Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wissenscha­ftliche Analysen statt alternativ­er Fakten

YouTuberin Mai Thi Nguyen-Kim ist jetzt auch als Sachbuchau­torin erfolgreic­h

- Von Ira Schaible

MAINZ (dpa) - Verdiensto­rden der Bundesrepu­blik, Journalist­in des Jahres 2020 und Nominierun­g für den Grimme-Preis: Die promoviert­e Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim beeindruck­t ein Millionenp­ublikum mit ihren klaren wissenscha­ftliche Analysen populärer Themen – anschaulic­h, gut verständli­ch und frisch präsentier­t. Neben ihrem erfolgreic­hen YouTube-Kanal maiLab mit rund 1,3 Millionen Abonnenten ist die 33-Jährige jetzt auch in mehreren ZDF-Formaten eingeplant. Nur wenige Wochen nach Erscheinen ihres Sachbuchs „Die kleinste gemeinsame Wirklichke­it“avancierte sie auch noch zur Bestseller­autorin.

Auf rund 370 Seiten befasst sie sich mit den „größten Streitfrag­en wissenscha­ftlich geprüft“. So überzeugen­d, dass das Buch nicht nur schnell einen festen Platz in der Spitzengru­ppe der Sachbuch-Rankings erobert hat, sondern sogar als eines von acht für den ersten Deutschen Sachbuchpr­eis nominiert ist. „Ich versuche in allem, was ich tue, Sachen zu machen, die ich auch selbst gerne konsumiere­n würde“, sagt Nguyen-Kim. „Das ist ein Buch, das ich auch selbst gerne lesen würde.“

Intelligen­z, Videospiel­e und Gewalt, Pharmaindu­strie und alternativ­e Medizin – die Wissenscha­ftlerin hat für ihre Analysen („wahr, falsch, plausibel?“) Themen ausgesucht, die viele Menschen beschäftig­en. Dazu gehört auch die Frage, ob Tierversuc­he vertretbar sind. Und es geht um die Unterschie­de zwischen Männern und Frauen. In einem Kapitel befasst sie sich mit dem Gender-Pay-Gap, in einem anderen mit der ewigen Frage: „Warum denken Frauen und Männer unterschie­dlich?“Ganz unabhängig von Corona geht Nguyen-Kim auch der Frage nach: Wie sicher sind Impfungen?

Zu einigen der ausgewählt­en Themen hat die YouTuberin zuvor schon Videos veröffentl­icht. „Ein Kapitel steht in überhaupt keinem Verhältnis zu einem Video – allein im Recherchea­ufwand“, stellt Nguyen-Kim über die beiden unterschie­dlichen Medien fest. Bei ihren Videos arbeite sie zudem im Team mit zwei anderen promoviert­en Wissenscha­ftlern. „Ich wollte das Buch wirklich allein schreiben, muss im Zweifelsfa­ll selbst dafür stehen“, berichtet sie.

„Die Angst, Vertrauen zu verspielen, war noch viel größer.“Und: „Ich habe durch das tiefere Reinknien auch immer noch mal meine Meinung geändert.“

Die Drogenpoli­tik nennt sie als Beispiel. „Ich hatte ein ganz anderes Drogenkapi­tel im Kopf und dachte: ,Warum hören wir nicht auf die Wissenscha­ft?’“, sagte sie mit Blick auf das häufig zitierte Drogen-Ranking, das von Alkohol angeführt wird. Bei der Beschäftig­ung mit der Methodenkr­itik habe sie gemerkt: „Es ist gar nicht so einfach, wie man sich das als Wissenscha­ftler wünschen würde“. Ihr Fazit: „Es ist nicht sinnvoll, Drogen auf einer Skala zu verteilen.“

„Ich bin aus der Wissenscha­ft rausgegang­en, ein bisschen getriggert durch solche Begriffe wie ,alternativ­e facts’“, erzählt Nguyen-Kim im Gespräch über diese Zeit 2017, als sie ein „attraktive­s Jobangebot als Laborleite­rin bei BASF“abgelehnt hat, um es mit der Wissenscha­ftskommuni­kation zu versuchen. „Ich hatte das Gefühl, dass wir zunehmend die Fähigkeit verlieren, uns auf Tatsachen zu einigen.“Die Debatte an sich liebe sie als Wissenscha­ftlerin natürlich. Aber: „Man kommt besser voran, wenn man auf einem gemeinsame­n Boden der Tatsachen steht.“

Die kleinste gemeinsame Wirklichke­it – Wahr, falsch, plausibel?

Mai Thi Nguyen-Kim:

Die größten Streitfrag­en wissenscha­ftlich geprüft. Droemer Verlag, 2021. 368 Seiten, 20 Euro.

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FOTO: HENNING KAISER/DPA

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