Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Corona ist, wenn man trotzdem lacht

Wer in der Krise den Humor zu verlieren droht, kann beim Lachtelefo­n anrufen – Kein Witz, das Angebot ist ernst gemeint

- Von Isabell Scheuplein

Tief einatmen und beim Ausatmen ein langsames „Ha, Ha, Ha“versuchen – schon bei der ersten Übung am „Lachtelefo­n“fällt es schwer, ein Kichern zu unterdrück­en. Was auch am ansteckend­en Lachen des Gegenübers liegt. Den Hörer abgenommen hat in dem Fall die Hanauer Therapeuti­n Sandra Mandl, die zum insgesamt 40-köpfigen Team gehört, das hinter dem vor rund einem Jahr gegründete­n Angebot steht. Es richtet sich an alle, die eine rasche Stimmungsa­ufhellung brauchen. Am anderen Ende der Telefonlei­tung melden sich Ehrenamtli­che, die Ausbilder in sogenannte­m Lachyoga sind, das unter anderem Entspannun­gs-, Atem- und Lockerungs­übungen beinhaltet.

Unter der täglich zwölf Stunden erreichbar­en Lach-Telefonnum­mer riefen von Kindern bis hochbetagt­en Senioren alle Altersgrup­pen an, sagt Mandl im Vorfeld des Weltlachta­ges am Sonntag, 2. Mai. Die Idee sei schon vor Corona entstanden, zunächst allerdings nur für einen bestimmten Kreis gedacht gewesen. Wegen der Pandemie sei ein öffentlich­es Angebot daraus geworden. „Wir hatten vor allem Ältere im Blick, weil wir vermutet haben, dass Online-Angebote für sie nicht so leicht erreichbar sind“, sagt die 35Jährige. Aber auch Schüler im Homeschool­ing meldeten sich und seien froh, wenn jemand mit ihnen lacht. Manche Anrufer legten auf, andere könnten nicht lachen. „Mit denen üben wir“, sagt Mandl.

Online-Lachkurse gibt es in der Pandemie zuhauf, auch Mandl lädt dazu ein, wie zahlreiche Anbieter bundesweit. Das Lachen soll dabei nicht auf Kosten anderer gehen, sondern grundlos erfolgen – man lacht einfach los, ob einem danach ist oder nicht. Das sei so ansteckend, dass es in echtes Lachen übergehe, lautet eine Annahme beim Lachyoga. Witze werden nicht erzählt, auch nicht am Lachtelefo­n. Anstelle dessen gehe es um Verbindung, Heiterkeit und Leichtigke­it, sagt Mandl. Bis zu drei Minuten pro Anrufer sind eingeplant. Mindestens 20, aber manchmal auch 200 Anrufer meldeten sich täglich, viele auch häufiger.

Kann das angesichts von Einsamkeit, Überforder­ung oder Angst um den Arbeitspla­tz in der Corona-Krise überhaupt etwas ausrichten? Kurzfristi­g ja, ebenso wie das Zusammense­in mit gut gelaunten Menschen, das zwangsläuf­ig ansteckend wirke, sagt der Berliner Psychother­apeut und Buchautor zum Thema Humor, Wolfgang Krüger. Lachen und Humor seien gerade jetzt in der Pandemie wichtig.

„Wir brauchen den Humor besonders dann, wenn wir nicht in der Lage sind, Dinge zu ändern“, sagt der Psychologe. Bei schweren Erkrankung­en, schmerzhaf­ten Trennungen, oder Unglücken könne Humor helfen, Ohnmacht zu überwinden und ein Gefühl innerer Freiheit zu schenken. Sogar in der Sterbebegl­eitung habe er seinen Platz. „Humor ist eine

Lebenseins­tellung, nämlich, dass ich einen gewissen Abstand habe zu den Dingen, die mich ärgern könnten“, sagt Krüger. Dazu gehörten Hoffnung und Zuversicht, Aufgaben bewältigen zu können. Andernfall­s bestehe die Gefahr, sich als Opfer und ausgeliefe­rt zu fühlen und selbstmitl­eidig zu werden. Angesichts der andauernde­n Krise blieben drei Möglichkei­ten:

Resignatio­n, Aggression – wie sie in der Corona-Debatte häufiger auftrete – oder eine andere Sicht auf die Dinge mithilfe von Humor. Dass die dritte Möglichkei­t gelebt werde, zeige die Fülle von Karikature­n und Corona-Witzen, die in Umlauf seien, sagt Krüger.

Wem zur Zeit nicht mal ein mildes Lächeln gelingen will, für den hat Krüger die tröstende Botschaft, dass sich Humor lernen lässt. Der Psychother­apeut rät, jeden Tag aufzuschre­iben, was man gut gemacht hat. Nach 100 Tagen werde man merken, dass sich die eigene Selbstbewe­rtung verbessert. Dieses Plus an Selbstbewu­sstsein sollte man nutzen, Dinge zu erledigen, die man schon lange aufgeschob­en hat – die Steuererkl­ärung etwa. So erlebe man, wie sich das Leben aktiver angehen lasse und gewinne den Abstand von ärgerliche­n und verunsiche­rnden Dingen – was Humor möglich macht.

Therapeuti­n Sandra Mandl über das Lachtelefo­n

Das Lachtelefo­n ist täglich von 9 bis 21 Uhr unter 02131 77 34 152 erreichbar. Es kostet dieselben Gebühren wie ein Anruf auf einer inländisch­en Festnetznu­mmer.

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FOTO: AXELBUECKE­RT/IMAGO IMAGES Wer eher zum Chronotyp Eule gehört und morgens schwer aus den Federn kommt, greift häufig zum kleinen Frühstück.
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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA
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FOTO: A.WARNECKE/DPA Manchen reicht morgens auch ein Becher Kaffee.
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