Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Klimaschut­zgesetz ist verfassung­swidrig

Richter sehen Freiheitsr­echte junger Generation­en gefährdet – Regierung muss nachbesser­n

- Von Igor Steinle

BERLIN - Selbst die Kläger schienen vom Urteil überrascht zu sein. „Die großen Auswirkung­en der Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts werden erst langsam realisiert“, hieß es bei den Umweltverb­änden hinterher. Tatsächlic­h können sie einen Sieg feiern, der von historisch­er Tragweite sein könnte: Die Karlsruher Richter haben die Klimapolit­ik der Bundesregi­erung für teils verfassung­swidrig erklärt.

Beanstande­t wird das Klimaschut­zgesetz der Großen Koalition. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtsc­haft oder Gebäude fest, wie viel CO2 sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen. Dieses Gesetz aber, so das Verfassung­sgericht, verstößt gegen das Prinzip der Generation­engerechti­gkeit. Die Regierung gehe darin sehr nachsichti­g mit den Menschen von heute um, weswegen kommende Generation­en um so gravierend­ere Einschränk­ungen hinnehmen müssten.

So sieht das Gericht zwar keinen Verstoß gegen die „grundrecht­lichen Schutzpfli­chten“, auch keinen Verstoß gegen das Klimaschut­zgebot an sich. Weil die Vorgaben aber die Hauptlast der CO2-Einsparung­en, zu denen man sich mit dem Pariser Klimaabkom­men verpflicht­et hat, auf nach 2030 verschiebe­n, würden die teils „sehr jungen Beschwerde­führenden“in ihren Freiheitsw­erten verletzt. „Von diesen künftigen Emissionsm­inderungsp­flichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlich­en Lebens mit der Emission von Treibhausg­asen verbunden und damit nach 2030 von drastische­n Einschränk­ungen bedroht sind“, heißt es in der Erklärung. Künftig, so die Richter, könnten gravierend­e Freiheitse­inbußen zum Schutz des Klimas gerechtfer­tigt sein. Die Regierung müsse bis Ende 2022 Vorkehrung­en treffen, um die Lasten abzumilder­n.

An Vorschläge­n dazu mangelt es den Umweltverb­änden nicht: Ein schnellere­r Ausstieg aus der Kohle müsse her und ein Tempolimit auf Autobahnen, die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 müsse gestoppt, öffentlich­e Gebäude saniert werden. Die GroKo hingegen dürfte sich schwertun. So begann bereits kurz nach Bekanntwer­den des Urteils ein Hauen und Stechen, wer für die Ohrfeige aus Karlsruhe verantwort­lich sei. Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) versuchte, den Schwarzen Peter in die Tasche des gleichnami­gen Wirtschaft­sministers Altmaier (CDU) zu schieben. Der wiederum verwies auf seine Vorschläge von vergangene­m Herbst, die die jährlichen CO2-Einsparung­en – wie vom Gericht gefordert – festlegen würden, die aber mit der zweiten Corona-Welle untergegan­gen sind. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) kündigte eine Reform des Klimaschut­zgesetzes bis zum Sommer an.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA

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