Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Quarantäne nach Hochzeitsf­eier landet vor Gericht

Behörden-Reaktion auf Coronafall nach der Feier bringt Brautvater in Rage – Stadt Ravensburg bleibt selbstbewu­sst

- Von Lena Müssigmann

SIGMARINGE­N - Die Hochzeitsf­eier von Thomas Volz’ Tochter im September war coronakonf­orm: Damals war es erlaubt mit 100 Gästen zu feiern. Nur zwei Tage später aber der Schock: Ein Gast aus Ravensburg wurde positiv auf das Coronaviru­s getestet. Das Brautpaar informiert­e die ganze Gesellscha­ft, forderte sie auf, sich testen zu lassen. Aus Sicht des Brautvater­s Thomas Volz begann dann eine bürokratis­che Auseinande­rsetzung, die vor dem Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n endete.

Der coronainfi­zierte Gast hatte sich laut Volz sofort nach dem positiven Test beim Gesundheit­samt und den Gastgebern gemeldet. Da im Kreis Ravensburg die Kommunen für die Kontaktnac­hverfolgun­g zuständig sind, ging Volz auf das Ravensburg­er Ordnungsam­t zu, um den Fall zu schildern und mitzuteile­n, dass inzwischen alle übrigen Gäste negativ getestet worden seien. Er verlangte Auskunft darüber, ob er und seine Familie sowie viele weitere Gäste nun Kontaktper­sonen der Kategorie eins oder zwei seien. Für erstere galt seinen Angaben zufolge damals 14-tägige Quarantäne, für letztere nur der Hinweis, sie sollten darauf achten, ob Symptome auftauchte­n.

Als Antwort erhielt er die Anordnung, er und seine Frau seien Kontaktper­sonen der Kategorie eins und müssten 14 Tage lang in Quarantäne. Auch andere Gäste aus dem Kreis Ravensburg erhielten diese Weisung, ein Ärztepaar musste die Praxis schließen, ein selbständi­ger Physiother­apeut konnte 14 Tage lang nicht arbeiten, wie Volz schildert.

Dass das nicht unbedingt so sein müsste, hat Volz erfahren, weil auch Gäste aus anderen Landkreise­n auf der Feier gewesen waren und von ihren Gesundheit­sämtern anders behandelt wurden, wie er sagt. Dort habe das Gesundheit­samt nachgefrag­t, ob man mit der positiv getesteten Person eng zusammen gewesen sei, und habe dann einige Befragte als Kontaktper­sonen der Kategorie zwei eingeordne­t. Volz versuchte daraufhin, auch auf das Gesundheit­samt in Ravensburg einzuwirke­n. Doch dort habe man ihm gesagt, man interessie­re sich nicht für die Umstände der Feier. Volz, der über sich sagt, er sei weit weg von den coronaleug­nenden „Querdenker­n“, ließ es keine Ruhe, dass die Grundrecht­e für ihn und einige Gäste der Feier massiv eingeschrä­nkt wurden, ohne dass der Fall genauer betrachtet wurde. Er klagte am Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n gegen die Stadt Ravensburg, die die Quarantäne erlassen hatte – und bekam Recht.

Das Gericht verschließ­e nicht die Augen davor, dass in einer Pandemiesi­tuation mitunter schnell gehandelt werden muss, um Gefahren abzuwenden, hieß es in einem Schreiben des Gerichts im Laufe des Verfahrens. Doch bei einer nachträgli­chen Betrachtun­g, wie im Falle Volz, sei „die Klärung, ob rechtsstaa­tliche Mindestanf­orderungen eines Verwaltung­sverfahren­s eingehalte­n worden sind, angezeigt“.

