Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Das Geschäft mit dem Samen
Seit 125 Jahren kommen Hengste vom Gestüt Marbach nach Zogenweiler – Eine Tradition mit modernen Techniken
HORGENZELL - Hunderte Kilometer weit fahren die Pferdezüchter jedes Jahr ins kleine Zogenweiler in der Gemeinde Horgenzell. Bis aus der Schweiz und Hessen kommen sie mit ihren Stuten, um die Tiere von ganz besonderen Hengsten decken zu lassen. Seit nunmehr 125 Jahren gibt es in dem kleinen Ort im Landkreis Ravensburg eine Deckstation. Sie ist eine von noch fünf Servicestationen des Haupt- und Landgestüts Marbach in Baden-Württemberg – eine uralte Tradition, die bis heute dank der Pferdeliebhaber lebendig ist. Doch über die vergangenen 125 Jahre hat sich viel verändert.
Alfons Bauhofer ist Feuer und Flamme, wenn er über das Thema Pferdezucht spricht. Auch wenn man es ihm nicht direkt ansieht. „Pferde sind wunderbare und edle Tiere. Es macht einen glücklich, wenn man die Erfolge sieht“, sagt der Vorsitzende des Pferdezuchtvereins Ravensburg. Bauhofer ist die treibende Kraft, die dafür sorgt, dass jedes Jahr andere Hengste nach Zogenweiler kommen. Kenner sagen sogar, er kann sich aussuchen, welche Hengste im Programm sind. Araber, Altwürttemberger, Schwarzwälder. Bauhofer weiß, was gefragt ist, und versucht, den Züchtern aus der Region ein interessantes Angebot zu machen.
Die Beschälplatten, wie die Deckstationen im Fachjargon heißen, haben eine lange Tradition. In manchen Ländern Osteuropas, wie etwa Rumänien, sind sie teilweise bis heute feste Bestandteile mancher Dörfer, wo Pferde in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Es braucht starke Arbeitspferde, die Kutschen und Pflüge ziehen oder im Wald Baumstämme rücken können. Die Landwirte brauchen starke Pferde in der harten Land- und Forstwirtschaft. Und genau daher rührt auch die Tradition in Zogenweiler.
1896 wurde die „Beschällokalität“, wie es in den Aufzeichnungen heißt, gegründet. Damals befand sie sich noch im Besitz des Gastwirts Alois Gindele, der den Adler betrieb. Die Hengste des altehrwürdigen Gestüts Marbach, dessen Tradition bis ins Jahr 1514 zurückreicht, sollten für starke Nachkommen sorgen, um die Landwirtschaft in Oberschwaben effektiver zu machen. Wie wichtig diese Deckstationen waren, zeigt ein Schreiben der Königlich Württembergischen Landesgestütskommission vom 22. September 1903, in dem es hieß: „Die Hengststation Zogenweiler hatte sich einen guten Ruf erarbeitet, aufgrund der guten Qualität der Hengste, die aus dem Haupt- und Landgestüt Marbach aufgestellt wurden.“
Im Fortlauf der Geschichte änderte sich so einiges, und die Deckstation wurde immer wichtiger, als die Landwirte ihre Pferde während des Ersten und Zweiten Weltkrieges an die Front abgeben mussten. Es herrschte Pferdemangel auf dem oberschwäbischen Land, der dringend behoben werden musste. Also musste schnell für viel Nachwuchs gesorgt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind laut Alfons Bauhofer pro Jahr rund 160 Stuten gedeckt worden – eine beachtliche Zahl.
Doch heute sind diese Arbeitstiere schon lange kein Thema mehr. Mit der fortschreitenden Motorisierung der Landwirtschaft sank die Bedeutung des Pferdes, sodass auch viele Deckstationen im Land verschwanden. Zogenweiler aber konnte sich behaupten. Aber das Arbeitstier ist auch dort nicht mehr wirklich gefragt. Vereinzelt werden noch welche für die Waldarbeit gebraucht.
