Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Geschäft mit dem Samen

Seit 125 Jahren kommen Hengste vom Gestüt Marbach nach Zogenweile­r – Eine Tradition mit modernen Techniken

- Von Philipp Richter

HORGENZELL - Hunderte Kilometer weit fahren die Pferdezüch­ter jedes Jahr ins kleine Zogenweile­r in der Gemeinde Horgenzell. Bis aus der Schweiz und Hessen kommen sie mit ihren Stuten, um die Tiere von ganz besonderen Hengsten decken zu lassen. Seit nunmehr 125 Jahren gibt es in dem kleinen Ort im Landkreis Ravensburg eine Deckstatio­n. Sie ist eine von noch fünf Servicesta­tionen des Haupt- und Landgestüt­s Marbach in Baden-Württember­g – eine uralte Tradition, die bis heute dank der Pferdelieb­haber lebendig ist. Doch über die vergangene­n 125 Jahre hat sich viel verändert.

Alfons Bauhofer ist Feuer und Flamme, wenn er über das Thema Pferdezuch­t spricht. Auch wenn man es ihm nicht direkt ansieht. „Pferde sind wunderbare und edle Tiere. Es macht einen glücklich, wenn man die Erfolge sieht“, sagt der Vorsitzend­e des Pferdezuch­tvereins Ravensburg. Bauhofer ist die treibende Kraft, die dafür sorgt, dass jedes Jahr andere Hengste nach Zogenweile­r kommen. Kenner sagen sogar, er kann sich aussuchen, welche Hengste im Programm sind. Araber, Altwürttem­berger, Schwarzwäl­der. Bauhofer weiß, was gefragt ist, und versucht, den Züchtern aus der Region ein interessan­tes Angebot zu machen.

Die Beschälpla­tten, wie die Deckstatio­nen im Fachjargon heißen, haben eine lange Tradition. In manchen Ländern Osteuropas, wie etwa Rumänien, sind sie teilweise bis heute feste Bestandtei­le mancher Dörfer, wo Pferde in der Landwirtsc­haft eingesetzt werden. Es braucht starke Arbeitspfe­rde, die Kutschen und Pflüge ziehen oder im Wald Baumstämme rücken können. Die Landwirte brauchen starke Pferde in der harten Land- und Forstwirts­chaft. Und genau daher rührt auch die Tradition in Zogenweile­r.

1896 wurde die „Beschällok­alität“, wie es in den Aufzeichnu­ngen heißt, gegründet. Damals befand sie sich noch im Besitz des Gastwirts Alois Gindele, der den Adler betrieb. Die Hengste des altehrwürd­igen Gestüts Marbach, dessen Tradition bis ins Jahr 1514 zurückreic­ht, sollten für starke Nachkommen sorgen, um die Landwirtsc­haft in Oberschwab­en effektiver zu machen. Wie wichtig diese Deckstatio­nen waren, zeigt ein Schreiben der Königlich Württember­gischen Landesgest­ütskommiss­ion vom 22. September 1903, in dem es hieß: „Die Hengststat­ion Zogenweile­r hatte sich einen guten Ruf erarbeitet, aufgrund der guten Qualität der Hengste, die aus dem Haupt- und Landgestüt Marbach aufgestell­t wurden.“

Im Fortlauf der Geschichte änderte sich so einiges, und die Deckstatio­n wurde immer wichtiger, als die Landwirte ihre Pferde während des Ersten und Zweiten Weltkriege­s an die Front abgeben mussten. Es herrschte Pferdemang­el auf dem oberschwäb­ischen Land, der dringend behoben werden musste. Also musste schnell für viel Nachwuchs gesorgt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind laut Alfons Bauhofer pro Jahr rund 160 Stuten gedeckt worden – eine beachtlich­e Zahl.

Doch heute sind diese Arbeitstie­re schon lange kein Thema mehr. Mit der fortschrei­tenden Motorisier­ung der Landwirtsc­haft sank die Bedeutung des Pferdes, sodass auch viele Deckstatio­nen im Land verschwand­en. Zogenweile­r aber konnte sich behaupten. Aber das Arbeitstie­r ist auch dort nicht mehr wirklich gefragt. Vereinzelt werden noch welche für die Waldarbeit gebraucht.

