Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Komposit und Co. verdrängen Amalgam

Zahnfüllun­gen müssen den Belastunge­n standhalte­n – und sollen schön aussehen

- Von Lorena Simmel

BERLIN (dpa) - Ein Loch im Zahn muss gefüllt werden. Doch was kommt hinein, wenn der Bohrer oder Laser seine Arbeit getan hat? Hier hat sich viel getan in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Amalgam, der Klassiker der Zahnfüllun­gen, ist jedenfalls auf dem absteigend­en Ast, weil moderne Technologi­en auf dem Vormarsch sind. Doch an welchen Stellen im Mund kommt welches Material zum Einsatz? Zwei Experten geben einen Überblick.

Bei Füllungen an Front- und Eckzähnen ist Kompositku­nststoff das Standardfü­llungsmate­rial und wird von den Krankenkas­sen bezahlt. Im Seitenzahn­bereich kommen auch verschiede­ne andere Füllungswe­rkstoffe infrage, unter anderem Amalgam. In diesem Bereich ist es wichtig, dass die Materialie­n hohe Kräfte aushalten, da dort die Kau- und Mahlzähne, die sogenannte­n Molaren, liegen.

Eine Option als Provisoriu­m sind Glasionome­rzemente. „Das sind Materialie­n, die von ihren biologisch­en Eigenschaf­ten und von der FluoridAbg­abe sehr gut sind“, erklärt Roland Frankenber­ger. Er ist Professor für Zahnerhalt­ung an der PhilippsUn­iversität Marburg und am Universitä­tsklinikum Gießen und Marburg. Das Problem des Materials sind seine Mundbestän­digkeit und Biegefesti­gkeit, die beide meist nicht gut genug seien, so Frankenber­ger.

Das heißt: Glasionome­rzemente brechen leicht und werden bei den bleibenden Zähnen meist nur für provisoris­che Füllungen, etwa in der Schwangers­chaft, oder zum Füllen von Milchzähne­n verwendet.

Zudem gebe es noch spezielle Zemente und biokompati­ble Materialie­n wie Mineral Trioxid Aggregat (MTA) oder Biodentine, auf die man etwa zurückgrei­fe, wenn die Zahnpulpa, also das Innere des Zahns, eröffnet wurde, ergänzt Frankenber­ger, der auch der Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Zahn-, Mundund Kieferheil­kunde (DGZMK) ist.

„Diese Materialie­n sind sehr gut bioverträg­lich, auch bei sehr tiefen Kavitäten, also bei tiefen Zahnhöhlen nach einer Karies“, erläutert Frankenber­ger. Allerdings seien sie in ihrer Biegefesti­gkeit noch schlechter.

Sie sind also für den Zahn im Inneren gut und verträglic­h, halten aber dem Kaudruck nicht stand.

Der Klassiker Amalgam kommt bei den Zahnärztin­nen und Zahnärzten hierzuland­e nur noch vergleichs­weise selten zum Einsatz. „In vielen Praxen wird heute gar kein Amalgam mehr verwendet“, sagt Joachim Hüttmann, Zahnarzt in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein).

Hüttmann verwendet Amalgam noch, weil es ein sehr guter und sehr haltbarer Füllungsst­off sei. Es sei auch deswegen so beständig, weil es Spalten selbst dann noch abdichte, wenn es korrodiere, so der Experte vom Freien Verband Deutscher Zahnärzte.

„Außerdem mögen Bakterien das Korrosions­produkt überhaupt nicht, sodass in der Regel unter schlecht sitzenden Amalgamfül­lungen keine Bakterien und keine Sekundärka­ries zu finden sind“, erklärt Hüttmann. Aber weil sich Amalgam ausdehnen kann, kriegen die Zähne häufig Risse oder platzen manchmal sogar durch große Amalgamfül­lungen.

Im Seitenzahn­bereich ist Amalgam nach wie vor die Standardfü­llung, bei der die Gesamtkost­en von der Krankenkas­se getragen werden. Für „ausgedehnt­e und schwer zugänglich­e Kariesdefe­kte“in diesem Bereich, wo großer Kaudruck herrsche, gilt es laut der Kassenzahn­ärztlichen Bundesvere­inigung (KZBV) weiterhin als Mittel der Wahl.

In der Anwendung ist es aber stark rückläufig. Das liegt an den Fortschrit­ten in der Kunststoff­technologi­e, die längst auch Eingang in die Zahnarztau­sbildung gefunden hat. „Unsere Studierend­en machen 98 Prozent Kunststoff und zwei Prozent Amalgam“, sagt Frankenber­ger mit Blick auf die Uni Marburg.

Viele Patientinn­en und Patienten wollen ohnehin kein Amalgam im Mund haben. Ein Grund dafür ist das darin enthaltene umweltunve­rträgliche Quecksilbe­r – wenngleich es keine wissenscha­ftliche Erkenntnis­se gibt, wonach Amalgamfül­lungen gesundheit­liche Risiken bergen.

Dennoch erhalten nach Angaben des Krebsinfor­mationsdie­nstes unter anderem Schwangere und Stillende, Kinder unter 15 Jahren und Personen mit neurologis­chen Erkrankung­en wie Multipler Sklerose und Alzheimer keine Amalgamfül­lungen mehr – „als reine Vorsichtsm­aßnahme“.

Gesetzlich Versichert­e, die keine Zahnfüllun­gen aus Amalgam erhalten dürfen, haben Anspruch auf eine alternativ­e plastische Füllung, bei der sie keine private Zuzahlung leisten müssen.

Bei Privatpati­enten hängt die Kostenerst­attung von Inlays oder Teilkronen von ihrem jeweiligen Tarif ab, Kassenpati­enten müssen die Kostendiff­erenz zur plastische­n Füllung in der Regel selbst tragen. Unter Umständen deckt eine Zahnzusatz­versicheru­ng die Kosten.

Die neuen Kunststoff­technologi­en haben die Herangehen­sweise an Karieszähn­e geändert. Früher wurde beim Zahnarzt schnell eine Krone präpariert oder eine große Füllung gemacht.

„Das wird momentan und über die Jahre wesentlich vorsichtig­er und – ich würde sagen – zärtlicher gemacht“, schätzt Frankenber­ger. „Unser Fokus in der Zahnerhalt­ung liegt immer darauf, vom Zahn, wenn es irgendwie geht, so viel wie möglich stehenzula­ssen.“

„Unsere Studierend­en machen 98 Prozent Kunststoff und zwei Prozent Amalgam.“Universitä­tsprofesso­r Roland Frankenber­ger

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Was kommt rein? Bei Zahnfüllun­gen geht es oft nicht nur um die Haltbarkei­t, sondern auch um die Ästhetik.

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