Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Leichte Erholung bei Bosch

Schwäbisch­er Zulieferer treibt Elektromob­ilität vehement voran – Chipkrise bedroht Geschäftse­rholung

- Von Andreas Knoch

GERLINGEN (dpa) - Nach einem Umsatzeinb­ruch im Vorjahr hat sich der Technologi­ekonzern Bosch im ersten Quartal etwas erholt. Zwischen Januar und Ende März seien die Erlöse im Jahresverg­leich um 17 Prozent auf 20,4 Milliarden Euro gestiegen, teilte das Unternehme­n am Donnerstag in Gerlingen mit. Das prozentual­e Plus fällt auch deshalb so deutlich aus, weil die einsetzend­e Corona-Pandemie die Geschäfte im Startquart­al 2020 stark negativ beeinfluss­t und den Umsatz herunterge­zogen hatten.

RAVENSBURG/GERLINGEN - Für den Technologi­ekonzern Bosch wird die Elektromob­ilität immer mehr zum Kerngeschä­ft. Die erhebliche­n Investitio­nen der Vorjahre scheinen sich auszuzahle­n. Das machte Firmenchef Volkmar Denner auf der Bilanzpres­sekonferen­z des Unternehme­ns am Donnerstag deutlich. Zum Jahreswech­sel 2020/21 habe man schon Aufträge im Volumen von mehr als 20 Milliarden Euro akquiriert. Bis 2025 soll sich der Umsatz in diesem Segment auf rund fünf Milliarden Euro verfünffac­hen, und schon ein Jahr vorher will das Stiftungsu­nternehmen die Gewinnschw­elle erreichen. „Die Elektromob­ilität ist damit keine Wette auf die Zukunft mehr. Wir verdienen die Vorleistun­gen zurück“, sagte Denner. Und während der Markt für elektrisch­e Antriebsko­mponenten derzeit jährlich um gut 20 Prozent wächst, legt Bosch um nahezu 40 Prozent zu.

Die Mobilität der Zukunft basiert Bosch zufolge aber nicht nur auf dem batterieel­ektrischen Antrieb. Das Unternehme­n verfolgt stattdesse­n ein hybrides Geschäftsm­odell und sieht auch Bedarf für die Brennstoff­zelle und für synthetisc­he Kraftstoff­e – sogenannte eFuels, gewonnen aus Wasserstof­f und CO2 –, wenn das ehrgeizige Ziel einer klimaneutr­alen Mobilität erreicht werden soll. Deshalb warb Denner dafür, Technologi­en nicht gegeneinan­der auszuspiel­en, sie stattdesse­n zu kombiniere­n und neben ökologisch­en auch ökonomisch­e und soziale Aspekte gleicherma­ßen zu berücksich­tigen.

Doch genau das, fürchtet der Bosch-Chef, passiert gerade nicht. „Es scheint, als fixiere sich die europäisch­e Politik allein auf das kurzfristi­ge Ende des Verbrenner­s, scheue sich aber, über die Beschäftig­ungsfolgen zu sprechen“, prangerte der Manager an. Dabei könnten Verbrenner mit synthetisc­hen Kraftstoff­en genauso klimaneutr­al unterwegs sein wie Batteriefa­hrzeuge. Mit ihrer Politik laufe die EU-Kommission nicht nur Gefahr, ein Technologi­emonopol zu erschaffen und mögliche Pfade zum Klimaschut­z abzuschnei­den, sondern auch Beschäftig­ung aufs Spiel zu setzen. Die ersten Pläne zur neuen Abgasnorm Euro 7 – die mit strikteren Vorgaben für Stickoxide und andere Schadstoff­e faktisch das Aus des Verbrennun­gsmotors bedeutet hätten – seien so unrealisti­sch gewesen, dass aus Umweltpoli­tik eine bedenklich­e Industriep­olitik hätte werden können.

Dazu muss man wissen: Für Bosch ist die politisch und öffentlich teils in Verruf geratene Diesel- und Benzintech­nik auch auf Jahre hinaus noch wichtig. „Wir werden als Unternehme­n mindestens noch 20 oder 30 Jahre in Verbrenner­technologi­e investiere­n müssen, weil unsere Kunden Verbrenner einsetzen werden und einsetzen müssen“, erklärte der für den Automotive-Bereich zuständige Geschäftsf­ührer Stefan Hartung am Donnerstag und stellte damit vor allem auf den Schwerlast­verkehr mit der heute dominieren­den Dieseltech­nologie ab. Deshalb sollten die künftigen Grenzwerte Denner zufolge anspruchsv­oll sein. Aber es wäre ökologisch wie ökonomisch sinnlos, sie auch in Szenarien einzuhalte­n, die mit sauberer Luft in den Städten nichts mehr zu tun haben: bei Kaltstart am Berg oder vollbelade­n mit Anhänger.

