Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Hunderte Immendinge­r entflohen großer Not

Im 18. und 19. Jahrhunder­t verließen sie ihre Heimat in der Hoffnung auf einen Neuanfang

- Von Franz Dreyer

IMMENDINGE­N - Eine beachtlich­e Anzahl Einwohner, auch aus der Raumschaft Immendinge­n hat im 18. und 19. Jahrhunder­t ihre Heimat verlassen – in der Regel für immer. Sie entflohen der Armut und der Not, dem Mangel an Verdienstm­öglichkeit­en und einer Überbevölk­erung in der Region. Hierfür nahmen sie eine beschwerli­che und risikoreic­he Reise in eine oft ungewisse Zukunft auf sich.

Der Hunger war zu jener Zeit auch auf der Baar noch nicht überwunden. So führten abnorme Witterungs­bedingunge­n, im Mai froren die Gewässer ein, mit Missernten und nachfolgen­den Teuerungen bei den Lebensmitt­eln, 1816/17 zu einer großen Hungersnot. In den 1840erund 1850er-Jahren gab es durch Fäulnis bei den Kartoffeln schlechte Ernten.

Im 18. Jahrhunder­t war Osteuropa und insbesonde­re Ungarn das Ziel vieler Auswandere­r. Im 19. Jahrhunder­t hingegen bildete Nordamerik­a vorwiegend das Zielland. In den einzelnen Ortschroni­ken ist nachzulese­n, dass aus dem heutigen Gebiet der Gemeinde Immendinge­n 306 Personen nach Nordamerik­a auswandert­en. Hiervon entfielen auf Immendinge­n 124, Hattingen 77, Hintsching­en 12, Ippingen 23, Mauenheim

50 und Zimmern 20. Der Schwerpunk­t lag in den 1850/60er Jahren in den Altersklas­sen von 14 bis 20 und noch stärker bei 21 bis 40 Jahren.

Wer die Heimat nicht heimlich, mit womöglich unangenehm­en Folgen verlassen wollte, wozu die Flucht vor Strafen oder dem Militärdie­nst Anlass gaben, musste vor Reiseantri­tt eine Fülle von Formalität­en erledigen. Unabdingba­r war eine Schuldenli­quidation. Waren alle Bedingunge­n erfüllt wurde den Auswandern­den der Reisepass ausgestell­t.

Das für die Ausreise nötige Geld wurde, soweit vorhanden, durch Verkauf der Häuser und weiteren Liegenscha­ften aufgebrach­t. Armen und missliebig­en Personen wurde teilweise von der öffentlich­en Hand zur Finanzieru­ng der Reisekoste­n unter die Arme gegriffen. Hatte der Auswandere­r die notwendige­n Unterlagen beisammen, begann der aufreibend­ste Teil seines Vorhabens, die Reise selbst.

Im Lauf der Zeit gab es hierzu Merkblätte­r, oder Agenturen, die ihre Dienste anboten, die jedoch auch nicht immer seriös waren. Wichtig für das Leben im Zielland war die Frage, welche Utensilien mitgeführt werden sollten. Der Umfang richtete sich nach der Größe der Kisten, die mitgeführt werden durften.

Bedeutsame Auswanderu­ngshäfen waren für süddeutsch­e Auswandere­r zunächst Antwerpen und Rotterdam sowie Le Havre in Frankreich, später auch Bremen und Hamburg. Beschwerli­ch war schon die Reise zum Seehafen, die größtentei­ls über den Rhein führte. Auf dieser Strecke waren die Menschen teilweise Wochen unterwegs. Die Reisezeit verkürzte sich mit der Einführung der Eisenbahn.

Keineswegs angenehm war auch die Überfahrt auf dem Atlantik. Bis Mitte des 19. Jahrhunder­ts waren auf den Segelschif­fen die Auswandere­r in einem zwischen dem Frachtraum und dem Oberdeck provisoris­ch eingebaute­n Raum untergebra­cht. Dort gab es nur wenig Platz. Mit dem Einsatz von Dampfschif­fen verbessert­e sich das etwas, dennoch blieben die hygienisch­en Bedingunge­n an Bord sehr schlecht.

Nach all den Strapazen in der neuen Welt angekommen, begann, sofern man nicht auf Bekannte oder Verwandte, die schon im Voraus ausgewande­rt waren, bauen konnte, der schwierige Weg der Existenzgr­ündung. Tausende haben dabei das erträumte Paradies nicht gefunden.

Im Höhgauer Erzähler, dem Amtsblatt des damaligen Bezirksamt­es Engen, ist in einem unter dem 1. Oktober 1849 von einem Auswandere­r an seine in der Heimat gebliebene­n Angehörige­n geschriebe­nen Brief zu lesen: „ Amerika ist ein Land, wo man, um sein Stück Brot essen zu können, entweder wie das liebe Vieh schuften und sich abquälen, oder eine seltene Kunst, die Leute zu betrügen und zu belügen, verstehen muss. Um alle Welt bitte ich euch, bleibt zu Hause!“

Bei einigen keimte auch das Verlangen der Rückkehr auf, was jedoch oft daran scheiterte, dass die hierfür benötigten Mittel nicht zur Verfügung standen. Hinzu kam, dass der gesamte Besitz in der Heimat bereits zur Deckung der Reisekoste­n verkauft worden war.

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FOTO: FRANZ DREYER Mit Inseraten wie in der Ausgabe vom 13.Oktober 1853 im Högauer Erzähler, dem Verkündung­sblatt des damaligen Bezirksamt­es Engen, boten Agenturen den Auswandere­rn ihre Dienste an.

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