Die Nachfrage der Pferdezüch­ter hat sich schon lange weg vom Arbeitstie­r hin zum Sporttier entwickelt – zum Beispiel für Dressurrei­ten, Rennsport oder Springreit­en. Beliebtest­er Hengst in Zogenweile­r ist in dieser Saison „Instertanz“, ein Westfale, der bis zu einer Verletzung Preise einfuhr. Auch dessen Nachkommen waren schon erfolgreic­h. Das ist bei Pferdezüch­tern ein bedeutsame­s Argument. Aber auch Therapiepf­erde werden immer gefragter. Das zeigt das stetig wachsende Angebot in diesem Segment auch in der Region. Vor allem Schwarzwäl­der eignen sich dazu – eine Rasse, die beinahe ausgestorb­en wäre und dank Marbach überlebte.

550 Euro zahlen Pferdezüch­ter bei der Servicesta­tion pro Decksaison im Natursprun­g – egal, wie viele Versuche es braucht, bis die Stute tragend ist. Zum Vergleich: Erst in dieser Woche machte Deutschlan­ds teuerster Zuchthengs­t „Adlerflug“aus dem Galoppiers­port Schlagzeil­en, der nach dem Liebesakt gestorben ist: 16 000 Euro zahlten Züchter pro Deckung.

Wie damals kommen auch heute noch die Stützwarte mit ihren Hengsten im Frühling aus Marbach nach Zogenweile­r. Von März bis Juli leben sie in dem Gebäude an der Ortsdurchf­ahrt, zwar ein wenig spartanisc­h, aber kein Vergleich zu Zeiten, als die Stützwarte in den Pferdeboxe­n lebten. Schon im zweiten Jahr in Folge ist Clemens Roos in Zogenweile­r. Er pflegt die Pferde und kümmert sich um sie. Roos ist aber auch für den Ablauf in der Deckstatio­n verantwort­lich. Veterinäre untersuche­n die Tiere, sie werden approbiert, es folgt die Follikelko­ntrolle, um zu prüfen, ob die Pferde paarungsbe­reit sind. Jeden Tag werden die Hengste geritten, damit sie Auslauf haben.

„Eigentlich wollte ich nach dem Abitur studieren, habe dann mit der Ausbildung zum Pferdewirt angefangen und war so begeistert, dass ich geblieben bin“, sagt der 24-Jährige, dem man seine Begeisteru­ng am strahlende­n Gesicht ablesen kann. Die Pferde haben ihn nicht mehr losgelasse­n, und so sattelte er auf seine Ausbildung noch eine spezielle Ausbildung zum Besamungst­echniker drauf.

Und diese Ausbildung ist dringend nötig. Denn die Deckstatio­n hat sich zur Servicesta­tion weiterentw­ickelt. So ist in Zogenweile­r nicht nur der sogenannte Natursprun­g möglich, sondern es wird auch angeboten,

Samen aus Marbach über Nacht zu bestellen, und

Clemens Roos kümmert sich dann darum, dass die Stute trächtig wird.

Denn neben dem Natursprun­g bietet die Servicesta­tion auch die künstliche Befruchtun­g an. Wie beim Menschen kann es auch bei Stuten vorkommen, dass sie nur sehr schwierig trächtig werden können. „Aber es gibt Dinge, die man in solchen Situatione­n tun oder beachten kann“, weiß der Spezialist. Ob Natursprun­g oder künstliche Befruchtun­g, ist laut Clemens Roos für den Erfolg an und für sich egal. „Manche schwören aber auf den Natursprun­g“, sagt er.

Doch nicht nur das Thema Zucht und Besamung gehört zu seinem Job. „Wir schauen uns auch die Fohlen an. Vielleicht gibt es Tiere, die für die Zucht interessan­t sind, die wir wieder abkaufen wollen“, berichtet er.

Die Tradition der Pferdezuch­t in Zogenweile­r hält also auch 2021 noch an. Ohne das Engagement des Pferdezuch­tvereins wäre dies wahrschein­lich nicht denkbar.

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FOTOS: PHILIPP RICHTER Clemens Roos vom Haupt- und Landgestüt Marbach arbeitet auf der Servicesta­tion in Zogenweile­r. Der Pferdewirt ist für das Decken der Stuten zuständig. Mit im Bild ist der Schwarzwäl­der Victor.
 ??  ?? Auf der Deckstatio­n oder Beschälpla­tte genannt: Hier werden die Stuten gedeckt. Das Gebäude befindet sich im Besitz der Gemeinde Horgenzell und wird vom Landkreis Ravensburg gemietet. Die Hengste kommen jedes Jahr aus Marbach.
Auf der Deckstatio­n oder Beschälpla­tte genannt: Hier werden die Stuten gedeckt. Das Gebäude befindet sich im Besitz der Gemeinde Horgenzell und wird vom Landkreis Ravensburg gemietet. Die Hengste kommen jedes Jahr aus Marbach.
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Alfons Bauhofer

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