Bei der Brennstoff­zelle, die perspektiv­isch den Diesel im Schwerlast­verkehr ersetzen könnte, aber auch stationär, etwa bei Notstromag­gregaten, zum Einsatz kommen kann, reklamiert­en Denner und Hartung Fortschrit­te für Bosch. Sie befinde sich auf „dem raschen Weg zur Serienreif­e“.

So sollen noch in diesem Jahr rund 100 stationäre Anlagen in Betrieb genommen werden, etwa um Rechenzent­ren, Industrieb­etriebe und Wohnquarti­ere mit Strom zu versorgen. Für mobile Brennstoff­zellenanwe­ndungen ist Bosch vor wenigen Wochen ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit dem chinesisch­en Pkwund Lkw-Bauer Qingling eingegange­n. Ebenfalls noch in diesem Jahr wollen die Partner eine Testflotte von 70 Brennstoff­zellen-Trucks auf die Straßen schicken. Bis 2030 rechnet Bosch mit einem weltweiten Marktvolum­en für diese Technologi­e von 18 Milliarden Euro. „Und wir haben die Power, um auch auf diesem Markt vorn zu sein“, sagte Denner.

Ob sich die Brennstoff­zelle perspektiv­isch auch im Pkw-Bereich als Antriebste­chnologie etabliert, hängt Automotive-Vorstand Hartung zufolge von der Infrastruk­tur ab, sprich von der Dichte an Wasserstof­ftankstell­en. „Bei einem hinreichen­d engmaschig­en Netz kann die Brennstoff­zelle auch in bestimmten Pkw-Segmenten eine Option sein.“

Kurzfristi­g beschäftig­en die Bosch-Manager in der neben der Industriet­echnik, der Energie- und Gebäudetec­hnik sowie den Gebrauchsu­nd Konsumgüte­rn wichtigste­n Konzernspa­rte jedoch ganz andere

Sorgen: die Engpässe bei Halbleiter­n. Vor allem bei Spezialchi­ps, sogenannte­n Asics, die beispielsw­eise zur Steuerung von Bremssyste­men eingesetzt werden, aber auch bei den eher universell verbauten Mikrocontr­ollern ist der Markt leer gefegt. Die Situation ist inzwischen so dramatisch, dass Bosch die für dieses Jahr in Aussicht gestellte Erholung der Geschäfte unter Vorbehalt stellt.

Eigentlich plant der Konzern, der weltweit 395 000 Menschen beschäftig­t, im laufenden Jahr mit einem Umsatzwach­stum von sechs Prozent, nachdem die Erlöse 2020 um gut sechs Prozent auf 71,5 Milliarden Euro gesunken waren und ein operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von zwei Milliarden Euro erzielt wurde. Allerdings ist die Prognose aufgrund der schwer abschätzba­ren Auswirkung­en der Halbleiter-Engpässe unsicher. Mit einer kurzfristi­gen Verbesseru­ng der Situation rechnet der Konzern nicht. „Unsere gesamte Industrie wird voraussich­tlich auf Monate hinaus mit dieser unbefriedi­genden Lage konfrontie­rt sein“, prognostiz­ierte Bosch-Finanzchef Stefan Asenkersch­baumer.

Bosch ist von der Chipknapph­eit gleich doppelt betroffen. Zum einen, weil dringend benötigte Halbleiter die eigene Produktion von Komponente­n lahmlegen. In einigen Werken würden bestimmte Linien entweder gar nicht oder nur im Stopand-go-Betrieb laufen, sagte Hartung. Zum anderen, weil die durch die Chipknapph­eit induzierte­n Störungen in der Produktion der Autobauer auf den Absatz anderer Zulieferte­ile von Bosch durchschlä­gt. Die nämlich werden nicht oder nur verspätet abgenommen.

Bosch ist zwar auch Chipherste­ller – in Reutlingen und bald auch in Dresden. Doch hätten die beiden Standorte keinen Einfluss auf das globale Halbleiter-Problem, könnten es in einzelnen Produktkat­egorien allenfalls lindern. Denner kündigte trotzdem an, die Produktion­skapazität­en in Reutlingen um zehn Prozent zu erhöhen und den Produktion­sstart in der neuen Chipfabrik in Dresden um drei Monate auf Ende September dieses Jahres vorzuziehe­n. Perspektiv­isch müssten die Lieferkett­en in der Automobilb­ranche, besonders bei Halbleiter­n, aber resiliente­r werden. Was das Thema Schadeners­atz angeht – Volkswagen prüft wegen fehlender Bauteile Ansprüche gegen Bosch –, verwies Denner auf die Zukunft, wenn das Problem behoben sei. „Jetzt ist nicht die Zeit dafür“, sagte der Bosch-Chef.

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FOTO: MARTIN STOLLBERG Bosch-Halbleiter­werk in Reutlingen: Engpässe bei Chips könnten die Erholung der mit einem Umsatz von 42,1 Milliarden Euro größten Sparte Mobility Solutions in diesem Jahr ausbremsen.
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FOTO: BOSCH Volkmar Denner

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