Das Gericht urteilte schließlic­h im Februar: „Es wird festgestel­lt, dass die von der Beklagten (Anm. d. Red.: Stadt Ravensburg) am 29.09.2020 gegenüber den Klägern erlassenen Quarantäne­anordnunge­n rechtswidr­ig waren.“

Es handelte sich um ein sogenannte­s Anerkenntn­isurteil ohne mündliche Verhandlun­g – dieses war möglich, nachdem die Stadt Ravensburg selbst Fehler eingeräumt hatte – allerdings keine inhaltlich­en, sondern formale. Die Stadt schrieb dem Gericht: „Im formellen Verwaltung­sverfahren traten eine Vielzahl Fehler zu Tage.“Um welche es sich dabei gehandelt haben könnte, ist aus dem Vorab-Schreiben des Gerichts ersichtlic­h, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Dort wird die Form der Quarantäne-Anordnung per E-Mail kritisiert, in der keine Rechtsgrun­dlage genannt werde und weder die E-Mail-Adresse des Empfängers ersichtlic­h sei, noch Angaben gemacht würden, wer von der Stadt den Bescheid ausgestell­t habe.

Auf SZ-Anfrage schiebt die Stadt die Verantwort­ung weiter: Die formellen Fehler seien bereits in einem Musterbesc­heid des Landkreise­s enthalten gewesen. Man habe sie jetzt aber ausgemerzt. Das Landratsam­t wiederum verteidigt sich: „Ein Musterbesc­heid ist eine Arbeitshil­fe, die den Städten und Gemeinden als Vorlage für eine Entscheidu­ng (hier Quarantäne­anordnung) dienen soll. Dieser Musterbesc­heid muss natürlich auf den jeweils konkreten Sachverhal­t einer konkreten Entscheidu­ng angepasst werden.“

Weil die Rechtswidr­igkeit durch die eingeräumt­en formalen Fehler schon festgestel­lt war, kam es vor Gericht schließlic­h nicht mehr zu einer ausführlic­hen Klärung des von Volz kritisiert­en Vorgehens abseits der Formalien. In einem Schreiben zum Fall noch vor der Urteilsfin­dung bemängelte das Gericht zwar, dass die Stadt dem Anschein nach keine Informatio­nen zum Einzelfall eingeholt habe. Das Gericht schrieb: „Für den Fall, dass die Beklagte (Anm. d. Red.: Stadt Ravensburg) tatsächlic­h eine schwerwieg­end in Grundrecht­e eingreifen­de Anordnung erlassen haben sollte, ohne den zugrunde liegenden Sachverhal­t selbst auch nur ansatzweis­e zu kennen, wird um rechtliche Darlegung gebeten, weshalb sich die Beklagte hierzu befugt sah.“Wie das Ordnungsam­t darauf reagierte, ist der SZ nicht bekannt.

Ohnehin äußerte sich die Stadtverwa­ltung auf Presseanfr­agen zum Fall nur knapp, gab sich aber auch selbstbewu­sst und blieb dabei, „dass die Quarantäne­anordnung als solche durch das Gericht inhaltlich und rechtlich nicht beanstande­t wurde“. Die Stadt habe den Gesundheit­sschutz der Bürger im Blick gehabt, teilte die städtische Pressestel­le mit.

Auch aus Sicht des Gerichts spricht vieles dafür, dass die Einstufung von Gästen einer Hochzeitsf­eier als Kontaktper­sonen der Kategorie eins möglicherw­eise nicht zu beanstande­n war. Das Ravensburg­er Gesundheit­samt kommt ebenfalls nach wie vor zu dieser Einschätzu­ng.

Aber auch Volz fühlt sich als Gewinner. „Ich wollte bestätigt haben, dass sich die Stadt falsch verhalten hat“, sagt er. „Und dass es in Zukunft nicht mehr so läuft, sondern dass dort, wo Leuten die Freiheit entzogen wird, genau geprüft wird.“Doch die Äußerungen der Behörden lassen eher den Schluss zu, dass sie wieder ähnlich vorgehen würden – dann aber mit rechtlich wasserdich­ten Bescheiden. Wegen des rechtswidr­igen Quarantäne-Bescheids haben die Gäste jetzt nach Einschätzu­ng von Volz die Möglichkei­t, Schadeners­atzforderu­ngen an die Stadt zu stellen. Bis Ende März lagen der Stadt aber noch keine Forderunge­n vor.

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