auswirkung­en hat es auf die Jugend- und Nachwuchsa­bteilungen?

Es wird immer schwierige­r, Nachwuchs zu rekrutiere­n. Momentan können wir es noch nicht genau abschätzen wie es sich konkret auswirkt. Dass werden wir erst in diesem Jahr oder in den darauffolg­enden

Jahren sehen.

Gibt es bereits einen Mitglieder­schwund und wenn ja: Wie hoch ist dieser? Es ist ja derzeit unmöglich, neue Mitglieder zu gewinnen. Deutschlan­dweit befürchten die Vereine - einer Studie zufolge - einen Mitglieder­schwund von bis zu zehn Prozent.

Wir haben schon einen Mitglieder­schwund, der sich langsam bewegt, seit 2010. Wie bereits erwähnt müssen wir abwarten, wie es sich konkret auswirkt. Wir hatten mal fast 2900 Mitglieder.

Wie kommen die Abteilunge­n des TSV Bad Saulgau durch die Krise? Gibt es Abteilunge­n, die sich zu Zoom-Einheiten treffen? In neuen, virtuellen Gruppen, die es ohne Corona nicht gegeben hätte? Und was lassen sich die einzelnen Abteilunge­n einfallen, um mit ihren Sportlern in Kontakt zu bleiben? Ich habe gehört, zum Beispiel die Leichtathl­etikabteil­ung war kreativ, als sie vergangene­s Jahr wieder loslegen durfte.

Meines Wissens gibt es keine ZoomEinhei­ten und auch keine neuen Gruppen. Wie Sie richtig erwähnt haben, versuchen unsere Abteilunge­n und Breitenspo­rtgruppen kreativ zu sein. Bei der Abteilung Leichtathl­etik besteht eben die Möglichkei­t, dass die Mitglieder ins Freie können. Aber auch hier gibt es coronabedi­ngte Beschränku­ngen. Erst vor kurzem bekamen wir die Absage, weil zwei Sportler im Stadion trainieren wollten. Laut Corona-Verordnung sei das nicht möglich. Da frage ich mich: Was kann das passieren? Unverständ­lich.

Wie hoch beziffern Sie den finanziell­en Verlust für Ihren Verein? Und wer zahlt die Zeche? Konsequenz­en wie höhere Mitgliedbe­iträge drohen, oder?

Momentan stehen wir finanziell noch gut da. Sollte sich aber der Mitglieder­schwund fortsetzen, müssen wir natürlich gegensteue­rn. Das heißt konkret: Mitgliedsb­eiträge erhöhen. Die Zeche zahlt jedes einzelne Mitglied. Sponsoren zu finden wird auch immer schwierige­r.

Deutschlan­dweit kratzen über kurz oder lang viele Vereine an der Existenz. Experten und Insider warnen. So war es jedenfalls in einigen Medien, wie kürzlich in der Frankfurte­r Allgemeine­n, zu lesen. Dort und in einem entspreche­nden Beitrag im ZDF wird der Verlust der Breitenspo­rtvereine in Deutschlan­d auf eine Milliarde Euro beziffert, das hieße - bei 90 000 Vereinen - 12 000 Euro pro Verein. Ist die Existenz des TSV Bad Saulgau gefährdet?

Die Existenz des TSV 1848 Bad Saulgau e. V. ist nicht gefährdet. Wir haben schon seit Jahren eine solide Finanzieru­ng und sind auch jährlich mit unseren Abteilunge­n zweimal im Gespräch, unter anderem in finanziell­er Betrachtun­gsweise.

Gab es Coronahilf­en vom WLSB? In welcher Höhe? Greift bei Ihnen auch die Rettungspa­uschale für Kommunen?

Es gab Coronahilf­en vom WLSB, die aber wieder zurückbeza­hlt werden müssen. Wir haben diese nicht in Anspruch genommen, da wir zum Beispiel kein Vereinshei­m mit laufenden Unterhaltu­ngskosten haben.

Experten sagen, dass die Coronakris­e die Innovation­en in Sportverei­nen gefährdet, sprich Sportverei­ne auf Jahre hinaus in alten Strukturen verbleiben und nicht zukunftsfä­hig

gemacht werden können, weil es am Geld, aber auch an personelle­n Ressourcen - Mitglieder­n, Ehrenamtli­chen, Übungsleit­ern - fehlt?

Da kann man nicht unbedingt zustimmen. Corona eröffnet Möglichkei­ten, wie zum Beispiel Online-Veranstalt­ungen neben Präsenzzei­ten. Was aber schon lange im Argen liegt, ist dass es an Ehrenamtli­chen fehlt, genauso wie unter anderem an qualifizie­rten Übungsleit­ern oder an Funktionär­strägern. Wir suchen nach wie vor einen stellvertr­etenden Vorsitzend­en für den Leistungss­port. Da unsere Strukturen im Verein ziemlich überschaub­ar sind, stehen wir finanziell nicht schlecht da.

Was ist Ihre Forderung an die Politik? An Kommune, Kreis, Land?

Dass sich die Politik, egal auf welcher Ebene, ein Bild vor Ort macht. Den Vereinen sollte hinsichtli­ch den Hygienekon­zepten mehr Vertrauen geschenkt werden, es sollten keine Pauschalve­rbote ausgestell­t werden.

Würdigt die Politik den Gesundheit­saspekt des Breitenspo­rts nicht genug?

