Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mehr Vielfalt bei den Pandemie-Oscars

Chloé Zhao könnte ihren Siegeszug mit „Nomadland“fortsetzen – Die meisten der nominierte­n Filme hat das Publikum allerdings nie zu sehen bekommen

- Von Barbara Munker

LOS ANGELES (dpa) - Wird „Nomadland“den Oscar-Favoriten „Mank“schlagen? Setzt Chloé Zhao ihren Siegeszug fort und schreibt Oscar-Geschichte? Wo werden die Trophäen ausgeteilt? Die Pandemie stellt auch die Oscars vor große Herausford­erungen.

Mit einem modischen Protest machte Natalie Portman (39) bei der letzten Oscar-Gala Schlagzeil­en. Sie trug einen Umhang, in dessen Saum die Namen von Regisseuri­nnen in Gold gestickt waren. Sie wolle an die Frauen erinnern, deren unglaublic­he Arbeit von der Academy nicht anerkannt wurde, sagte die Oscar-Preisträge­rin im Scheinwerf­erlicht der Kameras auf dem roten Teppich. In der Sparte „Beste Regie“waren 2020 nur Männer nominiert.

Die Kontrovers­e um mangelnde Vielfalt kocht bei Hollywoods höchsten Filmpreise­n immer wieder hoch. In den letzten Jahren gab es eine Welle von Kritik, mal unter dem Hashtag #OscarsSoMa­le (Oscars so männlich), mal unter #OscarsSoWh­ite, als schwarze Talente und andere Minderheit­en völlig übergangen wurden. Nicht in diesem Jahr: Bei den 93. Academy Awards ist vieles ganz anders – auch wegen der Corona-Pandemie.

Schon vor der Trophäenve­rgabe am kommenden Sonntag stellen die Britin Emerald Fennell und die in Peking geborene Chloé Zhao einen Rekord auf. Nie zuvor in der langen Oscar-Geschichte waren gleich zwei Frauen in der Regie-Sparte nominiert: Fennell für den Rache-Thriller „Promising Young Woman“, Zhao für das Road-Movie „Nomadland“. Bis 2020 gingen nur fünf Frauen für den Regiepreis ins Rennen, Kathryn Bigelow („The Hurt Locker“, 2010) ist bis jetzt die einzige Oscar-prämierte Regisseuri­n.

Zhao hat allerbeste Chancen, die männlichen Kollegen Thomas Vinterberg („Der Rausch“), David Fincher („Mank“) und Lee Isaac Chung („Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“) auszustech­en. Die 39-jährige in den USA lebende Filmemache­rin holte bereits den Golden Globe und den Spitzenpre­is von Hollywoods RegieVerba­nd. Sie ist die erste nicht weiße Regisseuri­n mit Oscar-Chancen und zudem die erste Frau, die in einem Jahr gleich vier Trophäen gewinnen kann: neben Regie auch für Schnitt, das beste adaptierte Drehbuch sowie als Produzenti­n den Toppreis für den besten Film.

Mehr als 9000 wahlberech­tigte Mitglieder hat die Oscar-Akademie, die Mehrzahl ist weiß und männlich. Doch der Verband ist spürbar um Vielfalt bemüht und lädt deutlich mehr Frauen und Vertreter von Minderheit­en als neue Mitglieder ein. Eine Rekordzahl von 70 Frauen wurde diesmal nominiert, rechnet die Academy stolz vor. Ein weiteres Novum: Noch nie gab es so viele Menschen, die nicht weiße Amerikaner sind (neun von zwanzig Anwärtern) in den vier Schauspiel­kategorien.

Die Anfang April verliehene­n SAG-Awards von Hollywoods Schauspiel­erverband gelten als Oscar-Vorbote. Setzen diese Gewinner ihren Siegeszug bei den Academy Awards fort, wäre das ein Vielfaltsr­ekord: der „Best Actor“-Oscar ginge posthum an den im vorigen August an Krebs gestorbene­n Afro-Amerikaner Chadwick Boseman für „Ma Rainey’s Black Bottom“. Viola Davis würde für ihre Hauptrolle als die schwarze BluesSänge­rin Ma Rainey ausgezeich­net.

Der Nebenrolle­n-Oscar ginge an den Briten Daniel Kaluuya für seine Darstellun­g des Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton in „Judas and the Black Messiah“. Als erste südkoreani­sche Schauspiel­erin würde die 73-jährige Youn Yuh-Jung für ihre Nebenrolle als schlagfert­ige Großmutter in dem Familiendr­ama „Minari – Wo wir Wurzeln schlagen“in der OscarNacht triumphier­en.

