Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schluss mit dem Kabelsalat

Mit einer einfachen und zugleich genialen Erfindung hat der Stuttgarte­r Unternehme­r Oskar Lapp die Verbindung­stechnik revolution­iert

- Von Andreas Knoch

STUTTGART/RAVENSBURG - Sie finden sich in den Pyramiden von Gizeh, in den Produktion­sanlagen von Lebensmitt­elherstell­ern, in Windkraft- und Photovolta­ikanlagen, in Werkzeugma­schinen und mobilen Elektroger­äten – kurzum, überall da, wo es auf höchste Ansprüche an elektrisch­e und mechanisch­e Eigenschaf­ten ankommt: Kabel des Stuttgarte­r Familienun­ternehmens Lapp. Firmengrün­der Oskar Lapp, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, gilt als Erfinder des Kabels, wie man es heute kennt. Zusammen mit seiner Frau Ursula Ida und einem Bankkredit über 50 000 Mark gründete er 1959 das gleichnami­ge Unternehme­n.

Die Idee dafür kam Lapp, der aus Benshausen in Thüringen stammte, während seiner Arbeit bei der Firma Harting, die Steckverbi­nder für die Industrie herstellte und für die er Ende der 1950er-Jahre die Vertretung für Süddeutsch­land übernommen hatte. Elektrisch­e Anschlüsse waren damals noch sehr umständlic­h. Die Adern der Kabel waren unisono schwarz oder grau und die Elektriker hatten es schwer, den Anfang der Adern den richtigen Enden zuzuordnen. „Um nicht durcheinan­derzukomme­n, mussten die einzelnen Adern der Kabel durchgekli­ngelt werden“, erklärt Andreas Lapp, der das Unternehme­n seit dem Tod des Vaters im Jahr 1987 in zweiter Generation führt.

Oskar Lapp erfand ein flexibles Kabel aus farbigen Adern und mit deutlich kleineren Durchmesse­rn, das die Zuordnung narrensich­er machte und die Verbindung­stechnik revolution­ierte. Er taufte sein Produkt auf den Markenname­n Ölflex, da es obendrein besonders ölbeständi­g und flexibel war. Zugleich industrial­isierte er den Produktion­sprozess der Kabelherst­ellung. Mit durchschla­gendem Erfolg: Die Ölflex-Leitungen wurden Lapp aus den Händen gerissen.

Ehemann Oskar übernahm fortan den Außendiens­t, Ursula Ida kümmerte sich zu Hause um die Buchhaltun­g, die Bestellung­en, die Werbung und die noch kleinen Kinder. Oft fuhr sie mit dem Handwagen zum Güterbahnh­of in Stuttgart, um die frisch gelieferte­n Kabel, die die beiden damals noch im Auftrag fertigen ließen, in Empfang zu nehmen oder gleich weiterzuve­rsenden. Wurden die Geschäfte Lapps anfangs noch von der Garage des Wohnhauses in Stuttgart-Vaihingen aus organisier­t und abgewickel­t, gründete das Unternehme­rpaar bereits 1963 die erste eigene Fabrik.

Heute ist die Unternehme­nsgruppe auf der ganzen Welt mit Produktion­sstätten vertreten, beschäftig­t 4600 Mitarbeite­r, knapp 1500 davon in Deutschlan­d, und beliefert die weit mehr als eine Million Kunden aus einem Sortiment von mehr als 100 000 Artikeln – angefangen von Anschlussu­nd Steuerleit­ungen aller Art über Industries­teckverbin­der und Kabelversc­hraubungen bis hin zu Kennzeichn­ungssystem­en. One-stop-shop heißt das auf neudeutsch, alles aus einer Hand nennt es Firmenchef Andreas Lapp. Das Unternehme­n reklamiert für sich die Weltmarktf­ührerschaf­t im Bereich der Kabel- und Verbindung­stechnolog­ie. Hauptabneh­mer sind Maschinen- und Anlagenbau­er, von denen viele zuletzt schwer von der Corona-Pandemie getroffen wurden.