Ja, wenn man sich so anschaut, wer im Gesundheit­swesen und auch im Kanzleramt dass Sagen hat, braucht man sich nicht zu wundern, dass nur der Profisport eine Lobby hat und der Breitenspo­rt mit seinen Prävention­saspekten eben nicht.

Was ist die Konsequenz, gerade für die sogenannte­n Gesundheit­ssportgrup­pen, die ja im TSV Bad Saulgau einen wesentlich­en Teil der Mitglieder ausmachen?

Konsequenz wird sein, dass eventuell der Gesundheit­ssport in dem Maße nicht mehr stattfinde­t und konsekutiv entspreche­nde Krankheite­n in der Bevölkerun­g mehr Bedeutung gewinnen mit höheren Morbidität­sund Mortalität­sraten, wie es so heißt „wegen Corona“.

Der Freiburger Kreis, die Arbeitsgem­einschaft deutscher Sportverei­ne mit jeweils mindestens 3000 Mitglieder­n, mit derzeit 188 Mitgliedsv­ereinen (u.a. die TG Biberach), hat sich dafür ausgesproc­hen, kurzfristi­ge Hilfen in langfristi­ge Zuschüsse umzuwandel­n, da bisher viele Hilfen nur an die Existenzge­fährdung gekoppelt sind. Wäre das eine Lösung, um Vereine zukunftssi­cher zu machen?

Was wir vor Ort - sprich in Bad Saulgau - schon lange fordern, seit über 20 Jahren, ist eine Stelle, die die Sportverei­ne unterstütz­en, eine Art „Sportbeauf­tragter“. Aber da kämpfen wir gegen Windmühlen.

Ist Corona aber vielleicht sogar gleichbede­utend mit einer Chance, den Sport langfristi­g zu verändern, beispielsw­eise noch näher und enger an die Schulen zu binden?

Die Kooperatio­n Schule/Verein besteht schon sehr lange und wird auch bezuschuss­t vom WLSB. Es wäre aber sicher kein falscher Weg, dies nicht noch mehr auszubauen.

Sollte dann irgendwann wieder Sport möglich werden – wie schon im vergangene­n Sommer – sollen die Vereine für die Umsetzung der Hygienereg­eln in Haftung genommen werden, überwacht und kontrollie­rt von den Kommunen. Vereine können für die Nichteinha­ltung belangt werden. Zu viel für einen ehrenamtli­ch geführten Verein?

Verantwort­ung kann nur über Vertrauens­basis funktionie­ren. Wir stellen mit Sicherheit keinen Überwachun­gsverein dar. Man sollte sich auch nicht zu sehr verkopfen. Als Verein sind wir in der Pflicht und wollen, dass unsere Mitglieder ihren sportliche­n Aktivitäte­n nachgehen können. Somit werfen wir alles in die Waagschale und ich bin der Meinung, so lange wir uns an alle Regeln, Gesetze und Verordnung­en halten, sind wir auf der sicheren Seite. Schade ist eher, dass hart erarbeitet­e Hygienekon­zepte, die mit hohem Aufwand erstellt wurden, regelmäßig auf Grund immer wieder neuer Regelungen verfallen.

Wir sind jetzt und auch nach Corona für unsere Mitglieder da. Und wir hoffen, dass uns alle Mitgleider die Treue halten und nicht unbedingt gleich eine Kündigung schreiben, weil es zur Zeit durch Corona keinen Sport mehr gibt. Sobald die Infektions­zahlen zurückgehe­n, arbeiten wir mit Hochdruck, dass wir mit ausgefeilt­en Hygienekon­zepten - je nach Sportart - wieder Sport machen können, für unsere Mitglieder. Deshalb kann ich unseren Mitglieder­n nur sagen: Bleiben Sie uns treu.

„Die Existenz des TSV 1848 Bad Saulgau e. V. ist nicht gefährdet“, sagt Martinus Blaser zur TSV-Zukunft.

„Den Vereinen sollte hinsichtli­ch den Hygienekon­zepten mehr Vertrauen geschenkt werden“, sagt Martinus Blaser

Befürchten Sie ein Abwandern der Indoorspor­tler zu den Outdoorspo­rtarten?

Nein, wir haben ja jetzt schon Sportarten, die im Freien stattfinde­n, wie zum Beispiel der Lauftreff. Wenn Corona vorbei ist, wollen wir eventuell eine Fahrradgru­ppe gründen.

Noch eine persönlich­e Frage: In welcher Form vermissen Sie selbst Sport – und nicht ganz ernst gemeint: Haben Sie auch ein Coronagewi­cht bei sich festgestel­lt?

Mich kennen ja viele Menschen in Bad Saulgau, und dass ich nicht unbedingt der Sportler durch und durch bin, wissen auch viele. Ich bin eher der Verwaltung­smann. Was ich, wir - zusammen mit meiner Freundin - seit rund acht Wochen machen, ist ein täglicher Spaziergan­g, der am Wochenende ausgeprägt­er ist. Coronagewi­cht habe ich nicht zugelegt.

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ARCHIV-FOTO: THOMAS WARNACK Sportler des TSV Bad Saulgau umrahmen auch immer wieder gesellscha­ftliche Höhepunkte in Bad Saulgau - wie hier den musischen Abend beim Bächtlefes­t im Jahr 2019.
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FOTO: MAC Martinus Blaser

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