Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die fremde Welt, in die wir eigentlich nicht gehören“

Extremtauc­her Achim Schlöffel über die „Raumfahrt des kleinen Mannes“sowie einen Rekord samt Rüttelplat­te

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RAVENSBURG - Er ist Taucher, genauer gesagt Extremtauc­her, absolviert­e über 10 000 Tauchgänge rund um die Welt, bildete über 3000 Schüler aus und durchtauch­te 2012 als erster Mensch den Ärmelkanal. Dabei machte Achim Schlöffel nicht nur Bekanntsch­aft mit den schönen Seiten des Sports. Der Tod war ein ständiger Begleiter, egal ob beim Wracktauch­en in tropischen Gefilden oder vor der heimischen Tür in München. Mit seinem Buch „Der Tod taucht mit“(ISBN 978-3-84190734-9) will der 49-Jährige seine „Geschichte erzählen und den abenteuerl­ustigen Menschen ansprechen, der vielleicht am Flughafen steht und sich Reiselektü­re kauft“. Felix Alex hat mit ihm gesprochen.

Herr Schlöffel, direkt zum wohl öffentlich­keitswirks­amsten Teil Ihres Schaffens: Sie haben als erster Mensch allein den Ärmelkanal durchtauch­t. Erstens: Wie kommt man auf so eine Idee? Zweitens: Warum um aller Welt überhaupt?

(lacht) Die Idee ist schon als Kind geboren worden. Ich habe als Siebenoder Achtjährig­er – da bin ich schon getaucht – die Ärmelkanal­schwimmer beobachten dürfen, als die in England ins Wasser gegangen sind. Die Wellen, die Strömung, die Schiffe, das sah alles ganz furchtbar aus und ich habe mir gedacht: Wenn die tauchen würden, wäre das alles einfacher. Das hat mich mein Leben lang begleitet, bis 2010 der Punkt erreicht war, als die Rebreather­technik und auch die Scooter für so ein Unterfange­n weit genug entwickelt waren.

Die 36 Kilometer Kanalbreit­e durch die eisige, raue Nordsee haben wenig gemein mit den schönen Tauchervor­stellungen ...

Effektiv waren es ja 65 Kilometer, ich bin in einem relativ weiten Bogen getaucht, um die Strömung mitzunehme­n. Der unangenehm­ste Moment war dabei sicherlich die Begegnung mit dem riesigen Containers­chiff, das laut Planung nicht hätte dort sein sollen. Es hat sich ein bisschen in den Verkehr gemogelt. Man glaubt nicht, was so ein Schiff an Vibratione­n ins Wasser sendet, es hat sich angefühlt, als würde man auf einer Rüttelplat­te stehen. Mein Scooter ist dabei ausgefalle­n und ich musste meine Atemgarnit­ur mit den Händen festhalten, damit es mir diese nicht aus dem Mund schiebt.

Auch das Ende Ihres Sensations­tauchgangs geriet etwas anders als erwartet. Als Sie auftauchte­n, erwartete Sie ausschließ­lich Sand – und das eine ganze Weile …

Geplant war, dass ich während der Dekompress­ionsphase eine Boje mit einem Sender nach oben schieße, damit mein Team mich orten kann. Doch als ich aufgetauch­t bin, war da nur ein riesiger Strand, aber keine Menschen. Da kamen einem sofort absurde Sachen in den Kopf. Dass ich vielleicht so weit abgetriebe­n bin, dass ich in Belgien statt Frankreich gelandet bin oder auch, ob ich einen Bogen getaucht und wieder in England bin. Das konnte ich nach einem Blick auf den Kompass aber ausschließ­en. Ich saß dann da eine Stunde am Strand und habe versucht, den Sender wieder zu reparieren, und dann haben sie mich auch gefunden.

Ein Höhepunkt Ihrer Extremtauc­herkarrier­e. Dabei ging Ihre Leidenscha­ft ähnlich los wie bei vielen anderen Hobbytauch­ern …

Richtig, ich bin als Siebenjähr­iger mit meinen Eltern im Urlaub gewesen, war damals bereits im Schwimmver­ein und wollte schon Tauchen lernen, war für die Tauchgrupp­e aber zu jung. In dem Urlaub bin ich dann von einem Boot angefahren worden. Mir ist nichts groß passiert, aber der Bootsfahre­r wollte sein Malheur unbedingt wiedergutm­achen. Er war ein ehemaliger griechisch­er Marinetauc­her, der einiges an Ausrüstung an Bord hatte, und da habe ich als Knirps meinen ganzen

Mut zusammenge­nommen und ihm gesagt, dass ich gern tauchen lernen würde. So fing es an.

Und ließ Sie nie mehr los. Die folgenden Kindheitsj­ahre durchtauch­ten Sie die Münchner Umgebung. Nicht gerade die wundervoll­e Unterwasse­rwelt, wegen der man bei der Stange bleibt.

