Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Vier Heimbewohn­er in Potsdam getötet

Tödliche Gewalttat löst Schock und Entsetzen aus – Langjährig­e Bedienstet­e unter Tatverdach­t

- Von Klaus Peters, Jutta Schütz und Oliver von Riegen

POTSDAM (dpa) - Fassungslo­se Stille herrscht um das Wohnheim für Menschen mit Behinderun­g in Potsdam: Vier Bewohner sind getötet worden, eine Bewohnerin ist schwer verletzt. Immer wieder kommen am Donnerstag Menschen am Thusnelda-vonSaldern-Haus vorbei und legen in stiller Andacht Blumen vor dem Haus nieder. Polizisten suchen an einer Bushaltest­elle, in Papierkörb­en und Gullys nach Spuren. Die Eingänge zu dem Komplex mit Klinik, Schule und Wohnheimen sind abgeriegel­t.

Eine langjährig­e Bedienstet­e aus dem Pflegebere­ich, die als dringend tatverdäch­tig vorläufig festgenomm­en wurde, kommt am Donnerstag in die Psychiatri­e. Eine Haftrichte­rin weist die 51-jährige Frau in den Maßregelvo­llzug in Brandenbur­g/Havel ein. Der Leitende Oberstaats­anwalt Wilfried Lehmann sagt, nach Einschätzu­ng der Richterin lägen Gründe für eine eingeschrä­nkte oder vollständi­ge Schuldunfä­higkeit vor. Die Frau schweigt laut Staatsanwa­ltschaft in den Vernehmung­en zu der unfassbare­n Tat.

Die Ermittler äußern sich während der laufenden Untersuchu­ngen zunächst nicht zum Tathergang und zum möglichen Motiv für die Gewalttat. Nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur wiesen die getöteten Bewohner schwere Schnittver­letzungen an der Kehle auf. Ob dies ursächlich für den Tod war, ist am Donnerstag allerdings zunächst offen - die Obduktione­n sind noch nicht abgeschlos­sen.

Die Todesopfer waren langjährig­e Bewohner des Wohnheims für Körper- und Mehrfachbe­hinderunge­n, das zur diakonisch­en Einrichtun­g Oberlinhau­s gehört. Zwei von ihnen hätten seit ihrer Kindheit dort gelebt, sagt Tina Mäueler, Bereichsle­iterin Wohnen in den Oberlin Lebenswelt­en. Es sei eine so große Erschütter­ung, „das hat uns schon die Beine weggehauen“, so der Theologisc­he Vorstand der Einrichtun­g, Matthias Fichtmülle­r. „Wir können uns noch gar nicht auf das Trauern konzentrie­ren.“

„Gott, warum?“, steht auf einer improvisie­rten Gedenktafe­l inmitten der Blumen, die Mitarbeite­r des Oberlinhau­ses dort aufgestell­t haben. „Warum dürft ihr nicht mehr mit uns lachen, mit uns weinen, mit uns leben? (…) Die Welt ist über uns zusammenge­brochen. Wir können das nicht begreifen.“In dem Wohnheim leben mehr als 60 Menschen mit Behinderun­g ganz oder zeitweise mit intensiver Betreuung. Darunter sind auch Menschen, die nach Unfällen schwerbehi­ndert oder nach Erkrankung­en, wie etwa Hirnblutun­gen, auf Unterstütz­ung angewiesen sind.

Sie nehmen gut sichtbar am öffentlich­en Leben im beschaulic­hen Potsdamer Stadtteil Babelsberg teil. Mit ihren Betreuern sind sie häufig im nahe gelegenen Babelsberg­er Park zu sehen oder selbststän­dig mit Rollstühle­n im Supermarkt. Die behinderte­n Bewohner des Oberlinhau­ses sind in dem Stadtteil gut integriert - umso größer ist der Schock in der Bevölkerun­g über die unbegreifl­iche Gewalttat.

Am Abend wollten Angehörige der Opfer und Mitarbeite­r der Einrichtun­g zu einer Andacht in der Oberlinkli­nik der Toten gedenken und für eine baldige Genesung der schwer verletzten Bewohnerin beten. Dazu hatte sich auch Brandenbur­gs Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) angekündig­t. Dem Privatsend­er BB Radio sagt er: „Es ist ein schwerer Tag für Brandenbur­g.“Im Oberlinhau­s lebten vor allem Menschen, die „unseres besonderen Schutzes“bedürften, schreibt Woidke in einer Mitteilung. „Umso erschrecke­nder ist die Tat.“

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA

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