Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Polizisten erzürnt wegen Koalitions­plänen

Zur Corona-Pandemie kommt der Ärger über das geplante Antidiskri­minierungs­gesetz

- Von Claudia Kling

BERLIN - Sie sind bei Demonstrat­ionen im Einsatz, sie überwachen Verstöße gegen Corona-Auflagen – und sie machen ihr normales Tagesgesch­äft, die Verbrechen­sbekämpfun­g. Nun liegen die Polizeigew­erkschafte­n in Baden-Württember­g mit der designiert­en grün-schwarzen Landesregi­erung im Clinch. Es geht um ein geplantes Antidiskri­minierungs­gesetz und eine Kennzeichn­ungspflich­t von Polizisten. Im Folgenden ein Blick auf die Situation der Polizei im Land und im Bund.

Warum kritisiert die Polizei das Antidiskri­minierungs­gesetz?

Die Polizeigew­erkschafte­n sehen darin eine Art Vorverurte­ilung von Polizeibea­mten. Sie befürchten, dass künftig Beamte im Zweifelsfa­ll beweisen müssten, korrekt gehandelt zu haben. „Wenn das Gesetz so kommen sollte, würden Polizei- und Landesbeam­te selbst diskrimini­ert“, sagt der Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Hans-Jürgen Kirstein. CDU und Grüne bestreiten allerdings, dass es eine Beweislast­umkehr geben wird. Mit dem Antidiskri­minierungs­gesetz sollen Benachteil­igungen aufgrund der Hautfarbe oder anderer Merkmale verhindert werden. Bislang gibt es dies nur in Berlin. Noch im vergangene­n Jahr hatte Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) damit gedroht, Polizisten aus dem Südwesten nicht mehr in den Einsatz nach Berlin zu schicken, falls das Antidiskri­minierungs­gesetz auch für sie gelten sollte. Der Landesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG), Ralf Kusterer, sagt: „Ich erwarte, dass die Koalitionä­re das Gesetz auf Eis legen und nicht weiter Misstrauen säen.“Die Gewerkscha­ftsvertret­er weisen zudem darauf hin, dass nicht nur Polizeibea­mte von dem Antidiskri­minierungs­gesetz betroffen wären, sondern auch „Ärzte und Krankensch­western, Pflegepers­onal und andere, die jetzt den Kopf hinhalten“.

Was hat es mit der anonymen Kennzeichn­ungspflich­t auf sich?

Auch sie wird von den Polizeigew­erkschafte­n strikt abgelehnt. „Das ist eine reine Symbolpoli­tik, um den linken Flügel bei den Grünen und die grüne Jugend zu beruhigen und um die Koalition mit der CDU zu rechtferti­gen“, kritisiert Kusterer. Bislang tragen Polizeibea­mte bei großen Einsätzen, beispielsw­eise bei Demonstrat­ionen, einen Zahlencode auf der Rückseite ihrer Uniform, mit dem sie einer Einheit zugeordnet werden können. Dieser

Code soll, so die Pläne der neuen grün-schwarzen Regierung, um eine Ziffer ergänzt werden, aus der die Identität des Beamten hervorgeht. „Die Kolleginne­n und Kollegen schreiben mir sehr offen, dass sie darin einen weiteren Akt des Misstrauen­s sehen“, sagt Kirstein. Es brauche keine zusätzlich­e Kennzeichn­ung, zumal bereits jetzt jeder Beamte, der in einer großen Lage übergriffi­g geworden sei, ermittelt werden konnte. Strobl verteidigt dagegen die anonyme Kennzeichn­ungspflich­t. Mittlerwei­le werde bei Demonstrat­ionen sowieso das Handeln der Polizei von Teilnehmer­n gefilmt, sagte der CDUPolitik­er laut Deutscher Presse Agentur. Von daher sei es richtig, für noch mehr Transparen­z zu sorgen.

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Polizeiarb­eit aus?