Die Nachfrage der Pferdezüchter hat sich schon lange weg vom Arbeitstier hin zum Sporttier entwickelt – zum Beispiel für Dressurreiten, Rennsport oder Springreiten. Beliebtester Hengst in Zogenweiler ist in dieser Saison „Instertanz“, ein Westfale, der bis zu einer Verletzung Preise einfuhr. Auch dessen Nachkommen waren schon erfolgreich. Das ist bei Pferdezüchtern ein bedeutsames Argument. Aber auch Therapiepferde werden immer gefragter. Das zeigt das stetig wachsende Angebot in diesem Segment auch in der Region. Vor allem Schwarzwälder eignen sich dazu – eine Rasse, die beinahe ausgestorben wäre und dank Marbach überlebte.
550 Euro zahlen Pferdezüchter bei der Servicestation pro Decksaison im Natursprung – egal, wie viele Versuche es braucht, bis die Stute tragend ist. Zum Vergleich: Erst in dieser Woche machte Deutschlands teuerster Zuchthengst „Adlerflug“aus dem Galoppiersport Schlagzeilen, der nach dem Liebesakt gestorben ist: 16 000 Euro zahlten Züchter pro Deckung.
Wie damals kommen auch heute noch die Stützwarte mit ihren Hengsten im Frühling aus Marbach nach Zogenweiler. Von März bis Juli leben sie in dem Gebäude an der Ortsdurchfahrt, zwar ein wenig spartanisch, aber kein Vergleich zu Zeiten, als die Stützwarte in den Pferdeboxen lebten. Schon im zweiten Jahr in Folge ist Clemens Roos in Zogenweiler. Er pflegt die Pferde und kümmert sich um sie. Roos ist aber auch für den Ablauf in der Deckstation verantwortlich. Veterinäre untersuchen die Tiere, sie werden approbiert, es folgt die Follikelkontrolle, um zu prüfen, ob die Pferde paarungsbereit sind. Jeden Tag werden die Hengste geritten, damit sie Auslauf haben.
„Eigentlich wollte ich nach dem Abitur studieren, habe dann mit der Ausbildung zum Pferdewirt angefangen und war so begeistert, dass ich geblieben bin“, sagt der 24-Jährige, dem man seine Begeisterung am strahlenden Gesicht ablesen kann. Die Pferde haben ihn nicht mehr losgelassen, und so sattelte er auf seine Ausbildung noch eine spezielle Ausbildung zum Besamungstechniker drauf.
Und diese Ausbildung ist dringend nötig. Denn die Deckstation hat sich zur Servicestation weiterentwickelt. So ist in Zogenweiler nicht nur der sogenannte Natursprung möglich, sondern es wird auch angeboten,
Samen aus Marbach über Nacht zu bestellen, und
Clemens Roos kümmert sich dann darum, dass die Stute trächtig wird.
Denn neben dem Natursprung bietet die Servicestation auch die künstliche Befruchtung an. Wie beim Menschen kann es auch bei Stuten vorkommen, dass sie nur sehr schwierig trächtig werden können. „Aber es gibt Dinge, die man in solchen Situationen tun oder beachten kann“, weiß der Spezialist. Ob Natursprung oder künstliche Befruchtung, ist laut Clemens Roos für den Erfolg an und für sich egal. „Manche schwören aber auf den Natursprung“, sagt er.
Doch nicht nur das Thema Zucht und Besamung gehört zu seinem Job. „Wir schauen uns auch die Fohlen an. Vielleicht gibt es Tiere, die für die Zucht interessant sind, die wir wieder abkaufen wollen“, berichtet er.
Die Tradition der Pferdezucht in Zogenweiler hält also auch 2021 noch an. Ohne das Engagement des Pferdezuchtvereins wäre dies wahrscheinlich nicht denkbar.