Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Stoff, aus dem die Hasen sind
Nachhaltig angebauter Kakao für Oster-Süßigkeiten schmeckt nicht nur lecker, sondern unterstützt auch afrikanische Kleinbauern
Was wäre ein Osterfest für Kinder und auch für so manchen Erwachsenen ohne versteckte Nester mit bunten Eiern und Osterhasen? Und weil viele Menschen einen Hang zu Süßem haben, wurden die Hühnereier und das Gebäck in Hasenform von einst schon längst durch leckere Schokolade ersetzt. Diese Tradition geht bis auf den Sonnenkönig Ludwig XIV. zurück, an dessen Hof in Versailles die Adligen bereits im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert die ersten Ostereier aus Schokolade naschten.
Seit 1952 in Deutschland der erste „Goldhase“aus Schokolade vom Schweizer Lindt & Sprüngli-Konzern produziert wurde, hoppelten die Schokohasen in unzählige Osternester. Inzwischen werden jedes Jahr in über 60 Ländern der Erde mehr als 170 Millionen „Goldhasen“verkauft. Dazu kommen ungezählte weitere Schokohasen anderer Hersteller.
Die wenigsten Beschenkten aber ahnen, dass die Schokolade in Ostereiern und Osterhasen, in Tafeln und Pralinés unter Umständen die Bildungschancen eines Kindes in der Republik Elfenbeinküste ein klein wenig verbessern kann. Lieferte dieses westafrikanische Land doch 2019 mit 2,18 Millionen Tonnen Kakao praktisch die Hälfte dieses Hauptbestandteils vieler Schokoladen für den Weltmarkt. Allein in Deutschland verarbeitet die Schokoladen-Industrie jedes Jahr rund 400 000 Tonnen Kakao, der wiederum in den allermeisten Fällen nicht von Großgrundbesitzern, sondern von
Kleinbauern produziert wird. Auf ein bis drei Hektar des Landes einer Familie wachsen dann Kakaobäume, deren Früchte oft die einzige Einnahmequelle des Haushalts sind. „Diesen Verdienst aber investieren die Kleinbauern nicht nur in Verbesserungen des Kakao-Anbaus, sondern oft auch in Schulbücher und Schuluniformen für ihre Kinder“, erklärt Sonia Lehmann von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Eschborn.
Nur können sich etliche Kleinbauern an der Elfenbeinküste solche Ausgaben oft nicht leisten, und ihre Kinder können daher nicht zur Schule. Genau solche Situationen aber möchte die GIZ im Auftrag der Regierungen Deutschlands und der Elfenbeinküste, sowie des „Forums Nachhaltiger Kakao“ändern. Daher leitet Sonia Lehmann in der Metropole der Elfenbeinküste Abidjan ein
Projekt zur Professionalisierung des Kakao-Anbaus. Ernten die dort geschulten Kleinbauern dann von einem Hektar statt vorher 300 mit verbesserten Methoden später 500 Kilogramm Kakao, verbessert sich ihr Einkommen spürbar. „Sobald sie mehr verdienen, investieren sie das Geld in ihre Kinder und in die Gesundheit der Familie“, weiß Sonia Lehmann.
Dann können sich die KakaoKleinbauern auch die Fahrt in die Provinzhauptstadt leisten. Nur dort erhalten sie nämlich Geburtsurkunden. „Die ersetzen im Grunde einen Ausweis, ohne den die Kinder nicht zur Schule und Patienten nicht ins Krankenhaus können“, erklärt Sonia Lehmann die zentrale Bedeutung dieses Dokuments. Da wundert es wenig, wenn die GIZ Bauernfamilien dabei unterstützt, Geburtsurkunden zu besorgen.
Viel wichtiger aber sind Projekte wie die „Farmer Business School“, in der die Familien lernen, den KakaoAnbau zu verbessern. In seiner Heimat, den tropisch-warmen Regionen Mittelamerikas wächst der meist vier bis acht Meter hohe Kakaobaum
Theobroma cacao im Schatten unter dem Kronendach des Urwaldes, der die Feuchtigkeit lange speichert und das Gehölz so zuverlässig mit Wasser versorgt. Der Gattungsname Theobroma heißt schlicht „Speise der Götter“und verweist damit auf die Olmeken, Maya und Azteken Mittelamerikas, die den aus seinen Früchten gewonnenen Kakao und die daraus hergestellten Getränke als wertvolles Genussmittel schätzten.