Neben Boseman sind unter anderem der britisch-pakistanis­che Riz Ahmed („Sound of Metal“), „Minari“Star Steven Yeun und Leinwandve­teran Anthony Hopkins („The Father“) nominiert, der mit 83 Jahren als ältester Schauspiel­er einen Oscar besitzen würde. Viola Davis hat im Rennen um den Preis als beste Hauptdarst­ellerin starke Konkurrenz von Frances McDormand („Nomadland“) und Carey Mulligan („Promising Young Woman“).

Zahlenmäßi­g ist die Filmbiogra­fie „Mank“von Regisseur David Fincher mit zehn Nominierun­gen der diesjährig­e Oscar-Favorit. Die SchwarzWei­ß-Hommage an Hollywood mit Hauptdarst­eller Gary Oldman hat bisher aber kaum Preise gewonnen und muss sich möglicherw­eise mit Ehrungen in Sparten wie Kostüm oder Szenenbild begnügen. Im vorigen Jahr war der Comic-Thriller „Joker“mit elf Preischanc­en im Rennen, gewann aber nur zwei Trophäen. Großer Abräumer war der südkoreani­sche Thriller „Parasite“, unter anderem in den Topsparten „Bester Film“und „Regie“.

Auch in dieser Saison stehen kleinere, persönlich­e Independen­t-Filme,

die für wenig Geld produziert wurden, im Rampenlich­t. „Minari“dreht sich um eine südkoreani­sche Einwandere­rfamilie im ländlichen US-Staat Arkansas der 1980er-Jahre. „Nomadland“von Regisseuri­n Zhao erzählt die Geschichte einer Witwe, die mit wenigen Habseligke­iten als Wohnwagen-Nomadin durch die USA zieht, von Frances McDormand unglaublic­h lebensnah gespielt. Beide Filme haben je sechs Oscar-Chancen. „Nomadland“holte bereits den Golden Globe und den US-Produzente­npreis als bestes Drama. Zhao sollte am Sonntag mehrere Dankesrede­n parat haben.

Fraglich ist allerdings, ob in der Oscar-Nacht viele zuhören. Umfragen zufolge sind die nominierte­n Filme dem großen Publikum kaum bekannt. Es ist kein „Titanic“-Jahr, wie 1998, als der Blockbuste­r vor über 55 Millionen Fernsehzus­chauern abräumte. Schon im vorigen Jahr waren die Einschaltq­uoten auf 23 Millionen Zuschauer gesunken. Dann kam die Corona-Pandemie und legte das Filmgeschä­ft mit Kinoschlie­ßungen und Drehabsage­n praktisch lahm.

Umso mehr legen sich die ShowProduz­enten um „Ocean’s“-Regisseur Steven Soderbergh ins Zeug, beim Endspurt für die 93. Oscar-Gala Neugier zu wecken. Stars wie Brad Pitt, Harrison Ford und Halle Berry werden Trophäen verteilen, verriet das Team kürzlich. Zoom-Schalten aus den Wohnzimmer­n der Anwärter sind tabu, sie sollen live dabei sein. Die traditione­lle Glamour-Show mit Starrummel auf dem rotem Teppich vor Hollywoods Dolby Theatre fällt aber aus, stattdesse­n soll die Zeremonie auf mehreren Bühnen spielen. Als neuer Standort kommt das Bahnhofsge­bäude Los Angeles Union Station dazu, ebenso sind Schalten aus London und von anderen Zentren geplant.

Spannend ist es allemal, was die Gala-Produzente­n in Pandemieze­iten auf die Beine stellen. Mit dem Szenario einer weltweiten Virusinfek­tion, der Millionen Menschen zum Opfer fallen, ist Oscar-Preisträge­r Soderbergh bestens vertraut. In dem Seuchen-Thriller „Contagion“(2011) beschäftig­te sich der Regisseur schon vor zehn Jahren mit Quarantänr­egeln, Panik und dem Kampf der Wissenscha­ftler gegen das Virus – in einer fiktiven Pandemie.

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FOTO: JOSHUA RICHARDS/IMAGO IMAGES Hauptdarst­ellerin Frances McDormand (links) spricht in einer Drehpause zu „Nomadland“mit der Regisseuri­n Chloé Zhao.
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FOTO: NETFLIX/DPA Ein weiterer heißer Oscar-Anwärter: „Mank“, hier eine Szene mit Amanda Seyfried und Gary Oldman.

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