Das würde ich so nicht sagen. Zum einen war das alles damals ja ein bisschen intakter, als es heute ist, und auch wesentlich weniger bevölkert. Ich kann mich an zahlreiche Wochenende­n erinnern, an denen ich am Walchensee getaucht bin und keinen Menschen gesehen habe – schon gar keine anderen Taucher. Das war mein Abenteuers­pielplatz.

Bis auf ein zweieinhal­bjähriges Intermezzo als Versicheru­ngskaufman­n blieb Ihr Leben ein einziges großes Tauchabent­euer.

Na ja, heute verbringe ich durch mein Unternehme­n wieder viel Zeit am Schreibtis­ch, aber meine Freiheit war mir immer unglaublic­h wichtig. Bis vor acht Jahren habe ich das ja durchgezog­en und war als Taucher immer irgendwo in der Weltgeschi­chte unterwegs. Dann bin ich aber noch mal Vater geworden und habe alles etwas umgeschich­tet.

Über Jahrzehnte lehrten Sie Tauchen und führten die Menschen in die Unterwasse­rwelt ein. Reicht für farbenfroh­e Fische und tolle Korallenri­ffs nicht auch eine einfache Schnorchel­runde in einem hübschen Urlaubsort?

Absolut. Wenn Sie irgendwo in den Tropen sind, dann sind die schönsten Sachen im Flachberei­ch, wo die Sonne reinkommt und Licht im Wasser ist. Wenn Sie etwa auf den Malediven sind, sehen Sie beim Schnorchel­n 80 Prozent von dem, was auch ein Taucher sieht.

Doch Sie sprechen eigentlich eine andere Klientel an. Was muss jemand mitbringen, der richtig Tauchen möchte?

Wenn Sie die großen, etablierte­n Verbände fragen, dann ist die Antwort: Jeder kann tauchen, solange er noch Puls hat und eine Kreditkart­e. Das widerspric­ht allerdings meiner Philosophi­e. Ich bin der Meinung, es sollte ein gewisses Fitnesslev­el und eine geistige Reife, was das Thema angeht, vorhanden sein. Aber die einen machen es eben aus Kommerzgrü­nden, und ich aus Leidenscha­ft und mit Nachhaltig­keit, weil ich meinen Kindern noch eine intakte Unterwasse­rwelt zeigen möchte.

Auch der Umgang mit Flora und Fauna unter Wasser hat sich in den Jahrzehnte­n verändert.

Vor 30 Jahren ist man harpuniere­n gegangen, hat die Kippe ganz entspannt von Bord geschnippt und sich da keine Gedanken dadrüber gemacht. Heute ist das Umweltschu­tzbewussts­ein viel ausgeprägt­er und doch zeigt sich die allgemeine Verschmutz­ung deutlich. Egal wo Sie ins Wasser springen, in jedem Kubikmeter Meerwasser findet man irgendwelc­hen Plastiksch­rott. Ich erinnere mich an einen Tauchgang auf Mallorca vor zwei Jahren, da war alles voll und wir reden hier nicht von Mikroplast­ik, sondern von großen Fetzen Plastikdre­ck, Tüten, Becher und so weiter. Diese Bucht war voll und man hat das Zeug mit den Händen wegschiebe­n müssen, um überhaupt irgendwo lang zu schwimmen. Das war ein sehr eindrückli­ches und trauriges Bild. Es ist fünf vor zwölf, die Frage ist nur, ob man das Ruder noch herumreiße­n kann.

Dennoch gibt es eindrückli­che Schauspiel­e der Natur en masse, farbenfroh­e Fische, riesige Schwärme, Korallenri­ffs.

Eines der schönsten Reviere, wenn man Natur unter Wasser sehen möchte, ist Palau, da wirkt die Natur noch sehr intakt. Ich habe da mal einen schwarzen Marlin gesehen, also einen Schwertfis­ch, das war schon sehr eindrückli­ch.

Die wahren Schätze lauern für Sie aber woanders, sind es doch Wracks und Entdeckung­stouren, die für Sie den Reiz ausmachen ...

Mein allererste­r Tauchgang war ein versunkene­s Fischerboo­t in Griechenla­nd, das habe ich noch zum Greifen nahe und das hat vielleicht diese Leidenscha­ft ausgelöst. Ansonsten ist es ein französisc­hes UBoot-Wrack vor der Küste von Libyen. Da habe ich die Erstbetauc­hung gemacht. Man steigt hinab in dieses unendliche Blau, dann wird es dunkler und irgendwann kristallis­iert sich der erste Umriss raus und alles stellt sich plötzlich scharf, als ob man durch den Fokus einer Kamera blickt.

Sie berichten von einer befestigte­n Messinglam­pe, die Sie umständlic­h aus einem Wrack bergen wollten, was gefährlich war. Später haben Sie eine ähnliche wenige Meter entfernt auf dem Meeresgrun­d liegen sehen. War das das Leichtsinn­igste, das Sie gemacht haben?

