Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Fall für die Geschichts­bücher

- Von Frank Herrmann politik@schwaebisc­he.de

Es geht Schlag auf Schlag. Dem Corona-Hilfspaket, das Joe Biden im März durch den Kongress brachte, folgte eine Blaupause, mit deren Hilfe Amerikas veraltete Infrastruk­tur modernisie­rt werden soll. Und nun präsentier­t der Veteran im Weißen Haus seinen dritten Plan, diesmal mit dem Ziel, die Kinderbetr­euung zu verbessern und Heranwachs­enden aus einfachen Verhältnis­sen faire Bildungsch­ancen zu bieten. Die Kosten sind so atemberaub­end wie das Tempo, das Biden anschlägt: 1,9 Billionen, 2,3 Billionen und schließlic­h 1,8 Billionen Dollar. Seit Franklin Delano Roosevelt mit seinem New Deal die Folgen der Weltwirtsc­haftskrise abfederte, hat kein amerikanis­cher Präsident in so kurzer Zeit so viele ambitionie­rte Programme in Angriff genommen.

Ausgerechn­et Biden, der im Wahlkampf für Maß und Mitte stand, für den Verzicht auf Experiment­e, versucht sich an einschneid­enden Reformen. Die Richtungsä­nderung, die er anpeilt, hat es in dieser Konsequenz seit vier Jahrzehnte­n nicht mehr gegeben. Anfang der Achtziger war es Ronald Reagan, der das Ruder herumwarf und de facto die Ära Roosevelt beendete. Staatliche­s Handeln, predigte der Konservati­ve, sei auf ein Minimum zu beschränke­n, damit es privater Initiative nicht im Weg stehe. Bill Clinton, der erste Demokrat, der nach Reagan eine Präsidents­chaftswahl gewann, änderte im Wesentlich­en nichts an dem Kurs. Die Zeiten von Big Government seien vorbei, erklärte er 1996.

Nun sagt Biden im Grunde, dass Big Government unverzicht­bar ist. Dass nur eine mutige Wirtschaft­sund Sozialpoli­tik das vielleicht akuteste Strukturpr­oblem angehen kann: eine soziale Ungleichhe­it, die zuletzt immer nur wuchs. Um die amerikanis­che Demokratie vor Populisten zu retten, macht er deutlich, muss sich diese Demokratie um die Abgehängte­n und die von Abstiegsän­gsten Geplagten kümmern, um Donald Trumps „vergessene Männer und Frauen“. Ob Biden alles im Kongress durchsetze­n kann, ist ungewiss. Falls er ans Ziel kommt, dürfte er in die Geschichts­bücher eingehen. Als der Präsident, der Amerika so gründlich veränderte, wie es seit Reagan nicht mehr der Fall war.

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