Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ausgangssperre spaltet in Tuttlingen die Gemüter
CDU-Abgeordnete halten weitere Einschränkung für nötig – Rechtsanwalt sieht Maßnahme kritisch
TUTTLINGEN - Ab Montag ist von 21 bis 5 Uhr striktes Zuhausebleiben angesagt. Es gelten zum wiederholten Mal, nächtliche Ausgangsbeschränkungen im Kreis Tuttlingen, der seit geraumer Zeit über der Sieben-TageInzidenz von 100 liegt. Nicht alle politischen Vertreter finden diese Regelung sinnvoll. Und es gibt Zweifel, ob sie rechtlich Bestand hat – auch vor Ort.
Der Tuttlinger Rechtsanwalt Ulrich Eisen hat schon am Freitag einen Auftrag bekommen, rechtlich gegen die Ausgangssperre vorzugehen, sagte er unserer Zeitung. Eisen hatte sich auch gegen die Maskenpflicht in der Tuttlinger Fußgängerzone gewandt. Allgemein häuften sich die Anfragen in der Kanzlei von Bürgern, „die sagen, es reicht mir mit den Einschränkungen, ich will klagen“, berichtet Eisen. Seines Erachtens sei die Ausgangssperre verfassungswidrig. Rechtlich werde es um drei Aspekte gehen: Ob die Maßnahme in Anbetracht der Corona-Situation erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sei. „Diese Prüfung muss ein Gericht gegebenenfalls vornehmen“, so Eisen.
Was für den Rechtsanwalt gerade schwierig ist: Gegen wen soll er klagen? Noch am Freitag hatte der Landkreis eine Regelung zur Ausgangssperre angekündigt. Diese ist aber hinfällig, weil die Corona-Verordnung des Landes, die am Wochenende veröffentlicht wurde, ohnehin eine nächtliche Ausgangssperre beinhaltet. Auch auf Bundesebene ist ein entsprechendes Gesetz geplant, damit wäre der Bund der Beklagte.
Dass die Ausgangsbeschränkungen „schon ein schwerwiegender Eingriff in unsere persönliche Freiheit“sind, sieht auch der hiesige
Bundestagsabgeordnete Volker Kauder (CDU). Deshalb sollen sie nicht grundsätzlich, sondern nur ab einer bestimmen Voraussetzung gelten, sagt er – in diesem Fall die Inzidenz. Generell befürwortet er den Schritt aber: „Die Infektionszahlen nehmen dramatisch zu. Um sie zu reduzieren, reichen Impfen und Testen zurzeit nicht aus“, sagte er auf Nachfrage unserer Zeitung.
Ähnlich sieht es Parteikollege Guido Wolf im baden-württembergischen Landtag. „Die Entwicklung der Infektionszahlen ist leider sehr unerfreulich“, sagt er. Er könne nachvollziehen, dass nun „nochmals alles versucht werde, um die dritte Infektionswelle zu brechen. Wenn die Ausgangssperren in die sogenannte „Bundesnotbremse“aufgenommen würden, „könnte nach meiner Einschätzung recht bald das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit von Ausgangssperren entscheiden und damit Rechtssicherheit entstehen“, glaubt Wolf. Gerade weil im Landkreis Tuttlingen die Zahl der Corona-Infizierten hoch sei, „muss jedoch bis dahin alles, was rechtlich möglich ist, versucht werden, um Kontakte zu reduzieren“.
Dass die Ausgangssperre vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte, daran hat Niko Reith, FDPLandtagsabgeordneter für den Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen, erhebliche Zweifel. Schon jetzt gebe es Kritik von Verfassungsrechtlern, die nächtliche Ausgangssperre „droht so nach der Osterruhe zur nächsten Schlappe für die Bundesregierung zu werden“, sagt Reith. Er hält die Maßnahme für unverhältnismäßig, da es ohnehin kaum nächtlichen Publikumsverkehr gebe. Reith fordert mehr Kontrollen der bestehenden Regeln – die aus seiner Sicht bisher nicht ausreichend erfolgen.