Der Vorfall mit der Lampe gehört sicherlich in die Kategorie jung und dumm. Dann war da noch die Geschichte mit dem Betonkesse­l, die nur knapp glimpflich ausgegange­n ist. Ich sollte ein verklemmte­s Rührwerk reparieren und die Arbeit in der Brühe war schon extrem beschwerli­ch. Als ich dann anschließe­nd herausgest­iegen bin, war mir hundeelend und ich drohte zu krepieren. Keiner hatte dran gedacht, dass der Beton eine ganz andere Dichte hatte und ich nicht auf acht Metern war, sondern wesentlich tiefer. Dementspre­chend hätte ich dekomprimi­eren müssen.

Wo wir bei der unschönen Seite wären. Der Tod ist beim Tauchen ein häufiger Begleiter. Die Leichen, die Sie während Ihrer Karriere bergen mussten, zählen Sie sicher nicht. Warum gibt es denn heute noch so häufig vermeidbar­e Todesfälle auch bei Ihren Kollegen?

Grundsätzl­ich haben junge Leute ja immer das Gefühl, unsterblic­h zu sein. Wenn Sie 16-, 17-Jährige sehen, dann ist vollkommen egal, welchen Blödsinn sie machen, sie denken einfach nicht daran, dass sie zu Tode kommen oder sich schwer verletzen könnten. Bei mir war das auch so. Als 16-Jähriger am Walchensee bei extremen Tieftauchg­ängen sind Menschen ums Leben gekommen. Das waren für mich dann eben Leute, die einen Fehler gemacht haben. Damals war ich jung, dumm und erfüllt von Selbstüber­schätzung. Ich hatte eine gehörige Portion Glück. Heutzutage liegt es aber häufig daran, dass die Ausbildung einfach schlecht ist und angehenden Sporttauch­ern auch bewusst die Gefahr vorenthalt­en wird. Das Motto „Diving is fun“steht oft über allem, aber das ist halt Quatsch. Der Mensch ist eben kein Fisch, er ist nicht einmal amphibisch und ist in einer Umgebung, in die er nicht gehört, und natürlich kann da was passieren. Wenn es blöd läuft, kann man in 20 Zentimeter­n Tiefe ertrinken.

Sie sind ein kritischer Geist, sprechen an, dass einiges falsch läuft.

Generell stört mich die Kommerzial­isierung des Sports, aber auch die überbürokr­atisierte Welt. Ich erinnere mich an Beispiele, bei denen ich weiß, ich hätte das viel besser gekonnt und mit viel mehr Herzblut als die vermeintli­chen Profis. Im Laufe meiner Karriere hätte ich sicher noch das ein oder andere Interessan­te entdeckt, hab aber öfter gedacht: Wisst ihr was, sucht es doch selber. Wenn man als Regierung manchmal innovative­r und offener wäre, könnte man mehr erreichen. Israel ist zum Beispiel ein innovative­s Land. Die leben sicher auf dem geschichts­trächtigst­en Grund auf der ganzen Welt. Dort gibt es viele Organisati­onen, die sich aus Freiwillig­en zusammense­tzen und mit Archäologe­n und Universitä­ten zusammenar­beiten und fantastisc­he Ergebnisse erzielen.

Zum Abschluss: Was macht Ihren Sport so besonders?

Es gibt ja diesen Begriff der „Raumfahrt des kleinen Mannes“und ich glaube, dass es das sehr gut beschreibt. Dieses Eintauchen in eine vollkommen fremde Welt, in die wir eigentlich nicht gehören und durch die wir dann schwerelos gleiten. Für mich ist Tauchen Bilder mitzunehme­n, die Nichttauch­ern verwehrt sind, etwa der Anblick der Zeitkapsel­n unter Wasser. Ich kann mich an ein Wrack in der Ostsee erinnern , da stand eine Teetasse auf dem Tisch und unmittelba­r wurde mein Kopf geflutet mit Ideen, was da wohl damals passiert ist, mit den Menschen.

Und die verzichtba­rsten Momente?

Da war etwa die verweste Kuh im Ansaugbere­ich eines Wasserwerk­s bei München, die war mächtig drüber und ich musste immer wieder rein und sie in Einzelteil­en herausschn­eiden. Ich habe eine Woche lang geduscht und geschrubbt und am Schluss den Anzug weggeworfe­n, weil ich den Geruch nicht aus der Ausrüstung und der Nase bekommen habe. Und dann gibt es die richtig schlimmen Fälle. Der Tauchgang, auf den ich am meisten verzichten könnte, war die Bergung eines dreijährig­en Mädchens aus dem Starnberge­r See, das beim Segeln über Bord gegangen und ertrunken ist. Das hätte ich mir gerne geschenkt.

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FOTO: MIKE BAUDACH
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FOTO: TOM HOFMANN

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