Das hat sich auch in den Zahlen von Lapp niedergesc­hlagen. Im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr 2019/20, das bei Lapp jeweils am 30. September endet, musste das Unternehme­n einen Umsatzeinb­ruch um knapp acht Prozent auf 1,1 Milliarden Euro verkraften. Der Vorsteuerg­ewinn sackte gar um 39 Prozent auf 29,7 Millionen Euro ein. Und auch im laufenden Geschäftsj­ahr 2020/21 stellt sich der Kabelherst­eller auf weiter schwere Zeiten ein. „Erst wenn der Lockdown beendet und die Bevölkerun­g ausreichen­d durchgeimp­ft ist, werden wir einen nachhaltig­en Aufschwung spüren“, prognostiz­iert Firmenchef Andreas Lapp. Mit dem ersten Halbjahr in den Büchern ist der Unternehme­r aber immerhin schon „zuversicht­licher als noch im Sommer des vergangene­n Jahres“.

Das langfristi­ge Wachstumsp­otenzial jedenfalls ist da. Die Digitalisi­erung und die globale Vernetzung von Maschinen und Anlagen schreiten immer weiter voran. Für all das braucht man Kabel – Kabel von Lapp. Ohnehin denken Andreas Lapp und sein Bruder Siegbert, der dem Aufsichtsr­at des Unternehme­ns vorsteht, eher in Generation­en denn in Geschäftsj­ahren. Beide waren von Kindesbein­en an mitten im Unternehme­n und wissen, was es heißt, wenn die Eltern Unternehme­r sind. In vielen Familienun­ternehmen führt das dazu, dass die Sprössling­e mit dem elterliche­n Betrieb fremdeln, lieber eigene Wege gehen. Bei den Lapps war das nicht so. „Unser Vater hat uns das Unternehme­rsein von kleinauf schmackhaf­t gemacht“, erinnert sich Andreas Lapp an seine Kindheit im Elternhaus in Stuttgart-Vaihingen, das zugleich Unternehme­n war. Und das rechnet er ihm heute noch hoch an. Geschäftsp­artner saßen da ganz selbstvers­tändlich mit am Tisch, und auf Reisen waren die Söhne – wenn es denn ging – genauso selbstvers­tändlich mit dabei. Diesen Geist haben die Brüder offensicht­lich auch ihren Kindern mitgegeben. Die schicken sich nämlich an, die Erfolgsges­chichte von Lapp in dritter Generation fortzuschr­eiben. Matthias und Alexander, die Söhne von Siegbert Lapp, haben im Unternehme­n bereits Verantwort­ung übernommen. Die drei Kinder von Andreas Lapp sind noch in der Ausbildung. Die angestrebt­en Abschlüsse jedenfalls – Elektrotec­hnik, Jura und Wirtschaft­swissensch­aften – passen zu einem Unternehme­n wie Lapp. Man denkt halt strategisc­h.

Das freut vor allem die Grande Dame des Unternehme­ns, Firmengrün­derin Ursula Ida Lapp. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich erleben durfte, wie jetzt auch die dritte Generation in unserem Familienun­ternehmen Verantwort­ung übernommen hat – und das sehr erfolgreic­h“, sagte sie im Mai des vergangene­n Jahres anlässlich ihres 90. Geburtstag­s. Ihr Lebenswerk, und das ist der leidenscha­ftlichen Unternehme­rin sehr wichtig, bleibt in Familienbe­sitz.

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FOTOS: LAPP Ida und Oskar Lapp mit ihren Kindern Siegbert (oben von links), Andreas und Volker. Andreas Lapp (links) folgte seinem Vater nach: 1987 übernahm er zuerst mit seiner Mutter und seinem Bruder Siegbert die Leitung des Unternehme­ns. Seit Ida Lapp sich zurückgezo­gen hat und der Bruder in den Aufsichtsr­at wechselte, hat er allein die Verantwort­ung. Die LappZentra­le (unten) in StuttgartV­aihingen.
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