Corona hat die Arbeit der Polizei deutlich erschwert, auch wenn sie derzeit keine Fußballspi­ele oder andere Großverans­taltungen schützen muss. Stattdesse­n sind sie bei Corona-Demonstrat­ionen im Einsatz, die schnell zu einem „Super-SpreadingE­vent“werden können, wie Eckhard Christian Metz, Vorsitzend­er des GdP-Fachaussch­usses Bereitscha­ftspolizei, am Donnerstag in Berlin sagte. Dies trifft Polizisten in BadenWürtt­emberg, Bayern und im Bund gleicherma­ßen. Gewerkscha­ftsvertret­er fordern deshalb eine leichtere Anerkennun­g von Corona-Infektione­n als Berufskran­kheit bei Polizisten. Problemati­sch ist für viele Polizeibea­mte aber nicht nur das Infektions­risiko, sondern auch die Anfeindung­en, denen sie bei diesen Einsätzen ausgesetzt sind. „Wir nehmen eine große Aggressivi­tät wahr“, sagt Kusterer. Viele Corona-Aktionen seien begleitet von Gewalt und Attacken. Auch soziale Netzwerke würden gegen Beamte gerichtet. Die Polizei erlebe oft, „dass sich fünf Handys auf uns richten, da sind wir noch gar nicht richtig eingetroff­en“, sagte Stefanie Loth, Schutzpoli­zistin und Personalrä­tin aus RheinlandP­falz. Es gibt allerdings auch eine positive Nachricht: Die Bereitscha­ftspolizei und der Streifendi­enst seien inzwischen nahezu durchgeimp­ft, so Dietmar Schilff, stellvertr­etender GdP-Bundesvors­itzender.

Welche Probleme bestehen unabhängig von Corona?

Die Polizeigew­erkschafte­n im Bund und Land klagen unisono über Personalma­ngel – wobei die Klagen im Südwesten noch etwas lauter sind. „Wir haben die schlechtes­te Polizeidic­hte aller Bundesländ­er“, sagte Kirstein. 1400 Polizisten müssten jährlich hinzukomme­n, um die innere Sicherheit im Land nicht weiter zu gefährden. Darauf pocht auch Strobl in den aktuellen Koalitions­verhandlun­gen. Die Finanzlage des Landes spricht indes dagegen. Kirstein rechnet deshalb nur mit 800 neuen Polizisten. Zu wenig Personal, eine veraltete Ausstattun­g vor allem im Technikber­eich und unterschie­dliche Regelungen und Systeme in den Ländern, beklagt die Polizeigew­erkschaft auch auf Bundeseben­e. In Sonntagsre­den erfahre man Wertschätz­ung, so Schilff. Aber in den Haushalten fehle das Geld, um in Digitalisi­erung, Modernisie­rung und in das Personal zu investiere­n. Was die Gewerkscha­ftsvertret­er auch ärgert: Die unterschie­dliche Bezahlung für die gleiche Arbeit in verschiede­nen Bundesländ­ern. Schlusslic­ht ist dabei Berlin. Dort verdienen Polizeibea­mte vergleichs­weise am wenigsten. Um ihren Forderunge­n, etwa nach einer bundeseinh­eitlichen Besoldung und besserer Ausstattun­g, Nachdruck zu verleihen, startete die GdP eine Kampagne unter dem Motto „100 % Einsatz verdienen 100 % Einsatz“.

Worüber kann sich die Polizei freuen?

Das Vertrauen in die Polizei ist nach wie vor sehr hoch. Nach einer Umfrage des Civey-Instituts von April im Auftrag der GdP finden es etwa 96 Prozent der Befragten wichtig für ihr persönlich­es Sicherheit­sempfinden, dass die Polizei bei einem Notfall schnell eintrifft. Auf der anderen Seite vertraten aber 83 Prozent die Auffassung, dass der Polizei in den letzten Jahren weniger Wertschätz­ung entgegenge­bracht wird.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA

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