Als die Europäer dann zunächst am Hofe von Ludwig XIV. in Versailles und später im 19. Jahrhundert durch die vor allem in der Schweiz, Deutschland und den Niederlanden entwickelte, feste, aber auf der Zunge zartschmelzende Schokolade ebenfalls auf den Geschmack kamen, stieg die Nachfrage. Seither wird der Kakaobaum in Plantagen angebaut. „In Ecuador gibt es an der Küste noch traditionell bewirtschaftete Plantagen mit Kakaobäumen, die mehr als hundert Jahre alt sind“, erinnert sich Sonia Lehmann, die dort aufgewachsen ist.
Pflanzen die Kleinbauern Kakaobäume, dauert es zwei bis drei Jahre, bis diese zum ersten Mal fruchten. So lange können die Familien aber nicht auf die ersten Einnahmen warten. Sie pflanzen daher zwischen die Kakaobäumchen Bananenstauden oder Manioksträucher, die viel schneller wenige Meter hoch wachsen und so den wichtigen Schatten spenden.
Vor allem aber können die Früchte und Knollen viel früher geerntet werden. Sehr beliebt sind aber auch Palmen, Orangen- und Mandarinenbäume, sowie oft auch die riesigen Mangobäume, die einige Hundert Jahre Schatten werfen und von denen die Bauern reichlich Früchte ernten. Solche Agroforst-Systeme bieten sehr vielen Arten eine Heimat. Sie ähneln ein wenig einem Regenwald und sind daher nachhaltiger als Monokulturen.
Allerdings sollten die Kakao-Bauern auch nicht bis zur nächsten Ernte die Hände in den Schoss legen, sondern ihre Kakao-Agroforstplantage zwischendurch pflegen. Genau darin schult die GIZ die Menschen an der Elfenbeinküste. Dabei lernen sie unter anderem, in welchem Abstand die Kakaobäumchen gepflanzt werden sollten, um einerseits möglichst hohe Erträge zu erzielen und andererseits die Böden nicht zu stark zu beanspruchen. „Ähnlich wie unsere Obstbäume sollten Kakaopflanzen auch so geschnitten werden, dass genug Licht einfällt und die Pflanze so ausreichend Energie tanken kann, um reichlich Früchte zu bilden“, erklärt Sonia Lehmann.
Auch die Ernte will gelernt sein: Weil einfaches Runterziehen und Abreißen der Früchte die Bäume erheblich verletzen und so spätere Ernten beeinträchtigen kann, zeigen die GIZ-Schulungen auch, wie man die Früchte besser abschneidet und wie ein geschickter Mensch sie mit einiger Übung mit der Hand ohne Verletzungsgefahr abdreht. Danach wird die dicke, harte und ledrige Schale mit einer Machete aufgeschlagen und das Fruchtfleisch mit den Samen freigelegt. Genau wie bei Weintrauben beginnen immer vorhandene Hefen gleich nach dem Aufschlagen das Fruchtfleisch zu fermentieren. Diese gärenden Früchte packen die Bauern in Holzkisten, die sie mit Bananenblättern oder Jutesäcken abdecken und so vor geschmacksverderbenden Einflüssen wie dem Kot von Hühnern schützen, die über die Kiste klettern könnten.
Werden die Früchte täglich gewendet, verwandeln sich die Samen innerhalb einiger Tage in braune Kakaobohnen, deren zunächst bitterherbe Geschmack deutlich weicher wird. Jetzt werden die Kakaobohnen meist auf Holzkonstruktionen oder auf einem Betonboden von der heißen Tropensonne getrocknet, um einen Befall mit Pilzen zu verhindern, die den Geschmack verderben würden. Weil dieses Trocknen so wichtig ist, hat die GIZ die Entwicklung von Nachtrocknungsanlagen unterstützt, die zum Beispiel in den Häfen stehen und so einen sicheren Schiffstransport der nachhaltig angebauten „Speise der Götter“in die wichtigsten Verbraucherregionen Europa und Nordamerika garantieren.
Achten die Käufer dort auf Zertifikate, die eine faire und nachhaltige Anbau- und Handelskette bestätigen, stehen die Chancen gut, eine schmackhafte und gesunde Osterschokolade zu erwerben und gleichzeitig die Bildungschancen der Kakaobauern-Kinder in Afrika zu verbessern.